Aktuell, Kolumne von Oliver May-Beckmann, Stadt

Olympia als Beschleuniger – Was München von Paris lernen kann

Oliver May-Beckmann

Als Anne Hidalgo 2014 Bürgermeisterin von Paris wurde, steckte die französische Hauptstadt in einer verkehrspolitischen Sackgasse: Staus prägten den Alltag, die Luftqualität lag regelmäßig über den Grenzwerten, Paris galt als Smog-Hauptstadt Westeuropas. An stark belasteten Straßenabschnitten wurden PM10- und NO₂-Werte weit jenseits der EU-Normen gemessen.
Nur zehn Jahre später präsentiert sich Paris nahezu verwandelt. Die Stickstoffdioxid-Belastung ist seit 2014 um rund 45 % gesunken, die Feinstaubwerte um etwa 35 %. Auch das Mobilitätsverhalten hat sich deutlich verschoben: Der Anteil des Autoverkehrs im Stadtzentrum halbierte sich zwischen 2010 und 2020 – von knapp 13 % auf rund 6 %. Gleichzeitig stieg der kombinierte Anteil von Fuß- und Radverkehr auf fast 70 %.

Dieser Wandel war weder zufällig noch konfliktfrei. Die Stadt war über Jahre eine Baustelle. Viele Pariser:innen kritisierten Umleitungen, steigende Mieten und eine Politik, die sich zu wenig an ihren Lebensrealitäten orientiere. „International gefeiert, zuhause oft kritisch gesehen“, schrieb Le Monde über Hidalgo.
Und doch gelang Paris ein Strukturwandel, den viele Metropolen Europas bislang nur anstreben. Ein entscheidender Faktor war dabei ein gesellschaftliches Großereignis: Die Olympischen Spiele 2024. Hidalgo selbst formulierte es klar: „Without the Games, I would have needed an extra ten years.“ Die Spiele wirkten als Katalysator – sie bündelten Prioritäten, beschleunigten Genehmigungen und gaben Projekten breite politische Legitimation.

Natürlich gibt es auch in Paris Kritik. Manche sprechen von „Schuldenbergen“ oder überteuerten Großprojekten. Ja, Verwaltungsebenen streiten noch darüber, wer Teile der Kosten für die Seine-Sanierung oder den Tram- und Metroausbau trägt – doch die Aufwendungen stehen in keinem Verhältnis zu den langfristigen Effekten für Umwelt, Gesundheit und Erreichbarkeit. Auch der französische Rechnungshof sah 2026 noch keinen nennenswerten wirtschaftlichen Aufschwung durch die Spiele. Aber das ist weder überraschend noch ein Argument gegen sie. Solche Bewertungen blenden systematisch die strukturellen Effekte aus – den verbesserten ÖPNV, weniger Schadstoffe, kürzere Wege, bessere Luft. Wie auch hierzulande, berechnen viele Analysen vor allem Jobs in Gastronomie oder Tourismus, nicht aber den volkswirtschaftlichen Mehrwert durch verbesserte Mobilität, Lebensqualität und Klimaschutz. Genau dort liegt der eigentliche Gewinn – und genau diese Effekte rechnen wir ein.

München: Gleiche Ziele – ähnliche Herausforderungen

Auch München steht vor einer gewaltigen Aufgabe. Keine deutsche Stadt wächst schneller; täglich pendeln über 400 000 Menschen in und aus der Stadt. Der öffentliche Raum ist knapp, die Verkehrsinfrastruktur vielerorts an der Belastungsgrenze.
Das Münchner Nahverkehrssystem ist bis heute sternförmig organisiert – fast jede Verbindung führt über den Hauptbahnhof. Wer von Bogenhausen nach Neuhausen will, fährt meist Umwege, steigt mehrfach um: von Tram zu Bus, von Bus zu U-Bahn – ein Umstand, der Effizienz und Alltagstauglichkeit gleichermaßen bremst.

München braucht ein Verkehrssystem, das verbindet statt trennt: durchgehende Tramlinien, Ausbau und “Ertüchtigung” der S-Bahn, ein engmaschiges Radwegenetz und eine Infrastruktur, die den realen Bedürfnissen der Menschen folgt. Die Mobilitätsstrategie 2035 zeigt den Weg dahin – doch dieser ist mühselig: geprägt von komplexen Planungsverfahren, breit gestreuten Zuständigkeiten und politischen Sollbruchstellen.

Warum Großereignisse helfen können

In einer erfolgreichen Demokratie wie Deutschland sind Planungszyklen, Haushaltslogiken und Wahlperioden oft so kurz getaktet, dass langfristige Infrastrukturvorhaben nur mühsam vorankommen. Städte und Infrastrukturen brauchen aber Planungssicherheit über Generationen hinweg – jenseits der Dynamik einzelner Legislaturen.
Hier können Großereignisse wie Olympia tatsächlich helfen. Sie schaffen ein verbindliches Zeitfenster, bündeln Verantwortung und setzen Prioritäten. Vor allem aber können sie ein historisches Momentum auslösen: einen gesamtgesellschaftlichen Schulterschluss, bei dem Kommunen, Länder und Bund gemeinsam handeln. Infrastrukturmaßnahmen, die für die Spiele und ihre Bewerbung entscheidend sind, werden in dieser Phase parteiübergreifend unterstützt, beschleunigt und oft taggenau umgesetzt. Dieses Momentum klug zu nutzen – mit langfristiger Perspektive – kann einer Stadt wie München dauerhaft helfen.

Die Frage lautet also nicht: Soll München Olympia wollen?
Sondern: Wie kann München Olympia strategisch nutzen?

Was München gewinnen kann

Als Deutschlands größter Mobilitätscluster hat MCube – geleitet von der Technischen Universität München – erstmals das aktuelle Olympiakonzept Münchens wissenschaftlich durchgerechnet: 18 Maßnahmen wurden bewertet – davon zehn im Bereich Verkehr und Infrastruktur, drei zur Stadtgestaltung und fünf im Sportstättenbau.
Unser Fokus lag nicht auf kurzfristigen Effekten wie Tourismus oder Image, sondern auf langfristigen Wirkungen für Stadt, Klima und Wirtschaft. Das Ergebnis ist eindeutig: Olympia ist kein Selbstzweck. Der eigentliche Gewinn entsteht, wenn die Spiele als Hebel genutzt werden – als Motor für Projekte, die ohnehin notwendig sind.
Tram-Erweiterungen, Radschnellwege, Parkmeilen, neuer Wohnraum und neue öffentliche Räume – das sind Investitionen, die über Jahrzehnte wirken. Werden sie im Rahmen Olympischer Vorbereitungen priorisiert und beschleunigt, kann München davon langfristig profitieren.
Ob Olympia ein Gewinn wird, hängt nicht vom IOC ab – sondern davon, wie München es nutzt.

Fünf Empfehlungen für München

  1. Fokus auf kleinere, schnellere Maßnahmen: Tram, Radwege, Parkmeilen statt risikoreicher Großprojekte wie teure U-Bahn-Ausbauten.
  2. Olympia als Finanzierungs- und Priorisierungs-Boost: Bestehende Projekte beschleunigen, nicht neue erfinden.
  3. Nachhaltige Sportstätten: Bestehende oder temporäre Anlagen nutzen statt dauerhafte Großarenen.
  4. Effiziente Governance: Politische Steuerung und Ressourcen bündeln – ggf. durch ein eigenes „Olympiagesetz“.
  5. Transparente Kommunikation: Den Mehrwert für Bürger:innen klar aufzeigen – nicht nur ökonomisch, sondern auch in Lebensqualität, Nachhaltigkeit und Zusammenhalt.

Olympia als Wendepunkt

Olympia ist mit dieser Perspektive kein Selbstzweck. Es geht nicht darum, München für drei Wochen herauszuputzen, sondern darum, die Stadt für die nächsten Jahrzehnte zukunftsfähig zu machen.
Wenn München die Spiele nutzt, um das umzusetzen, was ohnehin nötig ist, kann Olympia zu einem historischen Wendepunkt werden – zu einem Projekt, das Verwaltung, Wirtschaft und Bürgerschaft vereint.
Paris hat vorgemacht, wie das geht.
Dort wurde Olympia zum Katalysator einer nachhaltigen Transformation.
Wenn München den Mut findet, diese Chance zu nutzen, könnte es beweisen, dass auch hier Veränderung im großen Stil möglich ist, ähnlich wie 1972 – wenn man die Chance die einem geboten wird auch anpackt.

Zur Studie: „Kurzanalyse zur Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit der Olympischen Spiele in München“ – MCube Consulting zusammen mit der TU München im Auftrag der Landeshauptstadt München (2025).
https://mcube-cluster.de/mcube-consulting-studie-lhm-olympia-bewerbung/

Fotos: MCube