Kultur, Nach(t)kritik

Auch ein Alltag – Illegale in München

Hannes Kerber
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Wäre „illegal“ ein Song, müsste man leiser stellen. Schon um nur hören zu können. Der Münchner Schriftsteller Björn Bicker hat ein feinfühliges und gleichzeitig lautes Buch über Menschen geschrieben, die in München ohne Aufenthaltserlaubnis leben.

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Björn Bickers Buch „illegal. wir sind viele. wir sind da“, 128 Seiten, ist 2009 im Kunstmann Verlag erschienen und kostet 14 Euro 90. (Foto: Kunstmann Verlag)

Der Untertitel „wir sind viele. wir sind da“, der das Buch wie ein Refrain begleitet, benennt den Ausgangspunkt von Bickers Buch: die Allgegenwärtigkeit der Illegalen in München. „Wir sind viele. wir sind da“ ist außerdem die Antwort auf die Geringschätzung der Problematik. Als der Soziologe Philipp Anderson im Jahr 2003 im Auftrag der Stadt München eine Studie über die Lebenssituation der Menschen ohne Papiere erstellte, verbreiteten sich seine Zahlen wie Feuer: Für München geht er von 30.000 bis 50.000 Illegal aus – und überschritt damit frühere Schätzungen um ein Vielfaches. Und so wird in den Geschichten von „illegal“ immer wieder thematisiert, dass viele Deutsche die Illegalen im Alltag nicht wahrnehmen.

Besonders deutlich ist dies in einer Episode, die Björn Bicker aus der Sicht einer Ecuadorianerin erzählt, die den Haushalt einer jungen Frau erledigt, während deren Mutter zu Besuch ist: „warum kann die frau in schwabing bei der telefonfirma arbeiten. / und drei kinder haben. / und einen mann der nie da ist. / ihre mutter war zu besuch. / und hat gesagt / wie du das alles schaffst kind.“ Das ganze Buch dokumentiert die Gedanken oder Monologe der Illegalen auf diese Weise: im O-Ton, im Staccato, in einfachem Deutsch, ohne Kommata, manchmal in kurzen Versen, häufig kommentarlos, aber immer wütend.


Auf dem internationalen Festival für junge Literatur „Wortspiele 2009“ liest Björn Bicker aus „illegal“. (Video: Youtube)

Björn Bicker ist seit acht Jahren Dramaturg der Münchner Kammerspiele. Dort war er unter anderem mitverantwortlich für die Stadtprojekte „Bunnyhill“ und „Doing Identity – Bastard München“. Sein Buch ist demenstprechend politisch und engagiert – es stellt Fragen und verlangt nach Antworten. Aber es zeigt nicht, wie es zu Migration kommt. Nicht wie aus Migration Illegalität wird. Es nennt keine Zahlen und vertritt nur die Seite der Illegalen. Dennoch ist „illegal“ kein Pamphlet. Björn Bicker hat einen Augenzeugenbericht geschrieben und sich zurückgenommen, um diejenigen erzählen zu lassen, die am besten wissen, wie es sich anfühlt, in einem Land zu leben, in dem man offiziell nicht existiert oder existieren dürfte. Er leiht den Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis seine Stimme, um Geschichten aus dem Alltag erzählen zu lassen. Von Schwangerschaften. Leben auf der Straße. Bitterkeit. Dem ersten Ausflug an den Stranberger See. Liebe. Hoffnung. Wäre „illegal“ ein Song, wäre er laut. Denn wer nachts im Wald singt, tut es aus Angst.

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