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„ÖPNV – der milliardenschwere Wirtschaftsbooster“ – Oliver May-Beckmann über die neue Studie in seiner MUCBOOK-Kolumne

Oliver May-Beckmann

Montagmorgen, 7:48 Uhr. Die Tram 23 ruckelt über den Petuelring, draußen der übliche Münchner Niesel, drinnen schläft ein Student mit Kopfhörern auf dem Fensterrahmen ein. Neben ihm tippt eine Frau E-Mails. Zwei Rentner unterhalten sich leise über die neue Linie in Freiham.

Ein ganz normaler Morgen – denkt man. Doch was hier zwischen Münchner Freiheit und Schwabing Nord passiert, ist in Wahrheit Hochleistungsökonomie auf Rädern. Denn diese Fahrt ist kein bloßes Pendeln – sie ist Teil eines unterschätzten Wirtschaftsmotors: dem öffentlichen Nahverkehr.

Was für viele wie eine Alltagsnotwendigkeit aussieht, ist in Wirklichkeit ein milliardenschweres Rückgrat unserer Volkswirtschaft. Unsere neue Studie, entstanden im Rahmen von MCube und ZUKUNFT NAHVERKEHR, bringt es wissenschaftlich fundiert auf den Punkt: Jeder Euro, der in Busse, Bahnen und Tramlinien fließt, bringt der Volkswirtschaft das Dreifache zurück.

ÖPNV – der leise Leistungsträger

Die aktuelle Analyse quantifiziert erstmals systematisch die volkswirtschaftlichen Effekte des ÖPNV in Deutschland. In absoluten Zahlen ergibt sich daraus eine jährliche Bruttowertschöpfung von rund 75 Milliarden Euro – bei 25 Milliarden Euro an Betriebskosten. Bemerkenswert ist dabei, dass etwa 45 Milliarden Euro dieser Wertschöpfung außerhalb der eigentlichen ÖPNV-Branche entstehen, etwa im Einzelhandel, in der Tourismuswirtschaft, in der Immobilienbranche oder durch produktivere Arbeitswege.

Gerade für eine wachsende Stadt wie München sind diese Zahlen hochrelevant. Eine zuverlässige und dichte ÖPNV-Infrastruktur wirkt wie das  ökonomische Fundament – nicht nur für Pendelströme, sondern für die gesamte urbane Wertschöpfungskette, denn durch die S-Bahn werden diese Effekte weit ins Umland getragen.

Impulse weit über das Verkehrssystem hinaus

Die Studie unterteilt die Effekte des ÖPNV in drei Kategorien: direkte und indirekte Wertschöpfung innerhalb der Branche, wirtschaftliche Wirkungen in anderen Sektoren und gesellschaftliche Einsparungen durch vermiedene externe Kosten.

In München etwa profitieren Einzelhändler durch die hohe Erreichbarkeit ihrer Standorte per Tram und U-Bahn. Touristische Hotspots wie die Museumsinsel oder der Tierpark sind ohne öffentliche Verkehrsmittel kaum denkbar. Der Alpentourismus würde ohne Bergsteigerbus und BOB als Alptraum auf der A8 enden. Und für viele Unternehmen in der Region ist ein leistungsfähiger ÖPNV ein entscheidendes Argument bei der Standortwahl – denn er sichert Fachkräftezugang, reduziert Verspätungen und verbessert die Vereinbarkeit von Beruf und Alltag.

Zusätzlich entstehen jährlich rund neun Milliarden Euro an gesellschaftlichen Einsparungen, etwa durch geringere Luftschadstoffbelastung, weniger Unfälle, weniger Flächenverbrauch und eine insgesamt verbesserte Lebensqualität in den Städten. Kosten, die sonst von der Gesellschaft getragen werden und so nun für andere Investitionen ausgegeben werden können.

Eine lohnende Investition in die Zukunft

Die Frage, ob der ÖPNV ein Zuschussgeschäft sei, verliert angesichts dieser Zahlen an Relevanz. Vielmehr stellt sich umgekehrt die Frage, wie viel ungenutztes wirtschaftliches Potenzial wir uns leisten, wenn wir Investitionen hinauszögern oder streichen.

Die Modellrechnung der Studie zeigt: Mit einer gezielten Investitionsoffensive in Höhe von 100 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030 – ein Betrag, der sowohl den Erhalt als auch den Ausbau ermöglicht – ließe sich die jährliche Wertschöpfung auf bis zu 162 Milliarden Euro steigern. Das ergibt über den gesamten Zeitraum einen Return on Investment von 1:5.

Politischer Handlungsbedarf – auch in München

Für München, das sich in der Spannung zwischen Wachstum, Klimazielen und Wohnraumbedarf bewegt, liefert die Studie eine klare Botschaft: Der ÖPNV ist keine Kostenstelle, sondern ein zukunftsfähiger Wirtschaftsmotor. Überall entstehen neue Stadtquartiere, von Freiham bis Neuperlach Süd. Dort entscheidet nicht nur die Quadratmeterzahl über Zukunftsfähigkeit – sondern die nächste Haltestelle. Wer heute in U-Bahn-Projekte, Taktverdichtungen und neue Straßenbahnlinien investiert, stärkt nicht nur die Mobilität – sondern schafft konkrete ökonomische Mehrwerte, regional und national.

Die Tram 23 rollt währenddessen weiter Richtung Münchner Freiheit. Ihre Passagiere mögen nichts von volkswirtschaftlicher Wertschöpfung ahnen. Doch ihre Fahrt ist Teil eines Systems, das unsere Städte trägt – wirtschaftlich, sozial und ökologisch. Es ist an der Zeit, den ÖPNV auch so zu behandeln.

Erstellt wurde die Analyse von MCube Consulting, dem Beratungsarm von MCube – dem „Münchner Cluster für die Zukunft der Mobilität“ -, gefördert vom Bundesforschungsministerium und koordiniert von der TU München. Mit über 80 Partnern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung bringt MCube Mobilitätsinnovationen aus der Forschung in die Praxis – mit neuen Ideen, Prototypen und Geschäftsmodellen. Grundlage dafür sind verlässliche Daten und Fakten, nicht politische Annahmen. Nur so lässt sich Mobilität zukunftsfähig gestalten. // Das Projektteam setzt sich zusammen aus Dr. Daniel Schröder, Lea Merk, Linus Müller, Adriana Barandiarán, Prof. Dr. Allister Loder, Prof. Dr. Hanna Hottenrott, Prof. Dr. Maximilian Blaschke, Dr. Julia Kinigadner und Oliver May-Beckmann.

Bilder: ©ZUKUNFT NAHVERKEHR / Oliver Lang

Oliver May-Beckmann war kürzlich auch bei Marco Eisenack im MUCBOOK-Podcast MUNICH NEXT LEVEL zu Gast. In dem Beitrag auf mucbook.de erfahrt ihr mehr über autonome Shuttles auf der Wiesn, Carsharing-Experimente und warum eine Straße so richtig für Zoff sorgte. Die ganze Folge findest du bei unserem Podcast-Anbieter Podigee sowie auf Spotify, Deezer und vielen anderen Podcast-Anbietern.