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Mein Name ist Jovo: Was bleibt (2/2)

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Anmerkung: Den ersten Teil über meine Reise nach Bénin mit der Organisation OneDollarGlasses gibt es hier zu lesen.

Wir sind bereit

Der erste Patient wird registriert, dann geht’s zum klassischen Screening, das man vom Augenarzt kennt. Sobald sich herauskristallisiert, ab welcher Einheit mithilfe der Sehtafel nicht mehr klar gesehen wird, kommt die lense bar zum Einsatz. Mit dieser findet der Ophthalmologe heraus, welche Brillenstärke benötigt wird. Am Ende stellt er ein Rezept für die Gläser aus und berät bei eventuell vorliegenden Augenerkrankungen. Danach kann der Patient direkt zur Verkaufsstelle gehen und sich dort ein Gestell vom Techniker anpassen lassen. Die Brille samt Etui kostet zwei Tagelöhner und ist individuell abhängig vom Durchschnittseinkommen eines Bezirks.

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Wir zwei Deutsche müssen von Anfang an gegen Desillusionierung kämpfen. Bereits der zweite Patient, der zu uns herantritt, ein Junge, ist blind. Er wird durchgecheckt, doch wir können natürlich nichts für ihn tun. Ich frage mich, was in der vorangegangenen Werbung falsch gelaufen ist. Wer hat kommuniziert, dass wir solchen Menschen helfen können? Diese Frage beschäftigt uns noch tagelang.

Ein Mädchen macht es mir besonders schwer. Sie kann kaum etwas sehen, ist extrem schüchtern und hat Angst vor der Taschenlampe, mit welcher der Ophthalmologe in ihre Augen leuchten möchte. Sie denkt, es sei eine Spritze. Wir reden ihr gut zu und ich schenke ihr ein Armband aus pinken Herzen. Als ich sie frage, ob es ihr gefällt, lächelt sie nur zaghaft und dreht ihren Kopf weg. Wir können auch ihr nicht helfen, also schicken wir sie mit einem Rezept ins Krankenhaus. Ihre Sehschwäche ist sehr wahrscheinlich eine Auswirkung von verunreinigtem Wasser, das ihre Mutter während der Schwangerschaft trank.

Die Kinder

Nachdem immer öfter Kinder mit schweren Erkrankungen kommen, schnappe ich mir meine Kamera und gehe etwas an die frische Luft. Zwei Minuten zum Heulen gebe ich mir. Dann wische ich über meine feuchten Wangen und laufe durchs Dorf. Ich halte die Bedingungen, in denen die Menschen hier leben, kaum aus.
Was hilft: Die fröhlichen Gesichter der Kinder. Ich laufe einen Schritt, drehe mich um und sehe 20 große Augenpaare zu mir aufblicken. Alle wollen für Fotos posieren und wenn ich ihnen das Werk danach auf dem Display zeige, halten sie sich die Bäuche vor Lachen.

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Die Geschenke, die ich austeile, werden alle selbstverständlich geteilt – keiner bleibt zurück. Das ist so schön anzusehen, dass es nicht lange dauert, bis ich begreife, dass so ein gemeinschaftliches Verhalten in Deutschland sehr rar ist. Ich erinnere mich zurück an neidvolle Tage im Kindergarten, an gegenseitiges Haare ziehen, Schubsen und Verpetzen. Etwas, das hier meiner Erfahrung nach schlichtweg nicht existiert. Denn es gibt keinen Grund. Kaum jemand hat mehr als der andere und wenn, dann wird davon etwas abgegeben. Geburtstage gibt es nicht – zumindest auf dem Land, wo ich war. Eine Tatsache, die mir klar wird, als fast jeder Patient bei der Frage nach seinem Alter länger überlegen muss und viele von ihnen am Ende lediglich eine Schätzung abgeben können.

Einer meiner Höhepunkte ist das Seifenblasenpusten mit den Kindern. Sie kennen Seifenblasen nämlich nicht und erschrecken vorerst, manche ducken sich sogar vor ihnen. Dann sage ich ihnen, dass sich nur um Wasser handelt, und sie fangen an zu giggeln, springen durch die Gegend und klatschen die schillernden Blasen kaputt.

Am Ende

Nach dem ersten Tag fahren wir restlos erschöpft und ausgehungert zurück zum Hotel. Kurz bevor wir auf die geteerte Straße abbiegen, fällt uns mit einem lauten Krachen der Auspuff ab und wir können nicht anders, als uns alle darüber zu amüsieren. Also stehen wir da, wo sich Moskito und Gottesanbeterin Gute Nacht sagen, und lachen. Schließlich montieren wir das Ding ab, packen es auf’s Dach und fahren in der Dunkelheit mit ohrenbetäubendem Lärm zurück.

Nach einer Dusche – mittlerweile funktioniert die Wasserversorgung – und einem riesigen Teller Reis, Pommes und Knoblauchgemüse falle ich um 10 Uhr ins Bett. Bis ich mitten in der Nacht aufwache, weil ein Tier auf dem Dach Radau macht und die Frösche dazu so laut quaken, dass ich keine Ruhe finde. Ich kann mich nicht bewegen, ich bin zu müde. Alles, was außerhalb des sorgsam drapierten Moskitonetzes liegt, somit auch meine Ohropax, gehören zu der anderen Welt.

Was bleibt

Dem ganzen Team ist klar, dass noch ein langer Weg vor ihnen liegt. Vor allem die kulturellen Unterschiede machen es bei manchen Gesprächen zwischen deutscher und beninischer Seite unglaublich schwer, auf einen Nenner zu kommen. Außerdem treten immer wieder Stolpersteine auf, beispielsweise, wenn Einheimische uns erzählen, dass sie dachten, die Weißen würden sich Brillen lediglich aus ästhetischen Gründen aufsetzen und dass diese Gestelle gar nichts mit Gesundheit zu tun hätten. Immer wieder stoßen wir an unsere Grenzen, reden, überzeugen, lachen und weinen. Die Energie, die Tag für Tag in dieses Projekt gepumpt wird, ist so unermesslich, dass ich manchmal nicht weiß, woher sie noch kommt.

Auf der anderen Seite bekommt das Team tolles Feedback. Wir erleben Menschen, die glücklich mit (neuer) Brille fotografiert werden wollen, die uns danken, und dann stolz das Gebäude verlassen. Es lohnt sich; immer.

 

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Seit meiner Ankunft ist mein Körper auf Sparflamme – aufgrund der tropischen Feuchtigkeit, dem Ende der Regenzeit, den Tagen, an denen ich kaum etwas Vegetarisches zu essen finde und mich mit Coca Cola wach halte. Die Tage, an denen ich stundenlang Gesprächen zuhöre in Sprachen, die ich nicht verstehe, über Französisch hin zu Fon, bis zu den einzelnen Dialekten einzelner Bezirke. Die Tage, an denen jeder einzelne Mensch mit seiner Geschichte an uns herantritt und gehört werden möchte. Diese Tage sind faszinierend, aber sie saugen mich aus. Da ist so viel mehr, das es abseits der eigentlichen Tagesstruktur zu tun gibt.

Afrika Afrika. Irgendwie war mir klar, dass es genau so sein wird. Und doch ist alles komplett anders gelaufen, als ich dachte.

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Fotocredit: Anika Landsteiner

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