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Reichen-Abgabe, Kulturtaxe und ein neuer Beirat: Kulturszene fordert mehr Kreativität bei Kostenlücke im Haushalt!

München muss sparen – doch trifft es die Kultur zu hart? Kulturschaffende schlagen Alarm: Geplante Kürzungen in Höhe von knapp 17 Millionen Euro könnten gewachsene Strukturen gefährden. In einem offenen Brief wenden sie sich an die Stadt. Die Politik dagegen fordert Solidarität – alle müssten sparen.

München steht vor einer großen finanziellen Herausforderung: 243 Millionen Euro sollen 2025 im städtischen Haushalt in den Referaten eingespart werden. Der Kulturetat soll mit knapp 17 Millionen Euro beitragen. Eine Nachricht, die in der Kulturszene für Bestürzung sorgte. Volkstheater-Intendant Christian Stückl sprach im September gar von einer möglichen „Insolvenz “ seines Theaters. Endgültig verabschiedet werden soll der gekürzte 2025-Haushaltsplan im Dezember im Stadtrat.

Widerstand aus der Kulturszene

Jetzt formiert sich Widerstand. Doch fast bedächtige Stille herrscht gestern in der Halle 2 im Kreativquartier am Leonrodplatz wenige Minuten vor einer anberaumten Pressekonferenz des neu gegründeten Bündnisses „München ist Kultur“. Dann ergreift Viola Hasselberg – Dramaturgin an den Münchner Kammerspielen – das Wort. „Wir wollen uns nicht vereinzeln lassen, sondern miteinander und für einander sprechen.“ Das Bündnis aus Kulturschaffenden und Institutionen ist breit – auch wenn die geplanten Kürzungen einzelne Häuser und Sparten sehr unterschiedlich treffen.

Die Initiator*innen fürchten: „Weniger Vorstellungen in Theater- und Konzerthäusern; Gefährdung von Festivals; keine Neuankäufe von Medien in Bibliotheken; eingeschränkte Öffnungszeiten; Einschränkung des Angebots für Kinder, Jugendliche und Senior*innen im Bereich kulturelle Teilhabe, Existenzbedrohung für freie Kunstschaffende und Stellenabbau in Institutionen.

Kann eine Kulturtaxe helfen?

Man wolle aber nicht nur jammern, sondern hat auch drei Lösungsvorschläge vorbereitet, betont Hasselberg. So fordern die Sprecher*innen des Verbunds einen gemischt besetzten Kulturbeirat, der bei kulturpolitischen Themen von Stadtrat angehört werden muss – vielleicht sogar mitentscheiden darf. Ferner solle die Stadt einen Soziokulturfonds bilden – also etwa die 10% der am besten situierten Münchner*innen zur Kasse bitten, um die kulturelle Attraktivität der Stadt zu sichern und auch junge Leute zum Dabeibleiben zu motivieren.

Ein dritter Vorschlag könnte ganz im Sinne der Stadt sein: Die Schaffung einer Kulturtaxe für Hotelgäste in München. Dafür müsste das Land Bayern der Stadt München aber eine Ausnahmegenehmigung erteilen. Mit einer Taxe von 2 Euro pro Übernachtung könnten etwa 40 bis 50 Millionen Einnahmen generiert werden, wird vorgerechnet.

Ob so eine Taxe in München rechtlich möglich ist, klärt sich gerade vor dem Verwaltungsgerichtshof Bayern – so erzählt es Kulturreferent Anton Biebl, der als Gast auch vor Ort ist, später.

Was steht auf dem Spiel?

Robert Spitz vom Netzwerk Freie Szene ergänzt: „Uns fehlt die Transparenz. Wir wissen sechs Wochen vorm neuen Jahr nicht, wie viel Geld wir nächstes Jahr haben werden.“ Ohnehin sei die Lage in der freien Szene „prekär“: Viele verließen die Stadt nach einer hochqualifizierten Ausbildung, weil sie sich München nicht leisten können. Corbinian Böhm vom Bund Bildender Künste München und Oberbayern e.V. (BBK) erlebt ähnliches bei bildenden Künstler*innen. Er verweist auf eine Studie des BBKs und des Kulturreferats: „Im Durchschnitt verdienen die Künstler*innen hier unter dem Existenzminimum.“ Die Lage hätte sich in den letzten Jahren verschärft. Bei weiteren Kürzungen müssten viele bildende Künstler*innen wohl abwandern.

Michael Buhrs von der Villa Stuck beklagt die fehlende Planbarkeit an: „Mit so kurzfristigen Ansagen umzugehen, ist eine große Herausforderung“, sagt er als Museumsdirektor. Seit Ende des Sommers sind die Sparpläne bekannt. Die Kürzungen beträfen zwar nicht ihr fest angestelltes städtisches Personal, aber das Programm und die externen Beschäftigten – etwa die Vermittlungsangebote und das Ausstellungsangebot.

„Die geplanten Einsparungen werden unsere Rücklagen aufbrauchen und überschreiten“, sagt Hasselberg (Kammerspiele). „Wir können dann entweder Stellen nicht nach besetzen oder müssen sie abbauen. Die Verträge für die kommende Spielzeit sind schon gemacht, die können wir nicht brechen und müssen somit erst mal ins Defizit gehen. Perspektivisch haben wir dann kein Geld mehr für das Programm.“

Lilly Felixberger vom Import Export und Labor e.V. spricht für die freie Musik- und Kulturszene und verdeutlicht: „Für uns ist schon jede Nicht-Erhöhung (von Förderungen – Anm. d. Red) eine Kürzung, weil geförderte Institutionen wie das Import Export aber auch freie Musiker*innen nicht von Inflationsausgleichen und Tariferhöhungen profitieren.“

Daniel Sponsel vom Dok.Fest München betont, Festivals hätten eine fragile Struktur: „Da fällt nicht mal was aus, sondern die Strukturen brechen zusammen – möglicherweise irreparabel.“

„Solidarisches Sparen nötig“: Julia Schönfeld-Knor (SPD, Kulturausschuss-Sprecherin) verteidigt die Maßnahmen

Einen Tag zuvor, am Mittwoch, erreichen wir Julia Schönfeld-Knor aus der SPD-Volt-Stadtratsfraktion – Sprecherin im Kulturausschuss des Stadtrats. So richtig verstehen kann sie den Brief nicht. Eins will sie aber voranstellen: „Jeder Cent, den du an Bildung, Sozialem und Kultur sparst, ist quasi verloren für die Gesellschaft. Wir haben in München so viele tolle Sachen, aber leider müssen wir etwas wegnehmen.“ Jedes Referat müsse seinen Teil beitragen: „Wir haben uns für ein solidarisches Sparen entschieden. Alle Referate, ohne Ausnahme, müssen je circa 9% sparen.“

Gerne setzt die Stadtregierung den Rotstift nicht an: „Da gibt es eine Menge Sachen, die weh tun. Wenn du sagst, der Kulturhaushalt soll verschont bleiben, wo nimmst du es denn dann weg? Ich finde das eine ganz schwierige Sache, das bringt uns gegeneinander auf.“

Noch etwas ist ihr wichtig: „In der freien Szene haben wir keinen einzigen Cent gespart. Ganz im Gegenteil: Während Corona, während wir andere Dinge konsolidiert haben, haben wir in der freien Szene nochmal ordentlich drauf gelegt. Der Kulturetat ist so hoch, wie er noch nie war – das ist mir wichtig“, sagt sie. (Kulturreferent Anton Biebl spricht am Donnerstag von einer Steigerung des Kulturhaushalts von rund 100 Millionen über die letzten zehn Jahren.)

„Gerade im Sozialbereich, wo wir als Stadt sehr viele freiwillige Aufgaben übernehmen, haben wir auch 9% gespart – das finde ich nicht mehr oder weniger bedauerlich, als in der Kultur“, sagt sie. 

Zu wenig verkaufte Karten?

Deutliche Worte findet Schönfeld-Knor in Richtung der Theaterhäuser: „Die Kammerspiele könnten mehr Geld haben, wenn sie mehr Eintrittskarten verkaufen würden. Warum werden die Eintrittskarten nicht verkauft? Da könnte man auch mal in sich gehen, statt andere anzuschießen. Das macht keinen irrelevanten Teil des Geldes aus.“

Dass Strukturen in Gefahr sind, sieht Schönfeld-Knor nicht: „Bisher sehe ich nicht wirklich, was nicht mehr funktioniert. Ich sehe auch noch nicht, dass genug versucht wird, Drittmittel einzuwerben. Da kann man sich mehr anstrengen, wenn man mehr will.“

Anton Biebl, der als Kulturreferent sowohl der Stadt als auch der Kulturszene verpflichtet ist, spricht im Nachgang der Pressekonferenz als Gast aus dem Publikum: „Ich glaube nicht, dass wir Berliner Verhältnisse haben. Ich komme nicht im November mit Kürzungen von 130 Millionen daher, die ab Januar gelten.“

Kurzfristig mache er sich keine Sorgen. „Bei Einrichtungen, wo noch hohe Rücklagen da sind, finde ich es fahrlässig von Personalabbau zu sprechen. Was ich aber sehe, sind die mittelfristigen und langfristigen Auswirkungen.“ 2027 oder 2028 könne es gefährlich werden im Haushalt vieler Kultureinrichtungen. „Dagegen müssen wir angehen.“

„Ich würde mir aber auch wünschen, nicht nur Geld zu fordern. Bei manchen Formaten oder Vorstellungen habe ich das Gefühl, man sollte mehr über das Thema Nachhaltigkeit nachdenken“, sagt Biebl. „Wenn ich sehe, da gibt es eine Aufführung, die maximal drei Mal kommt, dann könnten wir darüber nachdenken, ob es nicht mehr sein sollten.“

Eine gute Nachricht

Eine gute Nachricht gab es indes schon Ende Oktober: Die Stadt München hat sich entschlossen von 2025 an die Kosten für die Erhöhung der Tarife der Beschäftigten in den städtischen Kulturhäusern zu übernehmen. Bisher war geplant, die Häuser müssten den Teil der Lohnerhöhungen selbst tragen – also aus dem allgemeinen Budget bestreiten. Kein unwesentlicher Brocken: Zwischen 3 und 5 Millionen hätte das im nächsten Jahr etwa an Extra-Aufwand für Volkstheater, Kammerspiele & co bedeutet (den genauen Betrag rechnet man bei der Stadtkämmerei – Stand jetzt – noch nach). Geld, das für Programm, externe Mitarbeiter*innen, Bühnenbild und so weiter fehlen würde.

Von den bisher oft genannten 16,8 Millionen Euro an Einsparungen bleibt somit ein Einschnitt von rund 11 Millionen im Kultursektor für 2025. Vielleicht können die Vorschläge aus der Kulturszene (siehe oben) bei der Finanzierung helfen, im darauf folgenden Jahr auch diese Lücke zu schließen. Eine Trendwende bei den städtischen Steuereinnahmen würde – davon abgesehen – allen das Leben leichter machen.

Beitragsbild: Kyle Head auf Unsplash