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Mein Frieden ist nicht dein Frieden

Adrian Renner
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Ist der Protest gegen die Sicherheitskonferenz gerechtfertigt? Zwei Meinungen.

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PRO Sikovon Christoph Leischwitz

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Was mich am meisten aufregt, sind unbewiesene Anschuldigungen. Sie sind ungefähr genauso nützlich wie Verschwörungstheorien: Sie überzeugen ein kleine, eingeschworene Gruppe, die niemals größer werden kann, weil eben die Beweise fehlen. Es ist ein Suhlen im eigenen Saft. Ein Protest um des Protests willen. Und in München wird das jedes Jahr vor und während der Sicherheitskonferenz besonders deutlich.

Wären die Proteste fundiert und nicht so diffus, man könnte sie ja ernst nehmen. Aber so ist es meistens nur eine Anhäufung von Ich-bin-dagegen-Schlümpfen, bei denen jede berechtigte Kritik leider untergeht. Die Demonstrationen werden so zu einem Großteil kontraprdouktiv, weil sich ein Großteil der Bevölkerung gar nicht dafür interessiert.

Einige Beispiele für die verschrobenen Anschuldigungen, die ja durch das Internet auch nicht weniger werden.

Im Demonstrationsaufruf des Aktionsbündnisses gegen die NATO-Sicherheitskonferenz“ 2007 heißt es:

„Unsere Proteste richten sich gegen ihre Welt-Neuordnungskriege, gegen ihr System, das sich ausschließlich am Profit orientiert, ein Herrschaftssystem, das sowohl in Friedens- wie in Kriegszeiten über Leichen geht.“

Ausschließlich am Profit? Warum wird denn dann zum Beispiel der Afghanistan-Abzug vorbereitet? Weil das Wirtschaftswachstum in Afghanistan schon jetzt mit 20 Prozent jährlich ansteigt? Oder weil jetzt amerikanische, europäische und japanische Firmen so viele Fernseher und Autos nach Afghanistan exportieren?

Abgesehen davon, dass die Nato mit der Sicherheitskonferenz ziemlich wenig zu tun hat. Das ist so, als ob man von einem FC-Bayern-Heimspiel redet, wenn in der Arena in Wahrheit die Nationalmannschaft ein Freundschaftsspiel absolviert.

„Den Regierungsmitgliedern der NATO-Staaten, den Militärs, Kriegsstrategen und Rüstungs­lobbyisten, die sich alljährlich zur so genannten Sicherheitskonferenz in München treffen…“

Sollten sich unter den eingeladenen Experten Vertreter der Rüstungsindustrie befinden, wären sie schön blöd, ausgerechnet in München mit den Politikern neue Verträge abzuschließen. Das würden die Herrschaften über Kommunikationswege machen, die niemand mitbekommt. Aber auch hier gilt: Verschwörungstheorien helfen niemandem. Beweise, die würden helfen.

„Die Mitgliedsstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schritt­weise zu verbessern. Es wird ein Europäisches Amt für Rüstung, For­schung und militärische Fähigkeiten eingerichtet.“

Zunächst einmal ist hier ein Rechtschreibfehler drin – Mitgliedstaaten wird mit einem „s“ geschrieben. Das wird dann wichtig, wenn man diesen Satz googelt. Denn dann sieht man anhand dieses Fehlers, wer bei wem copy&paste gemacht hat, und wer sich den EU-Vertrag tatsächlich selbst mal angeschaut hat. Dort steht nämlich auch:

„Auf diese kann die Union bei Missionen außerhalb der Union zur Friedenssicherung, Konfliktverhütung und Stärkung der internationalen Sicherheit in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen zurückgreifen.“

Mit anderen Worten: Es ändert sich gar nichts. EU-Einsätze gibt es nur mit einem Mandat der Vereinten Nationen, was man als völkerrechtskonform ansehen darf, wohingegen Sicherheitskonferenzgegner stets behaupten, alle Auslandseinsätze seien völkerrechtwidrig (Irak war eine Ausnahme, und der Kritik daran stimme ich auch zu). Ausnahme ist der Verteidigungsfall, der aber nur dann eintritt, wenn ein EU-Land direkt angegriffen wird.

Wenn nun jemand meint: Auch die Einsätze der UN sind unrecht, dann haben wir leider keine gemeinsame Diskussionsgrundlage.

Nächstes Beispiel:

„Grundgesetzwidrig und gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung beteiligt sich die Bundeswehr an dem Krieg in Afghanistan.“

Das entscheidet alleine das Bundesverfassungsgericht und kein Demonstrant. Aber jemand könnte ja mal klagen. Es gab bisher eine Klage der PDS gegen Tornado-Einsätze – die wurde abgelehnt. Davon kann man halten, was man will, das Wort „grundgesetzwidrig“ ist so oder so falsch. Dahinter verbirgt sich eher eine Hoffnung, die jedoch durch nichts anderes gerechtfertigt sein kann als durch Meinung. Nicht aber durch Fakten. Abgesehen davon nehme ich vielen Demonstranten nicht ab, dass sie besonders grundgesetzgläubig wären. Warum also dieses Argument?

“Nachdem auch den verantwortlichen Politikern immer klarer wird, dass ihre Ziele allein mit militärischen Mitteln nicht erreichbar sind, versucht die NATO nun einen Strategiewechsel zu vollziehen, der sich auch bei der „Münchner Sicher­heits­konferenz“ niederschlägt.“

Ah, endlich mal ein richtiger Satz. Aber genau darum geht es ja gerade bei der Sicherheitskonferenz: Neue Strategien auszuarbeiten. Wen überrascht das denn?

„Mit dem Konzept der zivilmilitärischen Zusammenarbeit und der Instrumentali­sie­rung von Nichtregierungsorganisationen sollen die alten NATO-Ziele effektiver verfolgt werden.“

Das kann ja wohl nur jemand schreiben, der selbst noch nie auf Hilfe angewiesen war. Nichtregierungsorganisationen bauen Häuser auf, geben Bauern Anleitungen zu einem erfolgreichen Getreideanbau, schaffen Schulen, bauen Straßen. Hätten die Taliban das auch alles gemacht?

„Mit einem sofortigen Abzug der Bundeswehr, aller fremden Truppen und Söld­ner, sind die Probleme Afghanistans zwar nicht gelöst, aber dieser Abzug ist wesent­liche Voraussetzung für eine selbstbestimmte und friedliche Entwicklung und den Wiederaufbau des Landes.“

Ah ja. Vor 2001 war Afghanistan ein Land, das mehrere Jahre in Ruhe gelassen wurde von all diesen bösen, westlichen Mächten. Was daraus entstand, war eine Terrorherrschaft und eine Homebase für Terroristen.

Wo waren die Proteste, als in Afghanistan Menschen von den Taliban umgebracht wurden, weil sie ungläubig waren? Als Ärzte ins Gefängnis geworfen wurden, weil sie kranke Frauen behandelten?

Ich weiß auch, dass es nicht der primäre Grund des Afghanistan-Einsatzes ist, all dies zu verhindern. Aber wie kann man denn bitte davon ausgehen, dass die Taliban nach einem Abzug nicht wieder an die Macht kommen? Wie menschenverachtend ist das denn?

„Derzeit entfallen mehr als Zweidrittel der weltweiten Militärausgaben von rund 1400 Mrd. Dollar jährlich auf die NATO-Staaten (…) die Politik der reichen und mächtigen Staaten – ins­besondere der USA und der EU-Länder – ist auch hauptverantwortlich für die Plün­derung der Res­sourcen, die zunehmende Umweltzerstörung und die Klima­ka­tastrophe.“

Der Anteil der Nicht-Nato-Staaten an den weltweiten Militärausgaben nimmt allerdings in viel höherem Maße zu. Chinas Militärhaushalt zum Beispiel ist laut der „Zeit“ zwischen 1998 und 2008 um 194 Prozent gestiegen. Und die Plünderung von Ressourcen findet auch verstärkt in China und Russland statt, wo auch noch das eigene Volk darunter leidet.

Schade. Hier ist ein potenziell gutes Argument – weltweite Armut aus zivilisatorischer Verantwortung heraus zu bekämpfen – leider durch schlechte Recherche geschwächt worden.

Was all diese Argumente mit der Sicherheitskonferenz zu tun hat? Keine Ahnung. Ich finde es jedenfalls vernünftig, wenn sich die wichtigsten politischen Köpfe der Welt zusammensetzen (nicht unbedingt die klügsten, aber auch bei weitem nicht nur die westlichen), um sich zu beraten. Ich weiß nicht, was passieren würde, wenn sie das nie täten. Ich glaube, ich will es auch gar nicht wissen.

Man muss die Ergebnisse dieser Beratungen nicht gutheißen – wir leben ja zum Glück in einem freien Land. Wie frei dieses Land ist, hat mir gerade wieder meine Recherche gezeigt – das Internet ist so dermaßen vollgestopft mit falschen und irreführenden Informationen, die völlig ungeahndet bleiben. Aber es abzulehnen, dass sich wichtige Personen zusammensetzen, um etwas zu bequatschen, das verstehe ich nicht. Oder will man da nur auch mal kurz ein bisschen wichtig sein?

In diesem Zusammenhang: Ich finde nicht, dass die Sicherheitskonferenz an sich schuld daran ist, wenn Demonstranten etwas Ungerechtes widerfährt, wie zum Beispiel der „Münchner Kessel“ Anfang der Neunziger. Das hat vielmehr mit überforderten Polizisten zu tun und mit Einsatzleitern, die genau wie die manche Demonstranten ein bisschen Krieg spielen wollen. Daraus ist mittlerweile eine Art Hassliebe entstanden, und es wundert mich, dass die Demonstranten das nicht viel mehr wertschätzen: Ohne übertriebene Polizeigewalt würde ihnen überhaupt niemand mehr zuhören. Sie haben nämlich offensichtlich nicht wirklich viel zu sagen. Wenn sie es hätten, dann würden zumindest ihre Informationen stimmen.

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CONTRA Sikovon Adrian Renner

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Zugegeben, es ist schwieriger, gegen die Sicherheitskonferenz unter ihrem neuen Leiter Wolfgang Ischinger zu protestieren. Horst Teltschik, der frühere Leiter, verkörperte einen bestimmten Typus des Haudrauf-Generals; Ischinger hingegen ist eher smarter Diplomat, der sich auf realpolitische Sachzwänge beruft, sich mit den Kritikern der Konferenz an einen Tisch setzt, und sagt: Schaut her, auch ich will Frieden, aber solange es Menschen gibt, die uns angreifen, müssen wir dafür sorgen, dass sie es nicht tun.

An dem, was die Sicherheitskonferenz ist, ändert das nichts – auch nicht am Modell der Konferenz. Es ist ein Modell aus der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, aus einer nationalstaatlich organisierten Welt, in der Krieg, und zwar der symmetrische, legitimes Mittel der Politik war, und man dafür sorgen musste, dass sich einzelne Staaten nicht die Köpfe einschlugen.

Es gibt viele inflationär viele Konferenzen heute, und es spricht vieles dafür, dass sich die großen Probleme des 21. Jahrhunderts (siehe Klima, siehe Kopenhagen) nicht mehr durch Gipfeltreffen oder Konferenzen herstellen lässt. Das Schlagwort fürs 21. Jahrhundert von der „vernetzten Sicherheit“ klingt zwar hübsch, nach Netzwerk, nach gegenseitiger Interdependenz und nach Zusammenarbeit, aber es heißt eben auch: Wer nicht in diesem mitspielt und wer nicht daran teilhaben will, ist gefährlich und sollte – notfalls auch militärisch – dazu gezwungen werden, mitzuspielen.

Im besten Fall ist die Sicherheitskonferenz nutzlose Geld- und Zeitverschwendung, in der sich ein seltsam-elitärer Club von Politikern drei Tage in München gut isst und Reden anhört. Im schlechtesten Fall werden hier genau derjenige geistige Überbau geschaffen, der zu den Kriegen in Afgahnistan und Irak geführt hat. Hier wird genau diejenige Politik gedacht, die einen Bedrohungsdiskurs (Terroranschläge sind jederzeit möglich) mit einem Überlegenheitsgestus (bei uns werden keine Menschenrechte verletzt) verbindet, was dann letztlich dazu führt, dass Deutschlands Freiheit (wie auch die Freiheit der westlichen Welt, die auch die Freiheit der afgahnischen Frauen zu sein hat)  am Hindukusch verteidigt wird.

Eine unlegitimierte Konferenz mit einer Teilnehmerauswahl, die vor allem auf Prominenz aus Amerika und Europa setzt, und mit einem bunten Themenmix (Atomare Abrüstung, Ressourcenknappheit, Naher Osten) schaffen wenn überhaupt etwas, dann gemeinsame Sprachregelungen – bei der dann genau solche verqueren Sätze herauskommen.

Es ist auch ein Kennzeichen solcher Sprachregelungen, dass sie beliebig gegenteilige Argumente in sich aufnehmen können. Man kann so etwas wie die Sicherheitskonferenz nicht argumentativ entkräften, man kann nicht auf die Einsichtigkeit der anderen für Argumente hoffen, weil diese Einsicht letztlich zu einem Patt führt, in dem beide das gleiche sagen („Wir wollen letztlich alle nichts als Frieden“ – sagt Ischinger), aber etwas völlig anderes meinen.

Man kann dieses Nicht-Einvernehmen, dieses ich-will-Frieden-aber-nicht-deinen-Frieden in einer an 68 angelehnten Klassenkampf- und Agitationsrhetorik ausdrücken, auf die ein Ischinger nicht eingehen kann. Oder man bleibt einfach still, und zeigt, dass man etwas anderes meint, in dem man sich auf die Straße stellt.

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