
Aktuell, Kolumne von Oliver May-Beckmann, Kolumnen, Stadt, Verkehr
„Servus, Mobilitätsland“ Oliver May-Beckmann stellt in seiner MUCBOOK-Kolumne 5 Forderungen an die künftige Bundesregierung
5 zentrale Forderungen an die künftige Bundesregierung – in München entwickelt und getestet.
Wir alle kennen diesen Moment: Zurück aus einer anderen Stadt, das Gepäck abgestellt, ein tiefer Atemzug – und dann die Frage: Warum funktioniert es dort besser als bei uns? Warum ist Radfahren in Kopenhagen selbstverständlich? Wieso pendelt man in der Schweiz reibungslos mit Bahn und Bus? Und wie konnte Paris in Rekordzeit vom Stau-Hotspot zur Stadt mit dem gesündesten Mobilitätsmix werden?
Zurück in Deutschland stehen wir an der Ampel: umzingelt von hupenden Autos, zugeparkten Radwegen und einem überfüllten Bus, der sich mühsam von der Haltestelle quält. Die Antwort ist unangenehm, aber simpel: Weil wir zu sehr in alten Denkmustern verhaftet sind. Wir schauen oft noch getrennt auf Autoverkehr, ÖPNV, Stadtentwicklung und Radverkehr – nicht ganzheitlich und langfristig auf das Thema Mobilität. Und wir haben Angst vor Veränderung. Wir sind Beschwerdeweltmeister – doch wenn es darum geht, Dinge grundlegend anders zu machen, schrecken wir zurück. Weil Veränderung oft anstrengend ist. Weil wir nicht risikoaffin sind und Unsicherheit kaum aushalten.
Die Folgen? Im Bereich Mobilität dominiert landesweit ein Flickenteppich aus halbgaren Maßnahmen, eine zu eng gedachte Industriepolitik und eine Klimabilanz, die uns allen Sorgen machen sollte. Dabei ist Mobilität weit mehr als nur Fortbewegung. Sie ist das Rückgrat unserer Wirtschaft, der Schlüssel zur Klimaneutralität und eine Frage der Lebensqualität – in der Stadt wie auf dem Land.
Doch München schwingt sich auf zu beweisen, dass es auch anders geht. Ja, auch hier dominieren in Wahlkampf und Medien oft Stillstand, Streit und Konkurrenz. Die einen schimpfen auf den Radverkehr, die anderen auf die Autoindustrie, die Bahn und alle auf die Politik. Doch wer genau hinsieht, erkennt: München hakt sich unter.
Seit einigen Jahren zeigt die Stadt, dass Mobilitätswandel nicht Stillstand und Streit bedeutet, sondern Zusammenarbeit und Fortschritt. So wird der Innovationscluster MCube, unter der Leitung der TU München mit über 80 Partnern, vom gesamten Stadtrat einstimmig unterstützt und bringt weltweit führende Unternehmen wie BMW, SAP und Siemens mit Verwaltung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft auf Augenhöhe zusammen. Gemeinsam werden hier mit dem visionären Mobilitätsreferat Lösungen entwickelt, die Hightech mit alltagstauglichen Konzepten verbinden – vom autonomen Wiesn-Shuttle über KI-gesteuerte Verkehrssteuerung bis hin zu mutigen Quartiersprojekten wie der Kolumbusstraße. Immer auch mit dem Ziel, die gesündeste und kostengünstigste Mobilitätsform zu stärken: Zufußgehen und Radfahren.
MCube ist kein Think Tank, sondern ein Reallabor für die Mobilitätswende – ein Kraftzentrum, das München zur Vorzeigestadt für zukunftsfähige Mobilität macht.
Aus unserer Arbeit in München haben wir nun einen 5-Punkte-Plan entwickelt, mit dem wir die künftige Bundesregierung auffordern, ganz Deutschland zur Vorreiternation für ein modernes Mobilitätsverständnis zu machen – mit konkreten Maßnahmen, die Wachstum, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit vereinen.
Die fünf Forderungen für eine nachhaltige Mobilität für alle
1. Nachhaltige Mobilität fördern – Für ein klimafreundliches Verkehrssystem, das unsere Wirtschaft stärkt und die Lebensqualität erhöht.
Der Verkehrssektor ist einer der größten CO2-Verursacher. Ein starker öffentlicher Nahverkehr vor allem in den Städten ist essentiell für eine klimafreundliche Zukunft und eine starke Wertschöpfung. Dafür braucht es gesicherte Finanzierungen, engere Taktungen und attraktive Preise. Das Deutschlandticket darf nicht das Ende der Ambition sein – wir brauchen langfristige Lösungen, die den ÖPNV als echte Alternative etablieren.
Rad- und Fußverkehr sind die gesündesten, klimafreundlichsten und fürs Land sparsamsten Mobilitätsformen, doch vielerorts fehlen sichere Wege, Abstellmöglichkeiten und ein konsequenter Vorrang vor dem Autoverkehr. Städte müssen mutiger werden und breitere Radwege, mehr autofreie Zonenund eine konsequente Parkraumbewirtschaftung ermöglichen.
Auch auf dem Land muss sich etwas ändern. Wo der Pkw oft alternativlos ist, muss Elektromobilität gefördert werden. Der Ausbau von Ladeinfrastruktur und finanzielle Anreize für E-Fahrzeuge sind dort essenziell. Nachhaltige Mobilität darf kein Privileg für Großstädter sein – sie muss überall funktionieren.
Digitale Anreizsysteme wie Mobility-Coins könnten den Wandel ebenfalls beschleunigen: Wer nachhaltig unterwegs ist – ob zu Fuß, mit dem Rad oder im ÖPNV – sollte belohnt werden.

2. Mobilitätsinnovationen branchenübergreifend fördern – Deutschlands Mobilitätswende durch schnelleren, gebündelten Transfer vorantreiben und Zukunftstechnologien besetzen.
Deutschland hat brillante Ingenieurinnen und Ingenieure, doch wir nutzen ihr Potenzial nicht konsequent. Während andere Länder autonomes Fahren testen und Mobilitätsplattformen entwickeln, bremsen wir uns mit Regulierungen und fehlendem Willen für den großen Wurf aus.
Wir brauchen eine nationale Agentur für Innovationstransfer in der Mobilität – eine DATI Mobility –, die Forschungsergebnisse branchenübergreifend schneller und konsequenter in die Praxis bringt. Autonomes Fahren sollte gezielt gefördert werden – besonders im öffentlichen Verkehr. Selbstfahrende Busse und Shuttles sind notwendig für den Ausbau des ÖPNV in der Stadt, aber auch auf dem Land, um Mobilität für alle zu ermöglichen.
Transformation bedeutet aber auch, Bürgerinnen und Bürger zu beteiligen. Die Menschen im Land sind oft offener für Experimente und neue Mobilitätslösungen, als die Politik glaubt. Deshalb müssen Reallabore als Instrument viel konsequenter ausgebaut werden. In diesen realen Testumgebungen lassen sich innovative Mobilitätskonzepte erproben, bevor sie großflächig umgesetzt werden. Erfolgreiche Beispiele aus anderen Ländern zeigen, dass ein Zusammenspiel von Top-down-Strategien und Bottom-up-Initiativen entscheidend ist, um den Wandel erfolgreich anzustoßen.

3. Mehr Verantwortung und Autonomie für Kommunen in der Verkehrsplanung – individuell und im Verbund.
Jede Stadt, jede Gemeinde hat unterschiedliche Mobilitätsbedürfnisse. Warum also wird so viel zentral geregelt? Kommunen brauchen mehr Autonomie, um ihren Verkehr flexibler zu planen. Sie sollten selbst entscheiden dürfen über Tempo-30-Zonen, Parkraumbewirtschaftung und verkehrsberuhigte Schulzonen.
Verkehr endet nicht an Stadtgrenzen. Wer pendelt, braucht verlässliche Anschlüsse, einheitliche Tickets und kluge Vernetzungen. In der Schweiz funktioniert ein übergreifendes Nahverkehrssystem reibungslos – Deutschland könnte daraus lernen.

4. Mobilität und Raum bedarfsorientiert, sicher, gerecht und damit effizient und zukunftsfest miteinander verknüpfen.
Ein gut finanzierter öffentlicher Nahverkehr ist entscheidend für eine ressourcenschonende und sozial gerechte Mobilität, aber auch als Wertschöpfungsgarant für Handel, Pendelverkehr und Tourismus. Ein langfristig angelegter Infrastrukturfonds nach dem Vorbild der Schweiz oder Singapur könnte den ÖPNV-Ausbau sichern – unabhängig von politischen Zyklen. Kommunen und Verkehrsbetriebe müssen langfristig planen können.
Mobilität ist nicht nur Fortbewegung, sondern auch Lebensqualität. Bahnhöfe sollten keine unwirtlichen Orte sein, sondern moderne, multifunktionale Verkehrsknotenpunkte mit Cafés, Co-Working-Spaces und Grünflächen. Stadtviertel müssen so geplant werden, dass Wohnen, Arbeiten und Mobilität sinnvoll verknüpft sind. ÖPNV-orientierte Stadtentwicklung kann den Zwang zum Pendeln reduzieren und Städte lebenswerter machen.

5. Gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen für die Mobilitätswende stärken
Mobilität ist kein Luxus, sondern ein Grundrecht. Jeder Mensch sollte sich frei und bezahlbar bewegen können – unabhängig vom Einkommen. Doch warum ist Diesel steuerlich begünstigt, während Bahnfahren oft teurer ist als Fliegen? Warum gibt es kostenlose Parkplätze in Innenstädten, aber hohe Kosten für ein Monatsticket im Nahverkehr?
Wir brauchen eine gerechte Mobilitätspolitik, die nachhaltige Fortbewegung fördert und Erfolg nicht an Straßenkilometern misst, sondern an Lebensqualität. Der öffentliche Verkehr muss bezahlbar bleiben, Anreize für umweltfreundliche Mobilität – Zielgruppenspezifisch für alle Nutzer – müssen gestärkt werden. Wer Städte lebenswerter machen will, muss klimaschädliche Subventionen abbauen und nachhaltige Alternativen konsequent ausbauen.

Fazit: Der Moment für Veränderung ist jetzt
Die Mobilität der Zukunft ist keine Frage der Technologie – sie ist eine Frage der Umsetzung. Deutschland kann mit seiner exzellenten Forschung und starken Industrie die europäische Vorreiterin nachhaltiger Mobilität werden – für eine lebenswerte, gerechte und klimaneutrale Zukunft. Dafür braucht es ein gesamtgesellschaftliches Wollen – langfristige, klare politische Entscheidungen, wissenschaftlich fundierte Strategien, direkte Transfermöglichkeiten von der Theorie in die breite Praxis und einen breiten gesellschaftlichen Rückhalt. In München arbeiten wir mit Hochdruck an dieser Zukunft. Damit wir künftig nicht mehr nach Paris, Singapur oder Amsterdam reisen müssen, um gute Mobilitäts-Beispiele zu sehen. Damit wir nicht stehen bleiben, während andere vorbeiziehen. Die Wahl liegt bei uns. #packmas
Autorenteam Fünf-Punkte-Plan: Prof. Klaus Bogenberger, Prof. Benedikt Boucsein, Kirstin Hegner, Prof. Markus Lienkamp, Prof. Allister Loder, Oliver May-Beckmann, Prof. Sebastian Pfotenhauer, Prof. Miranda Schreurs, Dr. Alexander Wentland, Prof. Gebhard Wulfhorst.
Oliver May-Beckmann war kürzlich auch bei Marco Eisenack im MUCBOOK-Podcast MUNICH NEXT LEVEL zu Gast.
In dem Beitrag auf mucbook.de erfahrt ihr mehr über autonome Shuttles auf der Wiesn, Carsharing-Experimente und warum eine Straße so richtig für Zoff sorgte.
Die ganze Folge findest du bei unserem Podcast-Anbieter Podigee sowie auf Spotify, Deezer und vielen anderen Podcast-Anbietern.