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“Ich watsche nicht ab! Ich kritisiere!”

Hannes Kerber
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Friedrich Wilhelm Graf ist einer der führenden liberal-protestantischen Theologen der Bundesrepublik. Im Interview mit mucbook spricht der Professor für Systematische Theologie und Ethik an der LMU über die selbstgebaute Moralfalle, in der sich beide Kirchen momentan befinden.

FrGraf

In ihrem neuen Buch haben Sie ein Foto eines Werks des Künstlers Martin Kippenberger abgedruckt, das einen ans Kreuz geschlagenen Frosch zeigt. 2004 nutzte das Münchner Volkstheater das Bild für ein Theaterplakat. Nach starkem Protest seitens der katholischen Kirche, aber auch durch Christian Ude, wurde es zurückgezogen. Ein ähnliches Plakat bei der Regensburger Bewerbung als Kulturhauptstadt führte zur vorläufigen Aufkündigung der Zusammenarbeit der Domspatzen mit der Stadt. 2008 gab es dann in Bozen einen Skandal um das gleiche Werk. – Was stört so?

Die Verfremdung religiöser Symbole erregt bei frommen Leuten immer Irritation oder Ärger. Religiöse Symbole sind zwar in sich hochgradig interpretationsoffen, aber ganz klar ist: Das Kreuz steht für den christlichen Glauben. Insofern gehen Künstler, die ironisch dieses Symbol verfremden, ganz natürlich das Risiko öffentlichen Unmuts ein. Das wollen sie ja auch. Das ist ein Teil der Bildkämpfe, wie wir sie in allen Kulturen kennen. Dass die Regensburger Domspatzen damit nicht gerne identifiziert werden wollen, kann man sich doch gut vorstellen.

Der Protest kam dabei fast ausschließlich von katholischer Seite. Liegt das eher an der katholischen Dominanz im Süden oder ist der Protestantismus offener gegenüber der Verfremdungen religiöser Symbole?

Das hat sehr viel zu tun mit dem religiösen und kulturellen Gedächtnis von Katholiken und Protestanten. Im Protestantismus ist Streit um das Bild seit den Anfängen der Reformation ein wichtiges Thema. Man kann etwas zugespitzt sagen: Der Protestantismus ist eine Ohrenreligion und der Katholizismus eine Augenreligion. Deshalb ist verständlich, dass die Verfremdungen im Medium Bild für katholische Fromme besonders anstößig sind. Man muss festhalten: Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Kirchen über sehr viel politischen Einfluss und politische Macht verfügen. Wir leben in einer Gesellschaft, in der es sehr viele feige Politiker gibt, und die möchten eines nicht: Dass sich religiöse Akteure als irgendwie marginalisiert wahrnehmen. Der vorrauseilende Gehorsam, etwa wenn ein Oberbürgermeister Druck nach Innen ausübt, damit er keinen Streit mit dem Erzbischof bekommt, ist etwas zu tiefst Irritierendes.

Wenige Wochen nach dem Skandal um den gekreuzigten Forsch gab es wieder Aufruhr um ein Plakat des Volkstheaters: Papst Johannes Paul II. war mit einer Elefantenmaske dargestellt. Wieder kam die Kritik von Katholiken. Würde aber der Protestant nicht auch aufschreien, wenn man Bischöfin Käßmann mit einer Flasche Whiskey zeigte?

Das ist jetzt ein schwieriges Beispiel, weil ich nicht weiß, ob sie Whiskey oder Wein getrunken hat. (lacht) Aber: Der reflexive Umgang mit Religion ist in protestantischen Kulturen viel weiter akzeptiert. Das hat viel mit religiösen und theologischen Traditionen zu tun, aber es gibt auch im Protestantismus Kreise, bei denen man nicht gerade von einer Offenheit gegenüber Kritik oder Selbstkritik sprechen kann.

Oft wurde in den Debatten mit dem Gebot argumentiert: „Du sollst dir kein Bildnis machen!“ Wie aktuell ist dieses Gebot?

Die Frage ist extrem aktuell, weil wir in der Gegenwart harte Bilderkämpfe erleben. Denken Sie nur an die Auseinandersetzungen um die sogenannten Mohammed-Karikaturen in Südjütland. Überlegen Sie sich, was für eine Reaktion diese gar nicht so besonders originellen Karikaturen in einer dänischen Provinzzeitung provoziert haben. Bilder entfalten eine eigene Aura. Religion und Bild ist ein komplexes und konfliktreiches Thema, weil wir Religionskulturen kennen, in denen die Verbildlichung Gottes sehr streng unter Tabu gestellt ist.

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Friedrich Wilhelm Graf: “Missbrauchte Götter”

In Ihrem neuen Buch gehen Sie von der Bobachtung aus, dass Menschenbilder, die immer sehr eng mit Götterbildern verbunden sind, der „Begründungsjoker“ in allen ethischen und auch rechtlichen Debatten geworden sind. Was kann man gewinnen mit der Rede vom „christlichen Menschenbild“?

Der „Begründungsjoker“ wird im deutschen Diskurs inflationär verwendet. Wem gar nichts mehr einfällt, dem fällt zumindest noch die Formel „christliches Menschenbild“ ein. Oft wird dann gemeint, jetzt sei alles gesagt. In meinen Augen ist das eine Hohlformel. Darauf möchte ich gerne als kritischer Intellektueller aufmerksam machen: Dieser Joker wird andauernd auf den Tisch gelegt, ohne dass man damit eigentlich etwas gewinnen kann.

Zu diesem Thema gehört Ihre Beobachtung, dass alle von dem einen Gott reden und doch nur ihre eigenen Interessen meinen?

Diese Beobachtung ist eine religionsdiagnostische: Wir führen in der Bundesrepublik seit einigen Jahren eine Monotheismusdebatte. Der von mir sehr geschätzte Heidelberger Ägyptologe Jan Assmann hat die These vertreten, dass es einen inneren starken Zusammenhang von Monotheismus und Religionsgewalt gibt. Das glaube ich nicht. Auch in nicht monotheistischen Religionskulturen findet sich sehr viel religiös motivierte Gewalt. Ich bin auf die Idee gekommen, etwas anders über den Monotheismus nachzudenken: Indem ich die allzu übersichtliche Opposition zwischen Monotheismus hier und Polytheismus dort dekonstruiere. Ich sage: Das, was wir gemeinhin Monotheismus nennen, ist selbst polytheistisch organisiert, weil wir in der Moderne erleben können, dass bestimmte soziale Gruppen sich den einen Gott der Christen, Juden, Muslime so zu eigen machen, dass sie ihn für ihre gruppenspezifischen Bedürfnisse gleichsam privatisieren: Der eine Gott in vielerlei Gestalt.

Sie reden so, als seien Sie kein protestantischer Theologe, sondern nur ein kritischer Intellektueller!

Das Eine ist ja nichts anderes als das Andere. Ich nutze meine theologische Deutungskompetenz, die ich mir hoffentlich erarbeitet habe, um mit religiösen Entwicklungen der Gegenwart kritisch und distanziert umzugehen. Religion ist nicht etwas Gutes oder etwas Schlechtes, sondern es gibt solche und solche Religionen. Es gehört zur Aufgabe des Theologenintellektuellen, auch den Missbrauch von Religion zu analysieren.

In „Missbrauchte Götter“ watschen Sie Johannes Friedrich und Margot Käßmann sogar für die theologisch unsaubere Begründung der Menschenwürde ab. Gehört das auch zur Aufgabe des Theologenintellektuellen?

Ich watsche nicht ab! (lacht) Ich kritisiere! Der religionspolitische Diskurs einer Gesellschaft lebt davon, dass Positionen prägnant markiert werden. Die Kirchen sind zu wichtig, als dass man sie einfach sich selbst überlassen darf. Deshalb ist Kirchenkritik für eine offene, pluralistische und liberale Gesellschaft etwas sehr, sehr wichtiges, auch wenn die Akteure das oft nicht wollen und merken. Denken Sie an den peinlichen Auftritt von Herrn Zollitsch, der gesagt hat, der Staat verfolge die Kirche! Da kann ich einfach nur lachen! Wer einer Bundesjustizministerin ein Ultimatum stellt, lässt erkennen, dass er bestimmte Spielregeln der parlamentarischen Demokratie nicht verstanden hat. In dem von Ihnen bezeichneten Fall habe ich darauf hingewiesen, dass die Art, wie prominente protestantische Kirchenvertreter von der Menschenwürde reden, wenig theologische Nachdenklichkeit erkennen lässt. Ich halte beide nicht für besonders gute Theologen.

Sind die Kirchen überfordert mit der medialen Dauerpräsenz?

Ich möchte die Frage gerne differenzieren: Die Kirchen haben sich dadurch in eine sehr schwierige Lage gebracht, dass sie fortwährend über den Kommunikationscode Moral kommunizieren. 1799 hat Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher ein wunderschönes Buch anonym publiziert: „Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern“. Dort wird dieser bedeutende liberal-protestantische Theologe nicht müde, immer wieder einzuschärfen: Religion ist weder Metaphysik, noch Moral. Aber die Unterscheidung von Religion und Moral ist in den Kirchen leider nicht wirklich angekommen. Deshalb erleben wir so viele öffentlich moralisierende Spitzenkleriker und Kirchenfunktionäre. Dieses Rummoralisieren in der Öffentlichkeit ist aber ganz gefährlich, weil man dann eines Tages mit den eigenen moralischen Sollensforderungen konfrontiert wird. Dann kann man mit einem Missbrauchsskandal nicht offen, transparent umgehen, weil man über gar keine analytischen Begriffe und diagnostischen Instrumente verfügt, um ihn zu erklären. Dann kann man auch mit dem peinlichen Vorfall, dass eine Bischöfin offenkundig angetrunken Auto fährt, nicht gut umgehen. Die Kirchen sind, ich sage das jetzt zugespitzt, in eine von ihnen selbst gebaute Moralfalle gelaufen. Ich persönlich kann das öffentliche Moralisieren nicht gut ertragen. Wenn die Kirchen religiöse Kommunikation durch moralische Kommunikation ersetzen, reagieren sie auf eine durch Differenzierung geprägte soziale Umwelt wenig klug.

Vielen Dank für das Gespräch.

Friedrich Wilhelm Graf: “Missbrauchte Götter. Zum Menschenbilderstreit in der Moderne.” C.H. Beck 2009. 208 Seiten (mit 31 farbigen Abbildungen). Klappenbroschur. 18 Euro 90.

(Fotos: lmu.de und C.H. Beck Verlag)

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