Kultur, Nach(t)kritik

Modelle zwischen Androgynität und Magersucht

Lea Rieck

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An was denkt man, wenn man den Namen Egon Schiele hört? Wohl an weibliche Modelle zwischen Androgynität und Magersucht, unfertige Skizzen, provokative Aktdarstellungen und pathologisch wirkende Selbststilisierungen …

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Direkt danach tauchen als zweites in der Assoziationskette meistens Details und Anekdoten auf, die das Privatleben des Künstler betreffen. Seine wilde Ehe mit Wally, die Untersuchungshaft wegen angeblich sexuellen Übergriffs an Kindern, der frühe Tod an der spanischen Grippe mit gerade einmal 28 Jahren.

Nur etwas mehr als zehn Jahre aktiven Arbeitens als Künstler blieben Schiele also, um seinen Nachlass an Kunstwerken zu schaffen. Die umfassendste Sammlung von Schieles Kunstwerken auf Papier beherbergt heute die Wiener Albertina – eine große Auswahl an Aquarellen und Zeichnungen des Hauses ist aktuell aber im Kunstbau des Lenbachhaus zu sehen.

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Das kuratorische Konzept der Ausstellung scheint sich dabei geradezu gegen Schieles skandalöse Biografie zu wehren und versucht mit einer motivischen Gruppierung den Fokus auf die zentralen Aspekte von Schieles Ideenwelt zu lenken. Durch die Gegenüberstellung von Bildern und Auszügen aus Schieles poetischen Schriften wird versucht, den Bezug dieser Themenkomplexen in unterschiedlichen Medien aufzuzeigen und dadurch neue Perspektiven auf Schieles Bilder zu eröffnen.

Wie Mahnmale stehen in der Kunstbau Ausstellung also nun schwarze Blöcke im Raum, auf denen Schieles lyrisches Werk angepriesen wird. Sicher werden dabei Fragen der Identität, des Naturverständnisses und Schieles Reflexionen über Wahrnehmungsprozesse thematisiert – trotzdem scheint die Art und Weise der Darstellung unpassend. Die Präsenz der schwarzen Blöcke ist überwältigend, besonders im Vergleich zu den geradezu fragil wirkenden Kunstwerken auf Papier.

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Neben diesem kuratorischen Missgeschick ist allerdings eine tolle Auswahl an Bildern zu sehen, die das Herz jedes Schieles Liebhaber höher schlagen lassen wird. Und auch diejenigen, die eine erstmalige Annäherung an den populären Künstler der Moderne wagen, lernen hier Egon Schiele von seinen besten Seiten kennen.

Etwas Gutes hat das Ausstellungskonzept am Ende dann doch: Gerade durch den Versuch den Fokus von Schieles Biografie auf die Kunst in ihrem zeitgenössischen Diskurs zu lenken, scheint erstere erst Recht in den Mittelpunkt zu rücken und ein ehrliches Interesse am Leben des Künstlers zu schüren. Wie so oft gewinnt das, von dem abgelenkt werden soll, für das Publikum an Relevanz. Und so hört man es auf der Ausstellungseröffnung raunen: „Ich wusste gar nicht, dass wir hier Bilder eines potentiellen Kinderschänders vor uns haben.“

DSC_0075_430Egon Schiele: „Das Unrettbare Ich“ – Werke aus der Albertina, Kunstbau
3. Dezember 2011 – 4. März 2012, Di – So 10 – 18 Uhr

Fotos: (c) Lenbachhaus, (c) Lea Rieck

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