Stadt, tagebook des Münchner Forums

Sakrale Orte: Was wollen Besucher in Kirchen, und was erleben sie dort?

Basilika Bonifaz

Die Zeiten, in denen sich die Pfarrgemeinden mit vielen Christen ganz selbstverständlich, allwöchentlich in Kirchenräumen versammelten, gehören der Vergangenheit an. Aber viele Menschen besuchen die Kirchen auf ihrem Weg durch die Stadt doch, oft einzeln und spontan. Was finden sie dort? Welche Wirkungen können die Gebäude und ihre Einrichtung auf die Besucher entfalten? Diesen Fragen ist eine Gesprächsreihe des ökumenischen Arbeitskreises „Christen in der Maxvorstadt“ im Frühsommer in vier Kirchen dieses Stadtquartiers nachgegangen.

Besucht wurden die Kirchen St. Bonifaz, St. Ludwig, St. Markus und St. Willibrord. In einer abschließenden Diskussion am 20. Juli in St. Bonifaz kamen noch einmal zahlreiche Beobachtungen zu den Kirchenbauten, Raumkonzepten, Raumnutzungen und Raumerlebnissen zur Sprache. Dabei zeigte sich schnell: So markant Kirchenbauten als Landmarks im Stadtbild stehen, so wenig prägt das architektonische Erscheinungsbild allein das, was Besucher innerhalb der Kirchenräume erleben. Die Türme der katholischen Ludwigskirche in der gleichnamigen Straße signalisieren weithin einen Kirchenbau. Der Turm der evangelischen Markuskirche am Anfang der Gabelsbergerstraße, in den 1870er Jahren in damals zeitgemäßem Stil neugotisch errichtet und nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkries nach damaligem Verständnis in den heutigen geraden Formen wiederhergestellt, zeigt die Zweckbestimmung des Gebäudes auch auf größere Distanz.

Die altkatholische Kirche St. Willibrord in der Blumenstraße, die wegen des Sitzes ihrer Gemeindeverwaltung ebenfalls zur Maxvorstadt gehört, hat dagegen nur einen sehr gedrungenen Turm, wie es der Bautradition englischer Dorfkirchen entspricht. Denn sie war zu Anfang des 20. Jahrhunderts als englische Kirche entstanden. St. Bonifaz, ursprünglich eine nach dem Vorbild von Ravenna romanisch gestaltete Basilika, hat überhaupt keinen Turm. König Ludwig I. hatte sie in den 1830er Jahren auf damals noch freiem Feld erbauen lassen. Da war sie ohnehin unübersehbar. Auch als die Basilika nach ihrer Kriegszerstörung auf weniger als ihrer halben Länge wieder aufgebaut wurde, blieb es bei der Lösung ohne Turm, ohne Campanile. Die Besucher von St. Bonifaz vermissen ihn nicht. Sakrale Orte – so der Obertitel der Gesprächsreihe – wirken im Wesentlichen durch ihre interne Atmosphäre und Raumgestaltung. Mit Ausnahme der kaum kriegsbeschädigten Ludwigskirche, die deswegen auch noch ihre üppigen Ausmalungen besitzt, sind die drei anderen Kirchen, die in dieser Gesprächsreihe besichtigt und diskutiert wurden, im Inneren weiß. St. Bonifaz, die ursprünglich innen keinen auch nur kleinsten weißen Fleck aufwies, hat kriegsbedingt ihre Ausmalung verloren. Anstelle des zerstörten Nordteils der Basilika entstand 1968 bis 1971 ein Seelsorge- und Bildungszentrum in Sichtbetonbauweise. 1971 bis 1975 wurde die verbliebene Basilika renoviert und das Innere aufgrund der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils neu gestaltet. Der Altar fand seinen Platz in der Mitte, kreisförmig umschlossen vom Chorgestühl der Mönche und den Bankreihen. 1976/77 wurde an der Nordwand ein raumbreiter Orgelprospekt aufgestellt.

Heutige Kirchenräume tendieren zur „Schlichtheit“. Die Menschen wollen sich nicht durch zu viele Gegenstände beeindrucken, sondern „Leere lassen“. Einige Teilnehmer der Schlussrunde der Reihe „Sakrale Orte“ lobten solche weißen Innenräume sehr: Angesichts der Reizüberflutung in der Großstadt seien solche „leeren“ Räume eine wahre Erholung. Doch „bloße Leere“ auszuhalten, fällt schwer. Der Altabt von St. Bonifaz, Odilo Lechner, hat denn auch andere Erfahrungen gemacht. Menschen in seiner Gemeinde fühlten sich in den kalkweißen Räumen dieser Kirche etwas verloren. Deshalb helfen Bilder, „in geistige Stimmung zu kommen“ (Abt Odilo Lechner). Mittlerweile hängt in St. Bonifaz hoch über den Köpfen der Kirchenbesucher ein ganzer Zyklus stark farbiger Gemälde von Peter Burkart. Dieser Bilderfries belebt die zuvor karge Architektur. Parallel gestaltete der Bildhauer Friedrich Koller 1993 bis 1996 den übrigen Innenraum neu.

Generell ist in den Kirchenräumen in den letzten Jahren und Jahrzehnten der Eindruck hierarchischer Strenge weitgehend zurückgetreten. In der Aufstellung und Zuordnung von Altar, Ambo und anderen liturgischen Elementen haben sich viele Dinge gewandelt, so die zentrale Aufstellung des Altars hin zur Gemeinde. Gemeinde und Pfarrer begegnen sich heute um den Altar viel näher, fast auf Augenhöhe. Gesprochen wird meist vom Ambo, vom Rednerpult aus, nicht von der Kanzel herab. Immer mehr kommt der Taufstein als ökumenisches Element zur Bedeutung; Taufen werden im Kirchenraum kommunikativer gefeiert, z.B. nach Vorbereitung mit der Familie und Gemeinde. Auch Kerzen werden an vielen Stellen entzündet, als Orte der Sammlung, der Stille und der Konzentration. Denn in unserer Stadt und Gesellschaft fehlt es an solchen Orten. Sakrale Orte müssen nicht gewichtig sein, um Wirkungsmacht zu erzeugen; oft reicht die Konzentration auf wenige, ganz intime Elemente.

Kirchturm

Altabt Odilo Lechner gab zu bedenken, dass die Abgrenzung von „sakral“ und „profan“ nicht entscheidend sei; denn Gottes Welt ist eine einzige. Kirche soll ein „Ort der Freiheit“ sein, frei von Ab- und Ausgrenzungen und frei zur geistigen Entfaltung des Menschen. „Glaube und Spiritualität braucht Freiheit, das kann man nicht erzwingen“ (Pfarrer Rainer Schulz). Allerdings gab es in der Diskussion auch Einwände: Nicht alles in den Kirchen muss „sakral“ gedeutet werden: nicht jedes Licht, nicht jede Skulptur. Auch Baumaterialien, weiße Wände oder raffinierte Beleuchtungseffekte sollte man nicht – wie oft zu hören – „transzendent“ oder „sakral“ aufladen. Zu sehr neige unsere Zeit zu rein ästhetischen Betrachtungen.

Die Anzahl und das Verständnis der „sakralen“ Orte erweitern sich laufend. Die Kirchenmusik ist für viele Kirchenbesucher das sakrale Erkennungszeichen der Kirchen in der Maxvorstadt. In St. Bonifaz füllt die Orgel die ganze Stirnseite der verkürzten Basilika. Dass man in der evangelischen Kirche St. Markus den Altartisch für Kirchenkonzerte kur- zerhand rückwärts verschieben kann, überraschte Katholiken allerdings sehr; für sie ist es noch nicht so gewöhnlich, dass sich Gemeinden in Kirchen zu mehr als nur zu Gottesdiensten versammeln. Das „Mehr“ hat allerdings Grenzen. Das Ansinnen eines Veranstalters, in der oft für Konzerte genutzten St.- Markus-Kirche einen bunten Opernabend zu geben, fand dort keine Zustimmung; dazu, so Pfarrer Rainer Schulz, seien sakrale Räume nun doch nicht da. Es fehle der inhaltliche Bezug zum Sakralen.

Manche Besucher kommen in die Kirche ganz ohne Vorstellung vom „Sakralen“; sie suchen ein Highlight wie den Sarkophag Ludwigs I. an der Karlstraße oder einen kühlen Ort an der Ludwigstraße, um kurz ausruhen. Wenn ihre Augen dann doch auf einzelne Elemente im Kirchenraum fallen, kann der Ort zum „Einstieg“ oder „Resonanzraum“ tieferer Gedanken werden. „Sakralität“ entsteht durch den inneren Dialog des Menschen mit sich selbst – und dem Göttlichen.

Wer im Sommer ein wenig Zeit hat, durch die Maxvorstadt zu laufen, dem sei ein kurzer Besuch in St. Bonifaz, St. Markus und St. Ludwig empfohlen, am Sonntag auch in der schlicht und licht gestalteten alt-katholischen Kirche St. Willibrord, Blumenstraße 36. Wer Gelegenheit hat, in den Plänen des künftigen NS-Dokumentationszentrums nachzuschauen und dort „stille Orte“ vermisst, denke auch an die benachbarten Kirchen in der Maxvorstadt. Wie wäre es, wenn die Kirchen zur und nach der Eröffnung des Dokumentationszentrums 2014 ihre Sakralräume als Orte der stillen Einkehr anböten, zum Nachdenken und Meditieren, mit oder ohne Ritus? Das wäre ein guter kirchlicher Beitrag.

(Fotos © Gernot Bauer)

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