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Ein “Stranger” bei der FotoDoks-Ausstellung

Michael Schleicher
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„Stranger World“. Fremdere, seltsamere Welt … Das ist der Titel der diesjährigen Ausstellung des FotoDoks-Festival, die im Stadtmuseum stattfindet. Das FotoDoks-Festival, das von 15.-19.10 besucht werden kann, ist das Großereignis für viele Fotografen und Fans der aktuellen Dokumentarfotografie. Es folgt ein subjektiver Blick eines unbedarften Betrachters.

Mal ganz unter uns… Ich muss zugeben, dass mein Wissen über Fotografie und andere, eng damit verbundene Dinge, ziemlich überschaubar ist. Deswegen hat mich auch das Thema der diesjährigen Ausstellung angesprochen, da ich quasi selbst einen „Stranger“ in diesem Bereich darstelle. Mit diesem Interesse und der Frage, was mich wohl erwartet, habe ich also die Ausstellungseröffnung am Dienstagabend besucht.

Beim ersten Schritt über die Schwelle des Stadtmuseums bewahrheiten sich meine Vorahnungen, denn um mich herum wuseln zahlreiche Besucher jeden Alters, die sich angeregt über Fotografie und die aktuelle Ausstellung unterhalten, was mein „Ich habe keine Ahnung von Fotografie“-Gefühl zudem verstärkt. Kurz danach drängen sich etliche Personen mit Riesenkameras und Stativen an mir vorbei, was einen Gemütszustand der vollkommenen Überforderung in mir auslöst. Nichtsdestotrotz steige ich die Treppe hinauf und betrete den ersten Ausstellungsraum…

Um euch eine ausschnitthafte Darstellung der „Stranger World“ aufzuzeigen, soll im Folgenden eine kleine, eigens erstellte Kategorisierung der Ausstellung erfolgen. Jedoch muss man sich vor Augen führen, dass diese Kategorisierung nicht aus der Sicht eines Kulturjournalisten o.ä. dargestellt wird, sondern die laienhaften Subjektivität im Vordergrund steht, die alleine das Interesse und die Neugierde wiederspiegelt und keinerlei Anspruch auf Richtigkeit oder Versiertheit legt.

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Jan Grarup (DK): I Just Want To Dunk

Dieses Bild gefällt mir am Besten

Schaut man sich das Foto an, fällt dem Betrachter wohl als erstes der schwer bewaffnete Soldat auf, der sich auf einem hoch gelegenen Punkt in einem ummauerten Areal befindet. Das riesige Gewehr hinter den Schultern und mit etlichen Munitionsgürteln versehen, lässt er seinen Blick in die Ferne schweifen. Bei der weiteren Betrachtung bemerkt man den Basketballplatz in der Mitte des Areals, auf dem sich zahlreiche Frauen tummeln, die gerade ein paar Körbe werfen. Daneben befinden sich auf der Tribüne noch einige Zuschauer, die den Frauen beim Spielen zuschauen.

Das Bild der Fotoserie „I Just Want To Dunk“ vom dänischen Fotografen Jan Grarup gefällt mir persönlich am besten, da es in beeindruckender Weise darstellt, wie nah ziviler Alltag und Krisen, bzw. Katastrophen zusammenliegen. Die in der Fotoserie abgebildeten Frauen sind Mitglieder der Frauenbasketball-Nationalmannschaft von Somalia. Sport allgemein, und vor allem US-Amerikanische Sportarten, rufen provozierende Gefühle bei einigen somalischen Gruppierungen hervor, weshalb die Frauen auf der „Hit List“ der radikalen, militanten Bewegung Al-Shabaab stehen. Diese besetzen seit Jahren einige Teile des Landes und setzen dort die strenge Auslegung der Scharia durch. Die islamistische Gruppierung will ein Land ohne westliche, weltliche und nicht-islamische Einflüsse. Da laut diesen Gesetzen Sport für Frauen verboten ist, sehen sich die Frauen demnach tagtäglich Morddrohungen, Repressionen und Gefahren gegenübergestellt. Der auf dem Foto abgebildete Soldat zeigt ein Mitglied der Regierungstruppen, der den Frauen die Gefahren und den Wahnsinn des Bürgerkrieges vom Leibe halten soll.

Das Bild mit den dazugehörigen Hintergrundinformationen zeigt in spezieller Weise, wie ein Überthema, wie in diesem Fall „Sport“, durch die Hinzunahme von gesellschaftlichen, sozialen und politischen Aspekten, eine ganz neue Bedeutung erlangt. Die Bildserie wurde 2013 mit dem „World Press Photo Award“ für die Kategorie „Sports-Feature“ ausgezeichnet.

www.grarupphoto.com

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Christoph Draeger (CH): Yacht Tragedy (Ship Of Fools)

Über dieses Projekt würde ich gerne mehr erfahren

Das Foto zeigt zehn erwachsene, ganz in schwarz gekleidete Personen, die ihren Blick auf ein Boot richten, das einsam und verlassen auf dem Wasser treibt. Das Bild ist kein Teil einer Serie, sondern wurde aus dem Filmprojekt „Yacht Tragedy (Ship of Fools)” des Schweizers Christoph Draeger entnommen. Anlass für diesen Kurzfilm ist eine Katastrophe, die sich in den 1960er Jahren in Griechenland ereignet haben soll. Dort segelten sechs junge Menschen mit einem großen Boot aufs offene Meer hinaus und sprangen ins Wasser, ohne daran zu denken, eine Leiter o.ä. hinunterzulassen. Nach verzweifelten Versuchen, wieder an Deck des Bootes zu kommen, ertranken die Urlauber schließlich. Tage später soll die verlassene Yacht gefunden worden sein, jedoch ohne jegliche Spur der sechs Personen.

Daraufhin versuchte die Versicherungsgesellschaft, durch eine äußerst skurrile Aktion, für Aufklärung zu sorgen und die Katastrophe nachzustellen, indem eine Wasserballmannschaft engagiert wurde, die versuchen sollte, wieder zurück an Bord zu gelangen, ihnen dies allerdings unmöglich war. Christoph Draeger beschreibt genau diesen Prozess der Rekonstruktion in seinem Filmprojekt, indem er den Versuch der Versicherungsfirma nachstellt. Letztendlich gelingt es den Akteuren in der Rekonstruktionsrekonstruktion, eine Person auf das Boot zu befördern und die Katastrophe abzuwenden.

Das Projekt hat mich deswegen zum Nachdenken angeregt, da die „Yacht-Tragödie“ einer Art Mythos gleicht. Es sind wenige bis keine Dokumente zur eigentlichen Katastrophe, wie auch zur Rekonstruktion vorhanden, was dem Ganzen einen schleierhaften und mysteriösen Touch verleiht. Niemand weiß genau wo sich die Tragödie ereignet hat, bzw. wie viele Menschen ertrunken sind. Die Personen auf dem Bild lassen sich beispielsweise als Angehörige der Umgekommenen lesen, die beim Blick auf die Unfallstelle gemeinsam trauern.

Hier der Link zum ganzen Video:

http://vimeo.com/57710736

http://www.christophdraeger.com/

©Linn Schröder, Selbstportrait mit Zwillingen und einer Brust

Linn Schröder (D): Selbstportrait mit Zwillingen und einer Brust

Dieses Bild finde ich besonders bewegend

Das Bild zeigt ein Selbstportrait der deutschen Fotografin Linn Schröder, in dem es ihr gelingt bewegende, autobiographische Elemente in einem Foto zusammenzuführen. Neben ihren wenigen Wochen alten Zwillingen auf dem Arm, ist zudem die Narbe der Brustamputation zu sehen, die im Zuge ihrer Brustkrebserkrankung erfolgte. Eine Männerhand am linken Bildrand schiebt sich in den Mund des einen Babys und scheint die dort fehlende Brust, auf bildhafte Art und Weise, zu ersetzen.

Meiner Meinung nach berührt das Bild deswegen so sehr, da es in komprimierter Form, auf einem einzigen Bild die beiden Extrempunkte „Leben“ und „Tod“ vereint. Auf der einen Seite die Amputationsnarbe, die die Auseinandersetzung mit der Brustkrebserkrankung und dem drohenden Tod darstellt. Auf der anderen Seite das neue junge Leben durch die Geburt der Zwillinge. Jedoch soll durch die extreme Intimität, die das Bild wiederspiegelt, kein Mitleid mit der Fotografin hervorgerufen werden. So möchte sie durch das Aussparen des Gesichts und der daraus abzulesenden Mimik, und der gewollten, offensichtlichen Inszenierung, eine Distanz zur eigenen Person schaffen.

http://www.linnschroeder.de/

Beim Verlassen des Stadtmuseums meldet sich die zuvor gefühlte Überforderung wieder zurück, da es mir unmöglich ist, alle Eindrücke und Impressionen zu ordnen. In dem Durcheinander in meinem Kopf gesellen sich direkt neben Freude und Heiterkeit, Bedrücktheit und Trübsinnigkeit. Doch auch als Laie wird mir, nach meiner ersten Fotoausstellung, deutlich: (Dokumentar)Fotografie ist weit mehr, als ein bloßes Bild an der Wand.

STRANGER WORLD FOTO-AUSSTELLUNG | 15.10.-01.12 | STADTMUSEUM MÜNCHEN | WWW.FOTODOKS.DE | WWW.MUENCHNER-STADTMUSEUM.DE | KOSTEN 6 EURO

Hier noch ein paar allgemeine Dinge über das FotoDoks-Festival: Das Ziel des Festivals ist es, auf die Absurditäten der Wirklichkeit aufmerksam zu machen, was durch ein reichhaltiges Begleit-Programm angepeilt werden soll. Das zeichnet sich neben der Foto-Ausstellung beispielsweise durch verschiedene Vorträge, zahlreiche Künstlergespräche und abwechslungsreiche Performances im Münchner Stadtmuseum und dem MaximiliansForum aus. Die diesjährige Partnerregion „Der Norden“, beleuchtet 16 verschiedene fotografische Positionen aus dem skandinavischen und deutschsprachigen Raum.

Fotos:  © FotoDoks

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