Leben

Leben in der Box

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Umzugskartons

Weggepackt und abgestellt. Selfstorage ist die Lösung für die mobile Gesellschaft: Ein Lager mieten und alles reintun, was man nicht braucht. Stapeln üben – und das ganz ohne Schweiß.

„Meiner ist viel stabiler“, sagt Andreas Walbrunn. „Aber nicht so schick wie meiner“, entgegnet seine Freundin Doris Bülles. Die Münchner wollen zusammen ziehen. Aus zwei Haushalten wird einer, da hat nicht alles Platz. Vieles gibt es doppelt – die beiden Kleiderschränke etwa, von denen sie sich nicht trennen können. Seinen Couchtisch haben sie schon zum Sperrmüll gebracht, ihren Ikea-Sessel auch. Aber die Schlafzimmermöbel wollen sie nicht wegwerfen, Kühlschrank und Waschmaschine auch nicht. Wer weiß, wie das klappt mit der gemeinsamen Wohnung. Bei MyPlace in München-Giesing mietet sich das Paar nun ein drei Quadratmeter gro-ßes Lagerabteil. Die Lösung: Ihr Spiegelschrank kommt in die Wohnung, sein Eichenschrank ins Lager.

Ein großes Gebäude, und darin lange Gänge mit bis zu Tausend Türen: Früher war das ein düsteres Szenario für Science-Fiction-Filme. Heute ist es die Lösung für die Probleme, die eine rastlose Gesellschaft aufwirft: Self-storage. Hinter jeder Tür versteckt sich ein Lager, das bis zu 50 Quadratmeter groß ist.

Gründe, so eine Lagerbox zu mieten, gibt es viele. Paare ziehen zusammen, trennen sich. Das neue Haus ist noch nicht fertig zum Umzug. Heute muss man mobil sein, geht für die Firma nach Singapur, legt ein Auslandssemester ein. Und wechselt ständig die Wohnung. Die Menschen haben mehr Freizeit, Surfbretter, Skier und Motorräder. Laut einer Emnid-Umfrage hat jeder vierte Haushalt zu wenig Stauraum. Die schönen Sachen wegwerfen? Auf keinen Fall. Selfstorage ist ein Symptom unseres modernen Lebensstils. Wir sind flexibler, binden uns nicht mehr an eine Wohnung, an eine Stadt. Nichts ist endgültig; deshalb packen wir Teile unseres Lebens auf Standby in den Container.

Luigi Tortora ist Italiener und kocht leidenschaftlich gerne. Die wichtigste Zutat: Olivenöl extra vergine – „sonst kann man das Kochen vergessen“. Aber seine Wohnung ist zu klein, er hat keinen Keller. Deshalb lagern zehn Kartons mit Öl und zehn mit italienischem Rotwein in seinem AbteilNummer 1156. Das muss reichen, bis er wieder in die Heimat fährt.

1970 eröffnete der Unternehmer Chuck Barbo in den USA das erste Selbstlagerzentrum. Heute sind es dort mehr als 37 000. Nach Deutschland kam die Idee erst um die Jahrtausendwende, mittlerweile gibt es 59 Anlagen. „Damit ist der Bedarf aber noch lange nicht gedeckt“, sagt Martin Brunkhorst, Geschäftsführer des Marktführers MyPlace und Sprecher des deutschen Selfstorage-Verbands. Der Jahresumsatz der deutschen Branche liege im dreistelligen Millionenbereich. In den Jahren 2008 und 2009 sei der Markt um jeweils 30 bis 40 Prozent gewachsen. „Deutschland ist der internationalen Entwicklung noch sehr hinterher“, sagt er. Auch in den kommenden Jahren werde die Branche bis zu 25 Prozent wachsen. In München ist die kleinste Lagerbox 1,25 Quadratmeter groß und drei Meter hoch. 16 Umzugskartons haben darin Platz. Für vier Wochen kostet die Miete 48 Euro. Als Faustregel gilt: Den Inhalt aus einer 80 Quadratmeter-Wohnung bringt man gestapelt auf acht Quadratmetern unter.

„Sauber, sicher, trocken“ sind für Martin Reiter, zuständig für die sechs MyPlace-Standorte in München, die Schlagworte, die Selfstorage ausmachen. Die Gänge mit den blauen Wellblechtüren sind hell beleuchtet, die Sonne scheint durch die Fensterfront. Heizungen halten die Temperatur auf acht bis zehn Grad. Elke Schäffer sitzt am Empfang. Sie weiß: Hinter jeder der 850 Türen auf den sechs Etagen verbergen sich Geschichten, fröhliche und traurige. Das Gebäude nennt sie „Kummerkasten“. Sie macht nicht nur die Mietverträge, sondern vermittelt auch Wohnungsmakler, die Nummer der Telefonseelsorge oder lässt die Sachen eines Kunden bei der Ex-Frau abholen.
Was die Mieter einlagern, das müssen sie nicht angeben. Verboten sind nur einige wenige Dinge: Tiere, Pflanzen, Sprengstoffe, Drogen.

Manche Männer wollen hier auch übernachten, wenn die Frau sie rausgeworfen hat. Das geht natürlich nicht. In Zürich haben die Betreiber in verwaisten Abteilen schon ein ausgestopftes Krokodil und menschliche Skelette gefunden. In Brighton versteckte ein Mörder die Leiche in einer Lagerbox. Auch in München stieg schon mal übler Geruch aus einem Abteil. Eine Kundin hatte einen Kühlschrank eingelagert. Und das Hackfleisch darin vergessen.

Dieser Artikel ist im Volt-Magazin erschienen, dem Abschlussmagazins der 48. Lehrredaktion der Deutschen Journalistenschule.

Foto: Stefan Franke (www.jugendfotos.de)

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