Leben, Stadt

Die Revolution ist eine zarte Pflanze

Tanja Semet
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In München ziehen nachts kleine Grüppchen durch die Straßen und werfen kleine Erdklöße auf Verkehrsinseln. Bald sollen hier Blumen blühen. Um die Ecke sitzen zwei Polizisten in ihrem Auto. Sie ahnen nicht, was hinter ihrem Rücken passiert. Eine Revolution. Münchens Gartenrevolution.

                    

                    

                    

Fotos: Sebastian Gabriel

Mitten in der Nacht, im fusseligen Neonlicht des Münchner Hauptbahnhofs. Spätpendler, Obdachlose und Dealer gehen wie immer ihren Geschäften nach. Da kommen sechs Gestalten über den Vorplatz. Mit Schaufeln und Hacken beginnen sie, die harte Erde unter den dürren Hecken aufzugraben. In einer lauen Mainacht beginnt die erste flächendeckende Guerilla-Gardening-Aktion in München. Beim Guerilla Gardening werden auf öffentlichem Grund Blumen, Obstbäume und Gemüse gepflanzt. Den Aktivisten geht es darum, ihr ökologisches Bewusstsein zu zeigen und ein Stück Anarchie in die Städten zu bringen. Bewaffnet mit Mini-Gartenwerkzeug, Handschuhen und Wasserflaschen zum Gießen; ausgerüstet mit einem Ziehwagen voller Erde und Pflanzenkisten wollen die Münchner Guerillas ihre Stadt grüner machen.

Ihre Identität wollen die Spaten-Desperados nicht preisgeben. Eine von ihnen ist Rosa L. – ein Name wie ein Auftrag zur Revolte. Die Studentin wohnt seit sieben Jahren in München. „Vor meinem Haus sieht es furchtbar öde aus, deswegen mache ich mit“, sagt sie, und wirft eine vorbereitete Samenbombe, eine Kugel aus Erde und Samen, unter eine Hecke. „Außerdem macht es Spaß.“ Legal ist es allerdings nicht. Wer beim Wildgärtnern erwischt wird, muss mit einer Anzeige wegen Sachbeschädigung rechnen. So schleichen die vier ausgeschwärmten Guerillabanden, die in dieser Nacht in Schwabing, Sendling, der Innenstadt und rund um den Hauptbahnhof unterwegs sind, möglichst unauffällig durch den wenig grünen Großstadtdschungel. Die Aktivisten sind eine wilde Mischung aus Studenten, Hippies, Angestellten und berufstätigen Müttern. Etwa alle zehn Meter bleiben sie stehen. Einer schiebt Wache, während die anderen Gladiolenzwiebeln setzen und Wiesenblumen aussähen. „Ich sehe das eher als Sachbeschönigung“, sagt Rosa und pflanzt sorgfältig Sonnenblumenkerne in eine Baumscheibe, „Guerilla Gardening ist eine friedliche Form von Revolution. Wir protestieren für mehr Umweltbewusstsein und machen die Stadt dabei noch schöner.“

Die Reaktion der Passanten gibt den Guerillas Recht. Die meisten wünschen viel Glück, einer macht gleich spontan mit. Als Rosa und ihre Mitstreiter den Grünstreifen vor einem großen Hotel bearbeiten, kommt der Portier auf sie zu. „Hey, könnt ihr nicht woanders buddeln?“, ruft er. Die Gärtner wollen schon die Flucht ergreifen, aber als sie ihm das Guerilla-Gardening-Konzept erklären, sagt er: „Wenn ihr wollt, kann ich ja ab und zu gießen.“ Wieder ein Sympathisant. Der Trend zum nächtlichen Grünaktivismus begann 2004 in London und ist heute in vielen europäischen Großstädten verbreitet. An manchen Orten treibt das Wildgärtnern allerdings seltsame Blüten. In Tübingen gedeihen seit einiger Zeit zum Beispiel kleine Hanfplantagen in öffentlichen Blumenkästen. So was machen die Münchner nicht. Es gibt auch so genug Schwierigkeiten. Viele Wildgärten vertrocknen innerhalb weniger Wochen. Die Münchner Guerillas lassen sich nicht entmutigen und haben bereits weitere Aktionen geplant. „Wir sind mit unserer Revolution noch lange nicht fertig“, meint Rosa und formt weiter neue Samenbomben.

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