Kultur, Was machen wir heute?

Mit der Farbe kamen die Menschen

Philipp Bovermann
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Und plötzlich wurden die Wände lebendig: Die Kunst-Aktion „Kunst im Keller“ des Biedersteiner Studentenwohnheims befindet sich in seiner heißen, der schöpferischen Phase. mucbook hat sich auf der Kreativ-Baustelle umgesehen und der Künstlerin Raquel Schembri ein bisschen beim Malen zugeschaut. Zur Vernissage am 11. diesen Monats wird nichts mehr sein, wie es gewesen ist. Und hier gibt es schon mal eine Menge Fotos zu sehen.

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Gestern war’s noch ein züchtiger weißer Treppenabgang. Heute steigt man Stufe für Stufe in das Maul eines „turbokubistischen“ Monsters hinab. Der Besucher betritt den Keller, in dem sich seit Generationen verliebt, getrunken und studentische Freigeisterei gelebt wird: Trübe Erinnerungen an grell bemalte Gänge unter der Erde, rauchgeschwängert, prallvoll mit kostümierten Leibern. Für eine Stadt, die das Wort „Gentrifizierung“ erfunden zu haben scheint, eigentlich ein Gegenort: Der Keller des Biedersteiner Wohnheims, den Münchnern vor allem durch den dort alljährlich tobenden Studentenfasching bekannt. Eine Renovierung hatte die künstlerischen Hinterlassenschaften ungezählter Partys dem klinisch trögen Nichts übergeben, das „jungfräulich“ zu nennen sich hier verbietet. Doch wo Leben ist, ist auch der Pinsel nicht weit. Die Studenten hatten die weißen Wände kurzerhand zu Leinwänden erklärt, Fördergelder aufgetrieben und eine Jury damit beauftragt, Künstler auszuwählen, die den dynamisch-kreativen Prozess im Keller mit ihren Arbeiten wieder anstoßen sollten. mucbook hat darüber berichtet.

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Die Künstler sind nun am Werk. Und mit ihnen kehrt auch das Leben unter die Erde zurück. Einmal verschluckt vom Keller und dessen nunmehr zähnefletschendem Maul, läuft man malenden, sprayenden und biertrinkend plauschenden Gestalten über den Weg. Im größten Raum, im hintersten Winkel des Kellersystems, zimmern die Studenten eine Bar, handwerklich mitunter mehr ambitioniert als begabt, aber was soll’s: Das Ding steht, der Rest kommt, wie alles im Keller, mit der Zeit. Die ersten kleineren Feiern hat sie schon miterlebt und überstanden. Endlich vertraute Gefühle auch bei den „alten Hasen“ im Biederstein, die mit mehr als nur einer Träne im Auge hatten zusehen müssen, wie diese letzte Oase studentischer Freiheit – beinahe im Wortsinn – „ausradiert“ wurde. Jetzt stehen im Keller wieder Farbtöpfe herum. Künstler und Studenten beugen sich gemeinsam über den Tischkicker und prosten sich zu: Auf den Neubeginn! Im selben Raum, ein paar Schritte weiter sitzt ein Mädchen auf Holzpaletten, mit Kopfhörern abgeschirmt. Sie betrachtet nachdenklich ihr Werk: Eine gewaltige blaue Eule mit zwei Köpfen, den unergründlichen Blick zum Tischkicker gerichtet.

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Ein paar Tage später ist der Kicker verschwunden, das Mädchen ist geblieben. Auch die Kopfhörer hat sie abgelegt, stattdessen spielt ein Laptop die sanft dahinschwebende Band „The xx“. Es hat sich einiges verändert. Mittlerweile strahlen phantastische Strukturen aus den Augen der Eule, verschlingen sich ineinander und winden sich um spiralförmige Elemente aus Papier. Auf der anderen Seite des Raums eine geometrische Explosion, beherrschte Formen, von denen aus Kampfjets starten. „Ich arbeite gern mit Gegensätzen“, sagt die Künstlerin. Raquel Schembri heißt sie und kam vor einem halben Jahr für ein Studium an der Kunstakademie aus Brasilien nach München. Sie ist 26 Jahre alt, „in einer Woche 27, verdammt alt“, große, lustige Augen funkeln hinter einer noch größeren Brille, wenn sie spricht. Der Raum wirkt traumartig, die Eule als sanfte Hüterin und Herrscherin dieser phantastischen Innerlichkeit. „Die Eule war zuerst da. Für mich erschafft sie dieses ganze Universum. Ich wollte etwas mit zwei Köpfen machen. Ein Tier. Zuerst habe ich an einen Affen gedacht.“

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Wie sie ihre Zeit hier im Keller empfunden hat? „Ich genieße es, mit so vielen verschiedenen Leuten zusammen zu kommen und mich auszutauschen. Ich habe von den Sprayern viel über die Graffiti-Kultur in Deutschland gelernt. Und ich habe viele neue Sachen ausprobiert, weil ich es hier kann.“ Mit Blick auf die Wände um sich herum: „Ich kann eine Welt erschaffen, weil ich den ganzen Raum ausmalen darf. In München ist es ziemlich schwer, eine Wand zu bekommen. Ich habe in Europa viel erlebt, das hier ist die erste Reflektion davon und von mir selbst.“

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Aus einem der angrenzenden Räume hat der Sprayer Mighty Weeny eine trashige Graffiti-Gruft gemacht: Grabsteine und Vamps, harmlos und überdreht, technisch meisterhaft umgesetzt. Über Nacht erblüht da im Schwarzweiß der Gruselszenerie eine pinke Blüte, Neon-Blut rinnt plötzlich von den Vampirzähnen. Eine weitere Nacht später hängen an einer schwarz ausgesparten Wand dutzende kleine Spiegel. Was das Ganze soll, erklärt uns der Künstler: „Zähl die Spiegel mal nach.“ Die Barbau-Jungs sind unterdessen umgezogen: Neuer Raum, neue Bar. Werkzeug und Bierflaschen werden herumgereicht. Manche arbeiten, andere stehen einfach nur herum, unterhalten sich über Medizin-Klausuren. „Wir tun’s für die nächste Generation“, meint einer. „Wir tun’s für unsere Kinder“, ein anderer grinsend. „Dass es ein gescheiter Fasching wird.“ Zunächst aber steht am 11. Februar die Vernissage von Kunst im Keller an. Dann werden die Arbeiten vorgestellt und prämiert, eine Musik- und eine Tanzperformance wird es geben, anschließend das, was die Biedersteiner besonders gut können – neben Bars bauen und Schloss und Riegel öffnen: Party!

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