Kultur, Nach(t)kritik
Ich und die Anderen
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„Die wissen alles über mich. Aber jetzt dreh ich den Spieß rum.“ Auf den Brettern, die hier die künstliche Welt des Internets bedeuten, führen Antje Schupp und PUBLIC REPUBLIC, vor, wo deren Grenzen liegen. Wer sich entspannt in den Zuschauerrängen zurücklehnt, glaubt vielleicht noch am ehesten sich dem Irrsinn der Selbstpreisgabe entziehen zu können. Von wegen. „Ich“ bin da drüben.
„Ihr Leben ist ihr Marktwert!“, trällert die Datenbegeisterte überschwänglich. Die Teilnehmer hatten vorab ein Anmeldeformular ausgefüllt und darin von Familienstand bis Handynummer alles feinsäuberlich mit Ort, Datum und Unterschrift preisgegeben, zum Zwecke der Optimierung im Umgang damit. Wie viele im Saal haben wohl gelogen? Wer hat zumindest einen flüchtigen Blick auf die AGB’s geworfen? Aber was soll’s – man befindet sich ja im Theater, einem künstlichen Raum, stimmt’s?
Während all dessen können die Zuschauer auf einer Leinwand verfolgen, wie die in einem albernen Schrank verschanzte technische Gehilfin sich durch alte Klassenfotos der Anwesenden googelt. Ein „Mitarbeiter“ improvisiert daraus Persönlichkeiten und gleicht sie schließlich mit den wirklicheren Zuschauern ab. Die Person verschiebt sich dabei stets leicht, aber die Atmosphäre ist heiter, schenkeklopfend, versöhnlich, unheimlich „personalised“. Im Netz beliebig austauschbarer Persönlichkeitsmomente darf es einen verbindlichen Ernst nicht geben. Einen Bühnengraben ebenso wenig. Als ein zufällig unter den Zuschauern anwesender Berliner Schauspieler sich im Gespräch mit dem freundlich plaudernden Mitarbeiter als „noch zu haben“ outet, wagt Antje Schupp, plötzlich ganz verschreckt, die Frage, ob sie nicht zu alt für ihn sei. Gott sei Dank, sie versöhnt sich gleich mit sich selbst: „Fürs Internet ist man nie zu alt.“ Auf der Leinwand sehen wir währenddessen den jungen Berliner freizügig in weißen Stoff gekleidet – seine Homepage. Es werden Snacks gereicht. Soll ich mir den Knabber-Industrie-Müll oder das gehaltvolle Karottenstückchen einverleiben? Wie komm ich rüber, auf die andere Seite?
Schüchternheit, Schweigen, dunkle, womöglich abgründige Flecken sind nur noch Potential, wollen durch ermunternde Fragen marktoptimiert ausgefüllt werden, wenn einer der Ergoogelten Fragezeichen in seiner Online-Persona hat. Warum der jetzt auf die Bühne projizierte Münchner Musiker früher so düster rüberkomme, mit diesem finsteren Bart? – Wen kümmert’s, er hat ja Kraft daraus geschöpft und das Lied „On the countryside“ geschrieben. 12 people like this. Und die anderen? Alle Augen sind auf ihn gerichtet, wehren kann er sich nicht, aber keiner will ihm Böses. Überhaupt – die passive Mehrheit der Unbeteiligten, die nichts preiszugeben wähnt: „Phantastisch!“, ruft Antje Schupp. Und macht aus der stummen die „kritische“ Masse. Der Brandmarker kann einfach nicht anders. „Everything under control“, ruft die Datensicherheitsbeauftragte durchs Fenster.
Der Takt und Gehalt des weiteren Abends wird durch das Internet vorgegeben. Schnell, sprunghaft, absurd überdreht, informativ, immer entertaining. Letztlich weiß man nie, was eigentlich gespielt wird. Dass sich auch alles ins Gegenteil verkehren kann, liest man den zu lustigen Gesichtern der „Mitarbeiter“ nur als implizite Kehrseite ab. „Don’t be evil!“ – Aber warum sich dann ständig daran erinnern müssen? Irgendwann wird zusammengerechnet. Die bisher gesammelten Daten ergeben einen Marktwert von 6025 €. Es kommt zur ersten Devisenausschüttung in harten, roten Münzen, sie erinnert ein bisschen an die Verteilung der Hostie. Doch damit ist die letzte künstliche Kulisse noch nicht gefallen.
Weitere Termine, an denen Public Republic aufgeführt wird, sind Freitag und Samstag, der 22. und 23. Juli, jeweils um 20.30 Uhr in den Pathos Ateliers, Dachauer Straße 112d. Eine Anmeldung ist erforderlich unter 0152/ 05435609 oder hier.
Foto: Regine Heiland
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