Kultur, Nach(t)kritik

Eine Gebrauchsanleitung

Regina Karl
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Man kennt das Rezept des René Pollesch mittlerweile: Sprachdurchfall, ein wenig Glitter und Glamour und ein weiteres Mal gleiten wir auf irgendeiner mächtig angesagten Diskurswelle ins nirgendwo. Polleschs selbstverräterische Serienproduktion mag einem so langsam überdrüssig werden und doch verlieren seine Abende nicht an Unterhaltungswert, was er zuletzt mit einer erneuten Einladung zum Berliner Theatertreffen bewiesen hat, dem unbedingten Stimmungsbarometer der hiesigen Theaterlandschaft.

Es war noch nie leicht, über jemanden zu sprechen, der mit seinen Produktionen behauptet, längst und immer schon alles gesagt zu haben. So steht man denn auch ein wenig ratlos vor Polleschs jüngster Produktion „Eure ganz großen Themen sind weg“, die gestern an den Kammerspielen Premiere feierte. Geht es Pollesch wohlmöglich genauso und weiß er nicht mehr wohin mit all dem Gefasel? Oder steckt in seinen spektakulären Diskursschleudermaschinen doch etwas Wahres, was pures Entertainment noch übersteigt?

Vielleicht hilft es da ja wirklich, die großen Themen des René Pollesch zu befragen, um sich in diesem streckenweise sehr zerfaserten Abend besser zu orientieren. Pollesch ist überall zu Hause: Neo-Marxismus, Biopolitik, Psychoanalyse und Popkultur. Gerade das popkulturelle Surplus scheint es jedoch zu sein, das Pollesch erlaubt, mit dem Berliner Philosophieprofessor Thomas Macho ein Interview fürs Programmheft zu führen und dabei die vermeintliche Intelligenzia der akademischen Landschaft in ihrer Biederkeit an die Wand zu reden. Es ist einfach um so vieles hipper, wenn René Pollesch über Adorno, Benjamin, Nancy und all die anderen Suhrkamp-Bändchen spricht, die unsere Billy-Regale zieren.

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Und die Inszenierung? Um Marx´ Gebrauchswert ging es diesmal, dieses ekelhafte Etwas das sich so schlecht von den Körpern seiner Schauspieler Franz Beil, Katja Bürkle, Benny Claessens und Çigdem Teke lösen lässt. Dieses Problem exerziert Pollesch am persiflierten Zitat auf Spike Jonzes Kultfilm Being John Malkovich durch. Auf der Bühne prangt ein riesiger Holzschädel, dessen Augen so funkeln, wie einst bei Damien Hirst.

Schade nur, dass die geniale Absurdität der filmischen Vorlage im Zitatewirrwarr von Pollesch zur Beliebigkeit verkommt. Wieder und wieder steigen Claessens, Beil und Teke in Katja Bürkles Kopf ein, nur um am Ende erneut festzustellen, dass sich unsere Leben ja nicht drinnen, sondern draußen abspielen, nur klebt draußen wieder der lästige Gebrauchswert an allem: nichts mit Liebe, nichts mit Leidenschaft. Wenn sich Elephant Man, der Joker, Audrey Hepburn und die junge Prostituierte Iris aus Scorsese´s Taxi Driver lustlos zur Melodie von „I just don´t know what to do with myself“ in den Betten wälzen, verkommt denn auch konsequenterweise die Collage dieser großen Filme voll von Pathos und Exzess zu einer Karikatur ihrer selbst.

Man kann Pollesch nur schwer vorwerfen, es fehle ihm an Zeitgeist, ist einem doch das Lamento über „Das war alles schon mal da!“ und „Das ist doch nicht authentisch genug!“ allzu vertraut und lässt sich als permanente Endlosschleife tatsächlich als Symptom eines gelebten Todes in der Logik des Gebrauchswerts lesen.

Dieses Gerede zu übersteigen gelingt der Inszenierung jedoch nur an einer einzigen Stelle, nämlich dann, wenn am Ende abgesehen von melodramatischer Filmmusik alles schweigt und sich die Schauspieler stattdessen auf dem Boden aufeinander und ineinander verschlungen von der Bühne wälzen, bis am Ende nur noch Katja Bürkle als lebloser Körper flach auf dem Boden liegen bleibt, ein Rest, denn Benny Claessens schließlich von der Bühne schleifen muss. Unsere Körper stehen uns mindestens genauso im Weg wie ihr Gebrauchswert.

Wem Polleschs Kaskaden aus Sprach- und Theorieabfällen langsam ebenfalls etwas zu verbraucht wird, der sei auf den diesjährigen Publikumserfolg „Three Kingdoms“ verwiesen. Der bitterböse Krimi mit „Kultverdacht“ (BR) in der Inszenierung von Sebastian Nübling wird vom 17. – 24. April zum letzten Mal in dieser Spielzeit gezeigt.

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