Kultur, Nach(t)kritik

Eröffnungsrummel

Regina Karl
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Am vergangenen Samstag nahmen die Kammerspiele, die in diesem Jahr 100 werden, ihre neue Spielzeit auf. Die Saison beginnen durfte Sebastian Nübling mit „Orpheus steigt herab“, seinem zweitem Tennessee Williams am Haus.

Dieses Mal also ein Stück, mit dem Autor und Presse zu dessen Premiere 1940 gleichermaßen zu kämpfen hatten. Nachdem die Kritiken am Broadway vernichtend ausfielen, schrieb Williams seinen „Orpheus descending“ mehrere Male um, schärfte die Konturen seiner Charaktere und gestaltete seine Milieustudie immer abgründiger. Das Stück ist eines seiner Southern Plays und erzählt von einer morbiden Kleinstadt im Süden Amerikas, die sich durch gnadenlosen Rassismus und einem Dogma der Gewalt gegen alles Fremde abschottet, das sich ihren Stadtgrenzen nähert. In dieser Vorhölle versucht Lady Torrance, die mit dem todkranken aber brutalen Jade verheiratet ist, ihren Gemischtwarenladen auf Vordermann zu bringen. Als der liebliche Valentine – ein versprengter Musiker – aus dem Nichts auftaucht, stellt ihn Lady als Aushilfe ein. Lady – selbst die Tochter eines italienischen Einwanderers, der bei einem Brandanschlag einst der Willkür einer Gruppe bedingungsloser Rassisten aus dem Dorf zum Opfer fiel – fühlt sich zu dem mysteriöse Val hingezogen. Die beiden beginnen eine Affäre, Lady wird schwanger und Jade quittiert die Untreue seiner Frau damit, dass er sie erschießt und Val wie einst Ladys Vater mit dem renovierten Laden in Flammen aufgehen lässt.

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Die Feinheit und Präzision, mit der Tennessee Williams die infernalischen Ausbrüche einer von Gewalt und Hass durchtränkten Bigotterie der Südstaaten beschreibt, bleibt unübertroffen. Seine Stücke sind gezeichnet vom Warten auf die Katastrophe und Ausfall aller Menschlichkeit. Dieses diffuse Dröhnen, das die traumatisierten Figuren begleitet, bebildert Nübling mehr, als dass er es bespielt. Seine Inszenierung wird ein Rummelplatz der Allegorien, die Tennessee Williams erzählerisches Geschick stellenweise vergessen machen. Was überzeugt, ist sicherlich die Bühne der jungen Eva-Maria Bauer, die Ladys Gemischtwarenladen in ein riesiges Kettenkarussell verwandelt, das kopfüber von der Decke hängt. Dabei muss man nicht einmal auf dem Oktoberfest gewesen sein, um zu verstehen, wie nahe hier Faszination und Ekel beieinander liegen. Pascale Martins Kostüme, deren Satin und Glitterbesatz die Abgeschmacktheit von Two River County zu übertünchen suchen, ergänzen diese traurige Nostalgie perfekt.

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Nübling besetzt dieses Szenario gekonnt, doch fehlt ihm die Präzision seines Autors. Die grazile Wiebke Puls ist mittlerweile ein sicherer Treffer in Nüblings Ensemble geworden und wird zu einer Lady im Blaumann, die das Trauma des Vatermordes mit dem Traum vom Ausbruch aus ihrer erdrückenden Ehe und von der Rache an ihrem tyrannischen Mann zu verarbeiten sucht. Risto Kübar, den die Kammerspiele nach seinem furiosen Auftritt in „Three Kingdoms“ von Estland nach München engagierten, bleibt dagegen zu unbeholfen, um dem geheimnisvollen Val gerecht zu werden. Wie schon das Buhlen um Marlon Brando in der Stückverfilmung von 1959 der Figur nur wenig hinzufügte, so reicht Kübars klapprige Gelenkigkeit und sein zartes Stimmchen nicht aus, um den bedrohlichen Einschlag zu mimen, den seine Figur auf die poröse Oberfläche der Kleinstadt hat. Ähnlich problematisch gibt sich Sylvana Krappatsch als krakelende Carol Cutrere, die Madonna und Hure der Stadt, deren Unkonventionalität ihr Hausverbot innerhalb der Stadtmauern eingebracht haben. Bei Williams ist diese Figur ein geschlagener Geck, der versucht, der gnadenlosen Brutalität ihres ehemaligen Zuhauses einen zerbrochenen Spiegel vorzuhalten. Nübling macht aus ihr eine paranoide Rockerbraut, die ihre Tragik verliert, wenn Krappatsch permanent gegen ihren Text anschreit, statt dessen Fallhöhen entsprechend zu nuancieren.
Das Karussell nimmt über die zweieinhalb Stunden Premierenabend mehr und mehr Form an und die Hetzjagd gegen die Angst vor dem Anderen dreht immer engere Kreise. Dazu tritt von der dunklen Hinterbühne ein grotesker Todesclown im schwarzen Parka und mit bleichem Gesicht. Doch wie in Williams berühmter Parabel auf den Vogel, der sein ganzes Leben lang in der Luft bleibt und erst auf der Erde landet, wenn er stirbt, kann man den Tod nicht überwinden, wenn man ihn schon gestorben ist. Und so wählt Nübling als Schlussbild einen kräftigen Dobermann mit auftoupiertem Frauchen: der Bissigkeit der Ideologie einen Maulkorb anlegen zu wollen, das ist das ewige Scheitern, von dem dieser Abend erzählt.

„Orpheus steigt herab“ ist wieder zu sehen am 06., 09. Und 14.10.

Am 11.10. beginnt außerdem die Jubiläumsfeier mit Anekdoten, Lesungen, Diskussion und viel Party

Fotos: mk

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