Aktuell, Leben

Kein Raum mehr

Medienveranstaltung, Gespräche am Dinnertisch und auf der Damentoilette: „Die Menschen brauchen das! Diese Events haben so gefehlt! Die Menschen wollen das!“ Aber wollen die Menschen das wirklich?

Natürlich, die ersten Wochen der Covid-19-Pandemie waren hart. Die Coronazeit bedeutete den Rückzug von Veranstaltungen, bei denen der Schweiß von der Decke tropfte. Im Sommer 2021 bemühten sich daher die Münchner Clubs um ein umfangreiches Outdoorprogramm. Deutlich stärker als 2020, wo selbst in warmen Monaten noch viel gestreamt wurde. Trotz hochkarätigen DJs: Von Schweiß keine Spur, bei der Kälte und dem Dauerregen.

Und dann der Befreiungsschlag: Markus „Tanzen Sie doch im Wohnzimmer mit Ihrer Frau!“ Söder erlaubte die Öffnung der Clubs zum 1. Oktober. Ich fragte meine Freund*innen, ob das wirklich in ihrem Sinne gewesen sei. Sie berichteten von einem gar emotionalen Moment, auf einer Technoparty einzutrudeln. Aber auch von übertrieben viel los. „Es war eine komische Utopie, alles wirkte recht falsch!“, erzählten sie von diesem intensiven Erlebnis. Ich denke mir beim Dessert, ob ich mich je wieder daran gewöhnen kann, mir die Nacht in einer Großraumdisko um die Ohren zu schlagen. Brauche ich das überhaupt?

Bayerisches Wirtshaus, Ausstand mit 3G-Regelung

Bei einem sehr groß angelegten Ausstand ein paar Tage später frage ich meine Kollegin, wie sie das so finde, wie dicht an dicht wir gerade alle in einem Restaurant stehen. Der Lärmpegel gleicht dem im Großraumbüro, nur sind noch mehr Menschen anwesend. Zur Abwechslung schreien wir uns über Schlager hinweg an – statt in unsere Teams-Calls hinein. Und trinken dabei in rauen Mengen. Das Stichwort Alkohol war vermutlich auch der Grund, weswegen die Öffnung des Nachtlebens so stark in seiner Gänze hinausgezögert wurde. Unter Alkoholeinfluss kann man 1,50-Meter-Abstand noch schwerer abschätzen – oder sich überhaupt daran erinnern.

„Das ist doch die Normalität!“, sie ist fast entrüstet, dass ich an der Richtigkeit zweifle. „Außerdem, letztes Wochenende in Budapest …“ Ja, klar. Andere Länder, andere Corona-Sitten. Immerhin ist der große Vorteil daran, dass wir alle zusammen sind genau dieser: Dass wir alle zusammen sind. Wir sehen die komplette Mimik und Gestik, wir können den anderen (manchmal leider) riechen. Nur so kann der Funke richtig überspringen. Egal, ob aus Fremden Freunde werden oder aus Ideen Projekte. Der Normalzustand ist sozusagen der Anti-Freiraum, zumindest in einer hochtourigen Turbo Großstadt. Früher haben wir das auch nicht in Frage stellt.

Auf dem Heimweg, ohne Maske

Auf dem Weg nach Hause gehe ich an einer Bar vorbei. Dort, wo jeder brav an seinem Platz sitzt, wurde sich einst in den Gängen der Räumlichkeit dicht gedrängt. Ein Gewirr aus Menschen, die verzweifelt nach dem Barkeeper riefen.

Am Bahnsteig meiner U-Bahn angekommen, ist dieser gut gefüllt, wie eigentlich schnell wieder nach der allerersten Ausgangssperre. Ich werde angestoßen und checke direkt danach paranoid, ob mein Geldbeutel noch da ist. Klar, im Grunde war diese Enge schon immer unangenehm, wir entdecken sie nur gerade neu. Oder hat wer vor 2020 schon gerne den warmen Atem des Menschen hinter einem an der Supermarktkasse im Nacken gespürt?

Die ganze Sache mit dem Abstand wäre auch eine Chance gewesen. In Japan beispielsweise darf nur der mit dem Shinkansen fahren, der auch ein Sitzplatzticket hat. Ergo löst das zumindest auf diesen Zugstrecken das Problem der Überfüllung ungemein. Nur, weil es geht, muss man die Gänge ja nicht vollstopfen. Verrückt, Deutsche Bahn, oder?

Es ist eben nicht nur die Enge, da ist ja auch dieses Virus. Zunächst schreckte man vor dem Hochfahren des normalen Lebens hoch, weil viele Locations einfach schlecht durchlüftet sind. Das haben Schulen und Clubs gemeinsam. Ein Ort davon musste aber unbedingt schnell geöffnet werden. Ja, die Kinder und Jugendlichen haben unter den Maßnahmen der Pandemie gelitten; die Club- und Kulturszene aber am härtesten. Vielleicht brauchen die Menschen nämlich nicht die Ansammlung, aber eben den kulturellen Input.

Und diesen gewährleistet nur der Impfschutz. Dieser wiederum scheint der einzige Haken, der die Konzertkultur weiterhin zurückhält. Auch wenn die Clubber*innen kommen und gehen – so ein volles Olympiastadion ist eine ganz anders zu kontrollierende Hausnummer. Ich checke in der U-Bahn mein Handy. Gerade wurde die Tour der Wombats zur neuen Platte angekündigt; nicht auszudenken, wie wir da alle im Mai wild tanzen und springen sollen. Normalerweise würde da ganz sicher Schweiß von der Decke tropfen. Da gab sogar die Budapestrückkehrerin heute Abend zu: „Stimmt, das wird wirklich richtig komisch, wenn man wieder auf Konzerte gehen kann …“

Aber sonst hat sie schon Recht. Das ist die Normalität – wir bewerten sie nur zu stark. Alles ist wie immer. Es hat sich nichts geändert, egal, wie sehr man das für diese Pandemie prognostiziert hatte. Vielleicht beurteilen wir es sogar daher so vehement, damit die letzten zwei Jahre nicht umsonst gewesen sind. Aber wir haben halt nichts gelernt.

Party in einer Bar mit 2G-Regelung, getestet, im 14. Stock

„Die Menschen brauchen das. Sie möchten feiern!“, höre ich zum wiederholten Mal an diesem Abend, während ich einen Gin Tonic trinke. Gleichzeitig stoße ich mit meinem Rücken gegen den meines Hintermanns und erschrecke mich leicht.

In diesem Moment durchfährt es mich: Letztlich beschweren wir uns doch sowieso die ganze Zeit nur! Menschen, die sich während der Pandemie trennten oder schwere Schicksalsschläge erlebten, wie ihre Lieben zu verlieren, erfuhren, wie es ist, nicht umarmt zu werden. So eine fehlende unterstützende Geste ist hart!

An diesem Abend in diesem 14. Stock wird mich noch ein betrunkener Student herzlich umarmen, einfach so. Und irgendwie werde ich mir in diesem Moment denken: „Die Menschen brauchen das!“


Fotos: © Jasmin Frey

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