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Die gekörnte Sprache der Dokumente
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„Und wo ist der Erklärungstext?“, hörte man die Besucher der Vernissage von FotoDoks 2012 am Mittwoch Abend im Münchener Stadtmuseum sehr oft flüstern. Verwirrt sah man sich nach Erklärungstafeln um, die das, was die Fotografie dokumentiert, auch nochmal als Text erklärt.
Was hat diese Frage, die Erklärungssehnsucht zu bedeuten? Ist Dokumentarfotografie so an sein Narrativ verpflichtet, dass ein Bildkommentar zur Absicherung der richtigen Botschaft unabdingbar wird? Oder ist das Münchner Vernissagepublikum überfordert von Fotografien, die aus sich selbst, und nicht mithilfe einer Sehanleitung, erklärt sein möchten?
Zunächst einmal, worum geht es überhaupt: die Münchner FotoDoks ist ein jährliches Festival, das international hochkarätigen Dokumentar- sowie Nachwuchsfotografen einen Ausstellungsraum für neue Arbeiten bietet. Dabei wechselt mit jedem neuen Festival Thema und Gastland. Dieses Jahr empfängt man Fotografen aus Großbritannien und das Ausstellungsthema heißt ‘Achtung?! – Respekt, Kontrolle Veränderung’. Es dominieren dabei Fotoserien und Medienkunst an der Schnittstelle zur Berichterstattung.
Die Empörung ob der ausbleibenden Erklärungstexte (die übrigens in Broschüren und im Web, s.u., durchaus zu finden sind) darf als Barometer gelten: gerade diejenigen Serien, die erstmal nicht eine klar erkenntliche Geschichte augenscheinlich machen wollen, sondern in erster Linie einen fotografischen Blick für Stimmung, Spontaneität, Beiläufigkeiten zeigen, sind die mit Abstand interessantesten Werke der Ausstellung.
Da wäre beispielsweise Henrik Malmströms Reihe ‘A Minor Wrongdoing’, in der sich der Hamburger Fotograf der illegalisierten Prostitution vor seiner Wohnungstüre widmet. Polizeiliche Verordnung sehen vor, dass Anwohner und Passanten die Prostituierten den Ordnungshütern jederzeit melden sollen. Die allabendlichen bitteren Konflikte kann man sich ausmalen. Malmströms Bilder schauen die Frauen an, ohne sie zu identifizieren. Im grauen Rauschen schwach belichteter Schwarzweißbilder verschwinden sie im Nebel der groben Körnung und bleiben Schemen. Malström dokumentiert keine Auseinandersetzung zwischen Gewerbe und Gesetz, sondern die Unerkenntlichkeit, die Schattenhaftigkeit der Frauen.
Da wäre außerdem Dona Popas Serie ‘Our Father CeauÅŸecu’ über die post-kommunistiche Jugend Rumäniens. Die in London lebende und arbeitende Rumänierin Popa interssiert sich für intime Alltagssequenzen, für nackte Haut, die Spielkonsole und den Lippenstift völlig ordinärer Leute, die das realsozialistische Regime kaum mehr erlebt haben. Jedes Bild ist ein Ausschnitt von belangloser Lebensweise der Jugendlichen, kein Bild zeigt ideal-schöne oder gar inspirierende Gesichter. Doch erst durch die fotografische Entscheidung, gerade dieses unspektakuläre, etwas langweilige Völkchen zu zeigen, wird aus Hans und Franz in der rumänischen Provinz die fast flaubert’sche Erzählung einer Generation im nicht mehr kommunistischen Osten Europas.
Und so drängt sich der Verdacht auf, dass die Kuratoren der fünften FotoDoks die Erklärungstafeln zum Glück nicht direkt neben den Fotografien angebracht haben und sich ihren Besuchern so keineswegs mit leichter Erzählfotografie anbiedern. Sie zeigen Kunstwerke, deren Dokumentarwert genau in der fotografischen und nicht der schriftlichen Sprache liegt und die somit die Frage nach der Zeugenschaft im, und nur im Bild stellen.
Doch handelt es sich bei Malströms und Popas Serien eher um die Extreme. FotoDoks bietet durchaus Dokumentarfotografie in einem klassischeren Verständnis, also Bilder, die quasi beweisende (Ur-)Kunde von Milieus, Krisengebieten, Konfliktsituationen geben. So zum Beispiel Edmund Clarks ‘Guantánamo. If the light goes out’, das die Trostlosigkeit der Inhaftierung mit stark symmetrischen Bildern der beklemmend menschenleeren Räume des berühmten Gefängnisses verdeutlicht. Betroffen macht Kai Löffelbeins ‘Kids of Sodom – E-Waste in Ghana’: junge Menschen bewohnen eine Müllhalde für Elektroschrott am Rande der Hauptstadt Accra und schlagen den letzten erbärmlichen Ertrag aus dem Rest der Reste.
Einen Grenzgang vollzieht Kai Wiedenhöfers ‘The US Border Wall – Power and Impotence of a World Power’. Unter dem etwas plumpen Titel steht eine Reihe großflächiger Fotografien, die das unmittelbare Dies- und Jenseits der heiklen Barriere zwischen Mexiko und den angrenzenden US-Staaten zeigt. Oder Robin Maddock, der sich mit ‘Our Kids are going to hell’ an die Konfrontationsschwelle zwischen Polizeistreifen und der Lost Generation des Londoner Stadtteils Hackney stellt.
Zurück zu den Lost Vernissagegästen im Münchner Stadtmuseum (also diejenigen, die die Ausstellungsbroschüre nicht gefunden haben). Das Unbehagen einiger Besucher mag einen viel banaleren Grund haben als schwierige oder unbequeme Dokumentarfotografie. Schon zehn Minuten nach der Eröffnungsrede kam das kleine Team an der Bar im Ansturm des riesigen Andrangs ins Straucheln: Weißwein war aus. „Das darf doch nicht wahr sein!“ hörte man die Münchner sich empören, „hoffentlich sind wenigstens die Bilder schön“.
FotoDoks. Festival für aktuelle Dokumentarfotografie.17.-21. Oktober 2012, Münchner Stadtmuseum und viele weitere Orte, siehe Programm.
Links:
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