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Wie Münchens Zukunft auf vier Rädern (oder weniger) aussehen könnte – Oliver May-Beckmannn (MCube) im Podcast

Mobilität in München steht an einem Wendepunkt. Die Zahl zugelassener Autos steigt weiter, während diese paradoxerweise weniger fahren als früher. Immer wenn irgendwo Parkplätze wegfallen sollen, ist der nächste Aufschrei nicht weit. Gleichzeitig entstehen innovative Konzepte, die die Stadt als Experimentierfeld nutzen.

Ein Akteur, der diesen Wandel erforscht und aktiv mit vorantreibt, ist das Innovationscluster MCube (kurz für: Munich Cluster for the Future of Mobility in Metropolitan Regions) – ein Gemeinschaftsprojekt von TU München, Privatwirtschaft und Stadtverwaltung. Doch was genau steckt dahinter? Wir sprachen ausführlich mit MCube-Chef Oliver May-Beckmann in einer neuen Folge unseres MUNICH NEXT LEVEL Podcasts.

Von Stehzeugen zu Fahrzeugen

Unsere Autos stehen 97 Prozent der Zeit. Das ist einfach ineffizient.“ Dieser Satz von May-Beckmann bringt die Problematik klassischer (Auto-)Mobilität auf den Punkt. Die Idee, Fahrzeuge effizienter zu nutzen, ist einer der Kernansätze von M-Cube. Statt immer neue Autos zu produzieren, setzt das Cluster auf Sharing-Modelle und digitale Innovationen. Doch einige Car-Sharing-Projekte aus den letzten Jahren sind wieder vom Markt verschwunden – der Trend kommt aktuell nicht richtig in Fahrt und gerade auf dem Land oder in Außenbezirken der Stadt sieht es mit Angeboten noch mau aus.

Projekte wie Comfficient Share zeigen, aber, wie es besser funktionieren kann: Fünf Münchner Familien teilten sich in einem Pilotprojekt von MCube fünf Elektroautos, nachdem sie ihre insgesamt acht eigenen Fahrzeuge für den Testzeitraum vorher freiwillig abgaben. Das Ergebnis: „Jede Familie konnte zu jederzeit ihre Fahrten antreten, niemand musste warten oder verzichten“, sagt May-Beckmann.

MCube konnte in dem Projekt nachweisen, dass Car-Sharing besser funktioniert, wenn sich die Fahrgemeinschaften persönlich kennen und an einem Ort wohnen. Die E-Autos wurden mit Ladesäulen in einer Tiefgarage zur Verfügung gestellt. Alle Familien waren aus der gleichen Nachbarschaft und wohnten direkt in der Nähe. Letztlich konnten die Familien nachweislich auf drei ihrer acht Autos verzichten, ohne dass sie in ihrer Mobilität eingeschränkt waren. Das Potential darin: eine spürbare Entlastung, sowohl für die Umwelt als auch für die Haushaltskasse und die Parkplatzsituation.

Die Stadt als Experimentierfeld: Ein Wiesnshuttle…

„Lasst uns die Stadt als Experimentierfeld nutzen“, sagte Münchens damalige zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden vor zwei Jahren am Nachhaltigkeitstag der TU München. May-Beckmann nimmt sich diesen Aufruf zum Vorsatz: Bei MCube wird Theorie und Praxis zusammengebracht. Das Cluster wird unter anderem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) als „Anwendungscluster“ gefördert, was bedeutet: Hier geht es nicht um Forschung um der Forschung willen, sondern um konkrete Lösungen für urbane Mobilität.

Ein Beispiel ist das Wiesn-Shuttle“, das während des Oktoberfests 2024 erfolgreich testete. Keine Fehler, keine Unfälle und zu 100% eigene Technik, so die erfreuliche Bilanz des autonomen Kleinbusses im Extremtest.

Autonomes Fahren gilt vielen als eine Schlüsselbranche für die Zukunft. Google, Apple und Elon Musk machen seit Jahren mit ihren Plänen und Prototypen autonomer Fahrzeuge Schlagzeilen. Dahinter müsse sich das „EDGAR“ getaufte Mobil (hier ein Video) nicht verstecken, betont May-Beckmann. EDGAR fährt komplett autonom und erkannte im Test selbstständig Fußgänger*innen, Radfahrer*innen und Verkehrszeichen. Wo, wenn nicht inmitten tausender taumelnder Wiesnbesucher*innen könnte man die Sicherheit des Fahrzeugs besser demonstrieren?

…und Fragen der Gerechtigkeit!

Auf eine weitere Sache ist May-Beckmann stolz: Den Mobilitäts(un)gerechtigkeitsatlas – ein digitales Tool für faire und transparente Stadtplanung. Der Atlas (hier zum Download) macht Ungleichheiten sichtbar. Er zeigt, wie gut oder schlecht verschiedene Quartiere in München Zugang zu wichtigen Einrichtungen wie Supermärkten, Sportstätten oder Ärzten haben und welche Angebote es in den Stadtteilen gibt.

„Gerade Menschen mit geringem Einkommen und sozial schwache – oft Menschen mit Migrationshintergrund – haben eine viel geringere Auswahlmöglichkeit an Mobilitätsformen“, konstatiert May-Beckmann.

So habe etwa das 9-Euro-Ticket während Corona Bewohner*innen aus den Randgebieten besser ermöglicht, mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Innenstadt zu fahren.„Uns haben Stimmen von Lehrer*innen aus dem Hasnbergl erreicht, die sagten, sie konnten Kindern das erste Mal den Marienplatz zeigen. Die sind noch nie dort gewesen, weil sie sich – neben ein paar anderen Faktoren – den ÖPNV nicht leisten können“, so May-Beckmann. „Man merkt, wie ungerecht Mobilität verteilt ist.“

Ein weiteres Problem: Münchens ÖPNV ist sehr auf das Zentrum zugeschnitten. Wer zum Beispiel von Ost oder West in den Norden respektive Süden will, der muss oft übers Zentrum fahren. Also einmal rein und wieder raus. Helfen würden da mehr direkte Tangenten zwischen den Hauptverkehrsadern – also zwischen den S- und U-Bahnlinien. Zum Beispiel durch verbindende Tram-Bahnen.

Das Projekt Kolumbusstraße und die Streitereien darum!

Ein Projekt von MCube, das es bis in die Tagesschau schaffte, war die Umgestaltung der „Kolumbusstraße“. Auf hunderten Metern wurde die Straße im Stadtteil München-Au temporär neu gestaltet, um mehr Aufenthaltsqualität zu schaffen. Dafür mussten unter anderem 40 Parkplätze weichen. Aus Asphalt und Beton wurden Rollrasen- und Sandflächen. Hochbeete, Bänke, zwei Mobilitätspunkte sowie Spielplätze säumten die Straße.

Das kam nicht bei jedem gut an. Manche fühlten sich vom Lärm spielender Kinder gestört, andere vermissten den Parkplatz direkt vor der Tür. „Klare Veränderungen direkt vor Ort werden unterschiedlich aufgenommen. Manche sind neugierig und euphorisch, andere reagieren skeptischer“, so May-Beckmann. Das sei exemplarisch für alle Transformationsprozesse – von der E-Mobilität bis zur Energiewende.

In vielen Medien wurde vor allem auf die Konflikte geschaut. “Befürworter und Gegner brüllen sich nur noch an”, schrieb etwa die SZ. „Mobilität ist nicht nur die Frage, wie ich von A nach B komme, sondern auch, wie ich den öffentlichen Raum dazwischen gestalte“, gibt May-Beckmann zu Bedenken.

Eine neue Gestaltungsidee konnte über einen längeren Zeitraum – von Mai bis Oktober 2023 – erlebt werden. „Es reicht nicht, eine Straße mal über’s Wochenende zu sperren, um solche Debatten in Gang zu bringen“, so May-Beckmann.

„Einige Leute fühlten sich gestört und zu wenig mitgenommen – sie haben geklagt. Wir haben das sehr genau analysiert und daraus gelernt, wie wir es besser machen können: Die Leute im richtigen Moment mit der richtigen Botschaft abholen.“ Alle überzeugen könne man ohnehin nie, so May-Beckmann. „Vielleicht muss man damit auch etwas gelassener umgehen. Ein politisches Mandat bedeutet, etwas umzusetzen. Das heißt nicht, dass 100 Prozent dafür sind.“

Überhaupt fällt das Resümee insgesamt positiv aus. Ein Jahr später, so May-Beckmann, würden es nun 70% der Anwohner*innen in der Au begrüßen, wenn Parkplätze zugunsten von Grünflächen wegfielen, wie Befragungen ergaben. „Das zeigt, die Menschen in München sind viel weiter, als wir das manchmal glauben.“

Hör jetzt die ganze Folge auf Spotify & co

Was treibt May-Beckmann an, solche teils umstrittenen Projekte und Diskussionen in Gang zu setzen? „Wir wollen München voran bringen und zukunftssicher machen. Damit wir alle besser leben können. Häufig habe ich das Gefühl, dass wir der Gesellschaft weniger zutrauen, als sie bereit ist, zu machen.“

Die ganze Folge findest du bei unserem Podcast-Anbieter Podigee sowie auf Spotify, Deezer und vielen anderen Podcast-Anbietern.