Kultur, Kurios, Was machen wir heute?

“Design ist mehr als die Alessi-Kanne oder der Gucci-Fummel”

Josephine Musil-Gutsch
Letzte Artikel von Josephine Musil-Gutsch (Alle anzeigen)

DSCF9357

In den nächsten zwei Wochen bewegt sich eine interessante Gruppe Menschen durch die Münchner Innenstadt. Vierzig junge, freundliche Leute in Retro-Overalls in den Farben grün, orange, gelb, blau und silber, die mit Handzeichen kommunizieren, den Verkehr regeln und freundlich Fragen beantworten. Sie sind Teil von “Reconstructing Future”, einem Kunstprojekt im öffentlichen Raum, das mit Design die Vision von Aufgeschlossenheit und Volksnähe von Olympia `72 zurückbringt .

DSCF9320

“Reconstructing Future” ist etwas ganz besonderes. Es ist ein Kunstprojekt mit historischen Bezug. Ein Hommage an die Stimmung während der olympischen Spiele in München – vor dem Anschlag auf die israelischen Sportler. Es ist Rekonstruktion eines fröhlichen Vergangenheit. Wiederbelebung der Vision von 1972. Gestaltung des öffentlichen Raumes durch Mode und Design. Interaktion mit Passanten als Rezipienten von Kunst. Wegweiser für die Zukunft und Möglichkeiten des urbanen Raumes.

Das Konzept, das 1972 in München von Designern und Organisatoren der olympischen Spiele umgesetzt wurde war eine vollkommene Neuheit. Sicherheitskräfte trugen keine Waffen, dafür Uniformen in leuchtend hellen, freundlichen Farben und weiße Schirmmützen. Im Umgang mit dem Bürgern wurde Nähe, Aufgeschlossenheit und Hilfsbereitschaft gezeigt. Der Bürger war nicht mehr Gegner, sondern Partner: Farbenfreude statt Militär. Im öffentlichen Raum war auf einmal alles möglich, ganz nach dem Motto: “Es ist euer Raum, macht was daraus!” München war damit auf dem besten Weg in die Moderne. Leider blieb es dabei, denn der Anschlag auf die israelischen Sportler am 5. September 1972 machte jede Weichenstellung für eine neue Zukunft des öffentlichen Raumes zunichte und überschattet bis heute den Gedanken an die Spiele von damals.

Das Berliner Künstlerduo Dellbrügge und de Moll hat sich zum 40-jährigem Jubiläum der Olympischen Spiele dieser Thematik auf eine ganz besondere Art und Weise gewidmet. Mit ihrem Konzept stachen die Künstler unter 263 internationalen Einsendungen heraus und überzeugten den städtischen Programmbeirat für Kunst im öffentlichen Raum. Sie konzentrieren sich auf die Menschen, die 1972 während der Olympischen Spiele die Atmosphäre der Stadt am meisten prägten: 40.000 Hostessen gekleidet in blau, grün, gelb, orange und silber. Jede Farbe stand für eine andere Aufgabe, blau war beispielsweise die Farbe der Sicherheitsleute, gelb die der Reinigungskräfte, orange die der Platzanweiser. Ab Dienstag, den 27. August werden für zwei Wochen täglich zwei Stunden lang 40 Akteure, deren Kleidung und Auftreten dem der Hostessen von 1972 nachempfunden ist, den öffentlichen Raum ein kleines Stück weit so prägen, wie die Helfer der Olympiade es damals in großem Ausmaß taten.

blau

Michael Lausberg, Philosophiestudent im blauen Anzug beschreibt seine Aufgaben als Akteur: “Wir sind immer zur Hilfe da und beantworten die Fragen der Passanten. Wenn wir über eine Straße gehen und dort keine Ampel ist, bilden wir Korridore, damit alle Leute sicher hinübergehen können.” Ganz im Sinne der Konzeption von ’72 ist es besonders wichtig für die vierzig Teilnehmer stets nett zu lächeln und niemals wie das Militär zu wirken.
Und wie geht der Passant, der als Rezipient unmittelbar mit Kunst im öffentlichen Raum konfrontiert wird, damit um? Bei der Generalprobe am 23. August auf dem Marienplatz waren die vierzig Frauen und Männer in der Overalls ein echter Hingucker und beliebtes Fotomotiv für die Passanten. Michael Lausberg musste sich einige Male das Lachen verkneifen, “weil man natürlich auffällt und angeguckt wird.”

DSCF9386

Ihre Wirkung hat die bunte Kleidung damals wie heute nicht verfehlt. Ursprünglich wurden die bunten Overalls mit den weißen Druckknöpfen von André Courrèges gestaltet. “Das ist in etwa so, als hätte man das Servicepersonal zur Olympiade 2012 in London von Vivienne Westwood ausstatten lassen – so radikal war man damals in München.”, sagt Künstler Ralf de Moll. Heute hat Modedesignerin Anna Sophie Howoldt die Kostüme mit denselben Farben, aber moderneren Schnitten wiederbelebt. Ihr Erscheinungsbild und die verschiedenen Gesten, die untereinander zur Verständigung dienen, wurden von Choreographin Sara Hilliger mit den Teilnehmern eingeübt. “Reconstructing Future” eröffnet neue Sichtweisen, weil es Neues zusammenbringt: Historie, Design, Mode und den urbane Raum als Kunstraum. Künstlerin Christiane Dellbrügge beschreibt die besondere Bedeutung von Design im öffentlichen Raum: “Design ist nicht nur die Alessi-Kanne oder der Gucci-Fummel, sondern kann viel umfassender bestimmen, wie wir miteinander umgehen und wie wir uns im öffentlichen Raum bewegen. Gebaute Umwelt bestimmt, wie wir uns verhalten und welche Aktionen möglich sind und welche nicht. München ist ’72 einen ganz neuen Weg gegangen.”
Auch heute zeigt “Reconstructing Future” in München, welche Möglichkeiten der öffentliche Raum für die Kunst bietet.

reihe

Die Routen beginnen täglich um 16 Uhr und dauern 2 Stunden. Am 5. September, an dem sich der Anschlag auf die israelischen Sportler zum vierzigsten Mal jährt, fällt die Performance aus.

27.08.: von der Burgstraße zum Gärtnerplatz
28.08.: Odeonsplatz und Hofgarten
29.08.: vom Marienplatz zum Stachus
30.08.: Königsplatz und vor der Pinakothek der Moderne
31.08.: Odeonsplatz und Hofgarten
01.09.: von MaximiliansForum über den Rindermarkt zum Jakobsplatz
02.09.: Olympiapark
03.09.: vom MaximliansForum zum Stachus
04.09.: Viktualienmarkt und Rindermarkt
05.09.: keine Performance
06.09.: um das MaximiliansForum, Maximiliansstraße, Max-Joseph-Platz
07.09.: Odeonsplatz und Hofgarten
08.09.: Königsplatz und vor der Pinakothek der Moderne
09.09.: Olympiapark
10.09.: Gärtnerplatz
11.09.: Marienplatz und Rathausgalerie

DSCF9312_1

No Comments

Post A Comment

Simple Share Buttons
Simple Share Buttons