Fashion-Ding, Leben

Fair-träglich: Faire Mode (nicht nur) in München

Juliane Becker

Der mediale Aufschrei war groß, als eine TV-Dokumentation im Oktober 2014 ein weiteres Mal „die billige Masche“ von H&M zeigte. Der schwedische Modegigant geriet bereits 2012 in die Schlagzeilen, als der ARD-Markencheck über die Arbeitsbedingungen in Bangladesch berichtete, wo auch H&M bis heute produzieren lässt.

Kinderarbeit, unfaire Bezahlung, gefährliche Chemikalien: das Geschäft mit billiger Kleidung fordert seinen Preis. Doch mittlerweile distanzieren sich immer mehr Kunden von Textildiscountern und entscheiden sich für eine nachhaltige und faire Produktion – die Organic Fashion-Branche boomt wie nie zuvor. Das Wort „Öko“ hat sich längst von seinem Jutebeutel-Image verabschiedet und erobert die Fashionlabels der Welt.

Das weiß auch Christine Frehe-Reynartz. 1995 eröffnete sie ihren Naturmoden-Shop in der Münchner Reichenbachstraße, damals ein absolut unübliches Geschäftsmodell. „Die Kundschaft hat sich definitiv verändert“, bestätigt sie, „früher kam eher das Ökomüsli-Publikum. Jetzt ist alles ein wenig schicker geworden“. Birkenstocksandalen und sackartige Pullunder sucht man tatsächlich vergebens, die Öko-Mode hat sich den aktuellen Trends angepasst und unterscheidet sich optisch kaum noch von den Produkten der Branchenriesen. Vorbehalte gegen Fair Wear existieren natürlich trotzdem noch. „Viele denken, sie könnten sich das nicht leisten. Dabei ist der Preisunterschied nicht besonders groß, es geht um vielleicht drei, vier Euro pro Stück“.

Ein paar Euro mehr zahlen und damit die Welt ein bisschen verbessern, das klingt eigentlich ganz einfach. Warum nimmt dann die Mehrheit der Bevölkerung in Kauf, dass ihre Kleidung unter teils menschenunwürdigen Bedingungen hergestellt wird? Svenja Kurzawa, Studentin der Bekleidungstechnik in Berlin, hat eine Theorie: „Wir sind eine Wegwerf-Gesellschaft. Viele denken, wenn meine Hose nur fünf Euro kostet, schmeiße ich sie eben in den Müll, sobald sie mir nicht mehr gefällt. Dass man auch nicht jede Woche shoppen gehen muss, kommt vielen gar nicht erst in den Sinn“. Insbesondere Labels wie Primark propagieren einen zügellosen Konsum von Kleidung. Die Qualität der Produkte ist bekanntermaßen mies, Käufer finden sich dennoch genug. „Es ist so billig, da ist es egal, dass das Zeug schnell kaputt geht“, sagt eine Kundin im Berliner Primark-Store, „dann kaufe ich mir eben was Neues“. Erst im Juli 2014 hatte der irische Mode-Retailer einen zweiten Shop am Alexanderplatz eröffnet.

(c) AURYN Naturmoden

Christine Frehe-Reynartz (c) AURYN Naturmoden

Dabei bedeuten teure Preise im Umkehrschluss nicht etwa faire Produktionsbedingungen: der größte Teil der Kosten für Markenprodukte fließt in Deutschland in die Werbung und in Ladenmieten. Auch Gütesiegel werden teilweile missbraucht, um einen erhöhten Verkaufspreis zu rechtfertigen. Bestes Beispiel sind dafür die aufstrebenden Biobaumwolle-Kollektionen der großen Textilanbieter. Zwar ist es richtig, dass durch den biologischen Anbau der Faser die Gesundheitsrisiken des Pestizidgebrauchs für die Bauern entfallen – bessere Handelsbedingungen gibt es für sie trotzdem nicht. Eine Zumutung, findet auch Frehe-Reynartz. „Es ist eigentlich so einfach, etwas zu verändern. Dieser Dschungel an Siegeln verwirrt den Verbraucher nur unnötig“. Wirklich verlassen könne man sich nur auf wenige Zertifikate. Das GOTS-Siegel steht beispielsweise für ökologischen Anbau und garantiert faire Arbeitsbedingungen bei allen Produktionsschritten.

 

Was muss nun geschehen, um Organic Fashion noch mehr in den Mittelpunkt der Gesellschaft zu rücken? „Es wäre natürlich wunderbar, wenn einer der bekannten Anbieter offiziell auf faire Produktion umsatteln würde“, sagt Kurzawa, „aber das ist wohl eher utopisch“.
Dennoch richtet sich die westliche Aufmerksamkeit immer gezielter auf die Textilfabriken von Bangladesch, Pakistan und China. Mit dem Einsturz des Rana Plaza in Sabhar 2013 erreichte die Tragödie der Billigproduktion ihren traurigen Höhepunkt, gleichzeitig gerieten Produzenten unter erheblichen Druck. Nie mehr solle ein solches Unglück stattfinden, so das einheitliche Credo. Seitdem wurden – zumindest auf dem Papier – an vielen Standorten die Gebäude überprüft und der Mindestlohn angehoben. Kleine Verbesserungen sind sichtbar, aber es gibt noch viel zu tun. „Fair ist eine Einstellung“, meint Frehe-Reynartz, „und diese Einstellung muss sich einfach festigen“. Vor allem aber muss die Naturmode mit der Zeit gehen. „Viele Marken sind noch in den 90ern stecken geblieben“. Wie man es richtig macht, zeigt das junge Label ArmedAngels, das 2007 von zwei Studenten gegründet wurde und sich schnell in der Fair Wear-Branche etablieren konnte. Das Erfolgsgeheimnis? Moderne Schnitte, transparente Produktion und ein großer Online-Shop. „Es gibt tolle Alternativen zu den herkömmlichen großen Marken“, stellt auch Kurzawa fest. Bleibt zu hoffen, dass wir irgendwann nicht mehr zwischen „fair“ und „normal“ wählen müssen.

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