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Heimat…Los!

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Kaum ein Begriff ist im momentan mehr im Gespräch als „Heimat“. Identifizierung, Zugehörigkeit und Sehnsucht sind bezeichnend für dieses ganz bestimmte Gefühl, das kaum erklärbar und greifbar scheint. Diesem top aktuellen Thema hat nun die Performance-Künstlerin Ceren Oran ein einstündiges, komplexes und abwechslungsreiches Stück gewidmet.

Vor 10 Jahren verließ sie ihre Heimat, die Türkei, um eine zeitgenössische Tanzausbildung in Salzburg zu beginnen. Seitdem pendelt sie zwischen Salzburg und München. Zurück in die Türkei möchte sie nicht, auch weil die Regierung dort Freiheiten einschränkt. Doch Deutschland ist noch nicht zu ihrer neuen Heimat geworden. Mit der Zerrissenheit zwischen der alten und neuen Heimat setzt sie sich in dem Stück auseinander – einer, ihrer, inneren Immigration. „Auch wenn man zwei „zu Hause“ hat, lebt man oft trotzdem zwischen den Welten und kann nichts wirkliche Heimat nennen.“

Das Stück ist in drei Kapitel unterteilt. „Heimat“, in „…“ und „Los!“.

Eine Staffelei steht auf der Bühne. Funda Gül Özcan (Visual Design / Videos) geht auf diese zu und beginnt auf einer Glasscheibe zu malen. Das Bild wird auf eine große Leinwand projiziert, die den Abschluss der Bühne bildet und nach und nach wird eine Häuserschlucht deutlich. Bis auf einen Haufen Erde bleibt der Rest der Bühne leer. Dann setzt türkische, orientalische Musik ein und Ceren Oran tanzt mit traditionellen Tanzschritten, stampfen, drehen mit ausgebreiteten Armen, verbunden mit moderner Technik vor der gemalten Kulisse. Die Musik wird immer lauter und turbulenter: Umweltgeräusche kommen dazu, dann Stadtgeräusche, Grölen, Jubeln, Stimmen, Donnern und Schüsse ertönen.

Ceren Oran unterbricht nun immer wieder den Tanz und verharrt vor der Leinwand, sodass Funda Özcan flüchtig ihre Silouette nachzeichnen kann, bis vier unterschiedliche Umrisse in der gezeichneten Häuserschlucht stehen.

Am Anfang des zweiten Kapitels werden Wasserspiele und Verfärbungen auf den Bühnenboden projiziert und nachdem sich die Tänzerin die Füße gewaschen hat, fängt sie an sich darauf zu bewegen. Es wirkt als laufe und tanze sie auf Wasser. Leicht abseits der Bühne steht Nihan Devecioglu (Komposition und Gesang) und spielt an einem eigens für das Stück konstruiertem Instrument. Zuerst ertönen Wassertropfen, dann ansteigender Gesang, bis es zu einer chaotischen Mischung aus Bässen, hoher Töne und Gesang wird.

Ceren fängt an den auf der Bühne liegenden Erdhaufen säuberlich zusammenzuschieben. Ganz genau und akribisch, um die Erde dann auf der Bühne zu verteilen und sie von Ort zu Ort zu verschieben. Es scheint, als würde sie diese erst zusammenhalten wollen, um sie vor dem Verfall zu bewahren und dann gezielt zu zerteilen. Die Erde vermittelt kann als Symbol für Heimat und Zugehörigkeit gedeutet werden. Ceren fängt an ihre Füße in die Erde einzugraben, immer wieder, um sich im nächsten Moment wieder daraus zu befreien, darauf einzustampfen und wieder einzugraben. Ein Wurzelschlagen, ein Kampf zwischen verankern und befreien. Währendessen steigert sich die Musik immer mehr, klingt nach Leid und Schmerz, bekräftigt durch die traurigen Töne der Sängerin. Licht aus… Ende.

Im letzten Kapitel wird dem Zuschauer ein Video vorgespielt, welches Ceren tanzend in einem Wald zeigt. Sie beugt sich über ein Stück „tanzender“, pulsierender Erde. Das Tanzen der Erde wird immer stärker und der Sound dröhnender, bis klar wird, dass die tanzende Erde durch den Schall des Bass erzeugt wird, der aus einem in der Erde vergrabene Lautsprecher dröhnt.

Heimat2

Die Erde bewegt sich: Heimat ist kein fester Begriff, nichts greifbares, im ständigen Wandel. Der Wald auf der Leinwand beginnt zu rotieren und Ceren tanzt wieder auf der Bühne. Viele Isolationen, Elemente aus Traditionstänzen aus der Türkei, stampfen, drehen, krabbeln über den Boden – der Wald rotiert immer schneller und schneller um sie. Es wirkt fast wie auf der Flucht, Flüchtlinge im Wald. Stimmen von Menschen werden in der Hintergrundmusik deutlich und erklären ihre Auffassung vom Begriff Heimat. Ceren tanzt immer ausgelassener und fängt an sich wie der Wald im Kreis zu drehen, den Kopf zu werfen, die Musik wird immer lauter und das Durcheinander steigert sich immer mehr. Plötzlich ist die Musik aus und Ceren singt auf türkisch ein altes Volkslied, das sie, wie sie später erzählt, mit Heimat verbindet.

Was bleibt? Ein sehr beeindruckendes Stück, welches die Zerrissenheit und Aufruhr der Künstlerin darstellt. Als jemand, der niemals seine Heimat in Frage stellen musste oder dieser entrissen wurde, erhascht einen Einblick darauf, was eine Entwurzelung in einem Menschen auslösen kann. Schön wäre gewesen, mehr von Cerens Tanz zu sehen, da sie eine sehr schöne Bewegungsqualität hat und den Zuschauer nach mehr verlangen lässt. Die Elemente Musik, Malerei und Film wurden zum größten Teil schön in das Stück integriert, wobei es bei einem 50 minütigen Stück schnell zu einer Reizüberflutung führen kann. Im Großen und Ganzen eine bewegende und aufwühlende Inszenierung, in dem das ungreifbare Gefühl von Heimat etwas greifbarer gemacht wird und einer schönen und starken Ceren Oran, die man gerne wieder auf der Bühne sehen möchte.

Einen kleinen Einblick gibt es hier.

Fotocredits (Headerbild): Unsplash

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