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„Holilend“: Über Segen und Fluch der Heimat
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Es ist gemütlich im kleinen theater…und so fort in einem Hinterhof der Uni-Gegend. Originelle Poster und charmante Bilder dekorieren die Wände, in knautschigen Sesseln neben der kleinen Bar haben es sich die Zuschauer mit einem Bierchen bequem gemacht. Es ist gemütlich, heimelig. Es ist dieses Gefühl des „Heimeligen“, der „Heimat“ dessen Sonnen- und Schattenseiten in Holilend genauer unter die Lupe genommen werden sollen. Durch eine Mischung aus Performance und gesprochenem Wort nähert sich das Stück auf räumlicher und metaphorischer Ebene Fragen über ein Thema, das uns alle betrifft: Was ist Heimat? Was für eine Rolle spielt die Herkunft? Was passiert, wenn man flüchten muss – und was, wenn man nicht flüchten kann? Regisseur Andreas W. Kohn und Choreograph Jan Lau spielen dabei mit einer spannenden Mischung aus Sprache und Bewegung, und präsentieren so „ein Stück in drei Akten und drei Choreographien“. In den Hauptrollen: Isabelle Cohn, Heiko Dietz – und die „Heimat“ selbst.
Heimat: Besitz und Besessenheit
“Der Irrtum ist menschlich. Glücklicherweise ist er nur selten von langer Dauer. Dieser Irrtum währte gerade einmal sieben Jahre und wäre nun behoben. Wir wollen nicht weiter davon reden.” Diese ersten Sätze des Stücks werden von Johanna (Isabelle Cohn) gesprochen, einer jungen deutschen Frau, die nach Hause zurückgekehrt ist, zurück auf das Grundstück Ihrer Großeltern, ihr persönliches „holy land“. Sie hat das Land gekauft – es gehört nun ihr.
Der Übergang von Besitz zu Besessenheit kann jedoch auch fließend, unheilbringend, (selbst-)zerstörerisch sein. Zunächst überwiegt jedoch die Glückseligkeit der Heimkehr, und auch die Heimat selbst scheint Johanna vorerst günstig gewogen zu sein. Doch das Land liegt brach, es hat schon lange nicht mehr geregnet, und die angebauten Pflanzen wollen einfach nicht gedeihen. Und immer wieder fällt auf: das Ideal der Heimat spielt in der Vergangenheit – nicht der Gegenwart. Es sind die Erinnerungen an die Kindheit bei den Großeltern, die Schlachtplatte, das Gackern der Hühner, die für Johanna „Heimat“ bedeuten.
Heimat: Flüchtlinge und Nomaden
Was passiert, wenn dieses Konzept der Heimat, der Tradition, plötzlich gestört wird? Flüchtlingsbewegungen kündigen sich an, und unter Johanna und ihren Nachbarn macht sich Unbehagen breit. „Was sollen die denn hier? Die verstehen unsere Heimat doch gar nicht!“ Als der Fremde (Heiko Dietz) aus dem fernen Afrika letztendlich bei Johanna erscheint, sieht sie jedoch auch seinen Nutzen: denn er könnte ja einen Brunnen für sie ausheben, der ewigen Dürre entgegenwirken und so eine Lösung für ihr Problem finden. Noch bevor der Brunnenbau wirklich begonnen hat, stellen sich aber ganz andere Fragen: Wer bist Du? Woher kommst Du? Und können wir vielleicht doch zueinander finden? Doch der Fremde zieht nach geglückter Integration, wie ein Nomade, weiter – und lässt eine verzweifelte Johanna zurück. War er ihr nicht etwas schuldig? Und, noch wichtiger, ist ihr Land ihr nicht etwas schuldig? Ihr Besitz, ihre Heimat, in die sie doch so viel Liebe hineinsteckt, die sie aber trotzdem mit Unfruchtbarkeit bestraft?
Heimat: „wir“ gegen „die“
Intensiv und anschaulich beschäftigt sich das Stück mit der Frage nach der Bedeutung von „Heimat“: ist das Gefühl von „Heimat“ real, oder nur eine Illusion? Was ist der Unterschied zwischen Nomaden und Flüchtlingen? Über all diesen Fragen schwebt das ständige bevorstehende Unheil. Doch anstatt aktiv etwas zu ändern, wartet Johanna auf ein Wunder: den Regen, der ihr Land wieder fruchtbar macht, so wie das früher war, als die „Heimat“ noch „Heimat“ war. Erst nach der Apokalypse, als es schon zu spät ist, sieht sie ein, dass etwas hätte getan werden sollen – allerdings nicht das Errichten eines Brunnens, sondern das einer Mauer. Angeblich, um das Stück Heimat vor dem erbarmungslosen Wind der Veränderung zu schützen, der über das Fleckchen Land hinwegzieht – aber auch um all das „Fremde“, das „Andere“ draußen zu halten. Die Heimat zu verlassen kommt für Johanna jedoch nicht in Frage, sie will ihr Land wieder neu aufbauen, und gleichzeitig eine neue, bessere Gesellschaft aufbauen. Holilend greift so geschickt aktuelle gesellschaftspolitische Themen auf, denn Schlagworte wie „Flüchtlingskrise“ und „Patriotismus“ sind aus dem öffentlichen Diskurs derzeit nicht mehr wegzudenken. Kritik übt das Stück jedoch auf eine subtile, intelligente Art und Weise, die zum Nachdenken animiert: was bedeutet Heimat eigentlich für mich? Ist mir meine Herkunft wichtig? Und könnte ich meine Heimat hinter mir lassen, wenn ich müsste?
Wo: theater … und so fort, Kurfürstenstr. 8, 80799 München
Wann: 29.09., 30.09., 01.10. (jeweils um 20:00 Uhr)
Wie viel: 10 EUR (ermäßigt), 15 EUR (regulär)
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Bilder: @Peter Cohn
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