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Küsse und Bisse: Kleists „Penthesilea“ im Pepper Theater

Caroline Giles

 

Einmal rundherum, wie um eine Arena, sitzt das Publikum um die kleine Bühne des Pepper Theaters verteilt, keinen Meter vom Schauspiel entfernt. In dieser Arena ist bereits Schreckliches geschehen – und es wird noch Schrecklicheres geschehen. Mitten aus dem Publikum steht plötzlich eine junge Frau (Rebecca Thoß als „Meroe“) auf: „Wohlan“. Kommentarlos entkleidet sie sich, kniet sich vor den Wasser-Eimer in der Mitte der Bühne, und beginnt sich zu waschen – erst besonnen, ruhig, dann immer besessener. Sie versucht das abzuwaschen, was ihr angetan wurde: eine Vergewaltigung.

Kleists Stück beginnt in dieser Adaption also nicht auf dem Schlachtfeld vor den Toren Trojas, sondern zeigt aus weiblicher Sicht die Schrecken des Krieges auf, der in der massenhaften Vergewaltigung der Skythen-Frauen durch die Griechen und dem Entstehen des Amazonen-Volkes endete.

Inszeniert von Regiealsfaktor und produziert vom Haus der kleinen Künste e.V. , haben Regisseur Dominik Frank sowie Dramaturgin Lisa Grinda gemeinsam mit ihrem Schauspiel-Ensemble eine moderne (aber wortgetreue!) Adaption von Kleists Klassiker auf die Bühne (oder eher in die Arena?) gebracht. Was das Publikum erwartet? „Nacktheit!“ verrät uns Dramaturgin Lisa. Von bloßer Provokation ist das Stück jedoch weit entfernt: „es geht uns tatsächlich vor allem um die Arbeit mit Kleists Text“, fügt Regisseur Dominik hinzu.

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“Küsse und Bisse”: Neue Adaption von Kleists Klassiker

Eins vorweg: Kleists „Penthesilea“ ist berühmt-berüchtigt für seine komplexe, ja gar verwirrende Handlung. Sie basiert auf dem griechischen Achilles-Mythos und ist dementsprechend schwierig zu inszenieren und nachzuvollziehen. „Falls Sie zwischendrin den Anschluss verlieren sollten – das ist ganz normal!“ erklärt Dramaturgin Lisa dem gespannten Publikum vor dem Beginn des Stücks lachend. „Und wenn Sie einmal nicht wissen sollten, über wen gerade gesprochen wird – in 95% der Fälle ist es Achilles!“

Unter ihrer Königin Penthesilea (Marie-Sophie Ernst) beschließt das Frauen-Volk der Amazonen also, den Trojanern im Krieg gegen die Griechen beizustehen – oberstes Ziel der Amazonen-Königin ist dabei ihr Sieg über den Anführer der Griechen: Achilles (Danijel Szeredy, der auch schon in „Short Eyes“ und „ANGST_ESSEN“ mitgewirkt hat). Als sich die beiden begegnen, kommt es jedoch anders: der griechische Heeresführer weckt in Penthesilea Gefühle, die sie nicht versteht, und die von ihren weiblichen Mitstreitern (Anna Raisich als Protoe, Alena Vaida als Asteria) nicht gebändigt werden können. Es folgt: ein Missverständnis – gekränkter Stolz – Wahnsinn – Tragödie.

“Küsse, Bisse, das reimt sich, und wer von Herzen liebt, kann schon das eine für das andre greifen…” In ihrem Wahn – und von der Angst getrieben, von einem Mann besessen zu werden – tötet Penthesilea den Griechen und reißt seinen Körper mit ihren Zähnen in Stücke.

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“Die Busenlosen”: feministische Kritik und Feminismus-Kritik

Im Zentrum der Adaption steht die Diskussion über die Bedeutung des Feminismus in Kleists Theaterstück. Um die Rollen der vier Hauptdarstellerinnen weiter in den Fokus zu rücken, haben Regisseur Dominik und Dramaturgin Lisa sich dazu entschieden, alle männlichen Rollen bis auf Achilles komplett aus dem Stück zu streichen. Die weiblichen Rollen in „Penthesilea“ sind für die deutschen Dramen des 19. Jahrhunderts tatsächlich einzigartig. Er ragt heraus, weil in ihm “eigenständige Frauen eigenständig handeln”, erklärt Lisa.

Jedoch kritisiert das Stück auch Radikalisierung jeglicher Art: „ein Staat, ein mündiger, […] ein Frauenstaat“ kann so nicht funktionieren. Vielmehr sollte es darum gehen „weibliche“ Stereotype zu hinterfragen und Frauen aus ihrer Opferrolle zu befreien. Wie ein roter Faden zieht sich so beispielsweise das Bild des weiblichen Busens durch das Theaterstück. Schon im Foyer des Theaters wird man mit sinnlichen Fotografien (von Lisa Grinda, Künstlername Lisander) der nackten Schauspieler/innen konfrontiert. In einem Akt des Protestes entfernen sich die Amazonen ihre rechte Brust (in der Inszenierung wird die Brust durch Klebeband zum Verschwinden gebracht) – brechen mit ihrer Weiblichkeit, um im Kampf besser mit Pfeil und Bogen hantieren zu können.

Souverän und intensiv bestreiten die fünf Schauspieler in der Mitte der Arena Kleists Klassiker, füllen den kleinen Raum ideal aus. Den verschachtelten Originaltext – laut Regisseur Dominik eine der größten Herausforderungen der Produktion – erwecken die Darsteller absolut überzeugend zum Leben. Man kann nur hoffen, dass man von Marie-Sophie, Anna, Rebecca, Alena und Danijel in Zukunft noch viel zu sehen bekommen wird!


Beitragsbild/Fotos: © Lisa Grinda/Lisander

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