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Tunnelblick

Der Freistaat taktiert beim 2. S-Bahn-Tunnel, um die Stadt zur Mitfinanzierung zu zwingen und Verantwortung loszuwerden. Zu dem Megaprojekt gibt es Alternativen.

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Die Debatte hat die Sachebene verlassen und ist zum Wahlkampf-Theater geworden. Was den Bürgern in der Region und was der Stadtentwicklung wirklich nützt, wird kaum mehr erörtert. Wir fordern eine Rückkehr zur Sach-Erörterung. Dazu ist der „Plan A“ eine gute Grundlage.

Bei der S-Bahn spricht das Gebot der Vernunft für den Plan A -Ein Appell
Zu bezahlen hätten den Tunnel nach der geltenden Finanzverfassung Land und Bund. Denn der Regionalverkehr ist deren Sache, nicht die der Stadt. Also müssten nach der wohlerwogenen und bewährten Arbeitsteilung zwischen Stadt, Land und Bund letztere den Tunnel finanzieren – müssten, wenn sie denn wollten. Die Forderung der Mitfinanzierung durch die Stadt verkennt völlig die Aufgabenfülle der Gemeinde. Daher fordern die Städte seit langem eine bessere Finanzausstattung: „Reformiert werden muss die Finanzausstattung der Kommunen für alle jene Aufgaben, die der Bund ihnen gesetzlich übertragen hat“, sagte die langjährige Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) 2010 als Präsidentin des Städtetages. Diese Haltung hat auch der gegenwärtige Präsident Christian Ude. Dabei sind die Sozialausgaben, die Kinderbetreuung und der Wohnungsbau in München am drängendsten. Sollte sich eine Mitfinanzierung durch die Stadt auf Kosten des sozialen Friedens nicht vermeiden lassen, dann sollte die Stadt aber auch ihre Belange gleichrangig neben den Regionsbedürfnissen einbringen dürfen.
Nun will Ministerpräsident Horst Seehofer mit der Stadt trotzdem über eine Kostenbeteiligung für den Tunnel verhandeln. Der Staat, heißt es, kann die Kosten für den Tunnel nach bisherigen Aussagen nämlich ebenso wenig stemmen wie den schon beerdigten Transrapid zum Airport; diese lagen etwa gleich hoch. Nüchterne Rechner haben das lange vorausgesagt und frühzeitig Alternativen entwickelt.
Freistaat und Stadt haben von diesen Alternativen nichts wissen wollen. Der Freistaat hatte sogar, um die Diskussion zu beenden, sich von Gutachtern einen Vergleich des Tunnels mit dem Südring bestellt mit der Vorgabe: Für einen Südring-Ausbau müsse der jetzige Südring komplett neu gebaut werden. Das Ergebnis: für zwei zusätzliche oberirdische Gleise wurden höhere Kosten pro Kilometer errechnet als für eine U-Bahn-Strecke gleicher Länge. Mit dieser Vorgabe wurde der Vergleich zum Totschlagargument.
Vom Tisch gewischt hat die Tunnel-Koalition damit jeden Gedanken an Alternativen. Noch letzte Woche behaupteten MVV-Geschäftsführer Freitag und der bayerische Ex-Verkehrsminister Wiesheu wahrheitswidrig, solche Alternativen lägen nicht vor. Doch es gibt sie ausgearbeitet. Solche Alternativen favorisieren ein Bündnis von Bahnexperten, Stadtentwicklungsplanern und Umweltverbänden, dem die Lösung der Münchner Mobilitätsaufgaben ebenso am Herzen liegt wie dem Freistaat und der Stadt. Dieses Bündnis spricht seit langer Zeit aus, was die Tunnel-Koalition ebenso lange zu bemänteln versuchte: Der Tunnel ist nach Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz nicht finanzierbar, auch wenn anfangs etwas anderes behauptet wurde, und bringt für Münchens Nahverkehr keinen Fortschritt in der Flächenbedienung. Diese Verbesserung ist aber ein Gebot der Stunde angesichts des Zuzugsdrucks.

Der Tunnel zementiert ohne Not die sternförmige Struktur des S-Bahn-Systems. Dabei sagen viele Fachleute, dass München ein Verkehrsnetz und nicht nur einen Verkehrsstern benötigt. Tunnel Nummer 2 würde das sternförmige Verkehrssystem für ein weiteres Jahrhundert unverrückbar in den Grund betonieren. Hunderttausende Personen aus der Region zusätzlich könnten den Marienplatz überfordern. Die U3 und U6 unter dem Rathaus sind für den zusätzlichen Umsteigebedarf trotz Bahnsteigerweiterung nicht ausgelegt. Von Sicherheitsbedenken des S-Bahn-Tieftunnels einmal abgesehen.
Angeblich haben viele S-Bahn-Kunden auf Befragen erklärt, sie wollten aber eben zum Rathaus. Stimmte das, dann müsste die Masse der Münchner Arbeitsplätze, müssten zahllose Behörden und Ämter, Ärzte und Anwälte, Geschäfte und Kneipen fußläufig vom Rathaus erreicht werden können. Jeder weiß, dass das nicht stimmt, dass sehr viele S-Bahn-Benutzer vielmehr umsteigen müssen.
Will man den Umsteigebahnhof Marienplatz nicht hoffnungslos überlasten, müssen andere Netzknoten am Südring zum Umsteigen attraktiv gemacht werden: der Heimeranplatz (S und U4/5), die Poccistraße (S und U3/6), der Kolumbusplatz (S und U1/2/7).
Entwickelt man diese Bahnknoten richtig, wirken sie auch zugunsten der Stadtentwicklung. Beidseits des Südrings gibt es viel Potenzial: am alten Südbahnhof, auf dem Schlachthofareal, auf dem Paulaner-Gelände, das ja neu bebaut werden soll. Fachleute der Stadtentwicklung geben das hinter vorgehaltener Hand auch freimütig zu. Aber offen reden mag niemand, so lange das Rathaus am zweiten Tunnel festhält.
Von 1,6 Milliarden Euro für den Tunnel ist zuletzt die Rede gewesen – Preisstand 2006. Sechs Jahre später und eingedenk üblicher Kostensteigerungen muss man zwei Milliarden Euro Kosten allein für den Tunnel erwarten. Staatsminister Zeil bestätigt mittlerweile 2,5 Milliarden Euro. Kritiker dieses Projekts waren im Rathaus aber nicht gern gesehen, war das doch ein gegen alle Fachlichkeit – auch der Stadtplanung selbst – mühsam erreichter Kompromiss.
Dieses Geld wird für das Münchner Verkehrsnetz wirklich gebraucht. Aber es darf nicht ausschließlich für einen Tunnel allein bestimmt sein. Es muss dem gesamten Netz zugute kommen, nicht zuletzt auch den Außenästen. Mit einem stufenweise auszubauenden Südring ist das zu leisten.
Langfristig orientierte Verkehrspolitik ist auch Stadtentwicklungspolitik. Dass München sich weiter entwickeln muss, soll und kann, wird Oberbürgermeister Christian Ude nicht müde zu betonen. Das ist allseits Konsens. Dann sollte er aber auch die Weichen in der Verkehrspolitik richtig stellen. Der Freistaat wird das nicht tun. So sehr dieser für die S-Bahn zuständig ist, so wenig will er auch für München zuständig sein. Das ist das Feld des Stadtrats, des Oberbürgermeisters und der Verwaltung, die sich bisher wegen des Kompromisses einen Maulkorb umhängen ließ.
Hat jemand im Freistaat und in der Stadt den alternativen „Plan A“ eines Bündnisses zahlreicher Bahnexperten schon ernsthaft durchrechnen lassen? Seit Jahren weist dieses Bündnis nach, dass mit den alternativen Plänen mehr für den öffentlichen Verkehr erreicht werden kann als mit einem zweiten Tunnel unter dem Marienhof.
Eine zweite Stammstrecke ist dringend notwendig, insofern alternativlos. Aber eine Alternative zum Tunnel gibt es durchaus: Auch für den Südring sind Staat und DB zuständig und muss dessen Ausbau finanzieren. Auch dieser Ausbau wäre nach der gesetzlichen Lage eine „Infrastruktur für Stadt und Land“ – aber eine, die auch die Stadt entwicklungspolitisch nach vorn bringt.
Das Umland muss besser und schneller an die Stadt angebunden werden. Jeder fordert das. Auch ein auszubauender Südring löst diese Aufgabe. Er kann es sogar besser. Denn der „Plan A“ kalkuliert auch den Ausbau der S-Bahn-Außenäste mit ein. Die zweite Tunnelröhre hingegen verschiebt diesen Ausbau auf den Sankt-Nimmerleins-Tag.
Für diesen Plan A spricht so viel, dass es höchste Zeit ist, ihn ernsthaft mit ins Kalkül zu ziehen,statt ihn als politisch nicht opportun zu ignorieren. Erinnern wir daran, dass Politiker mit dem ihnen an-vertrauten Steuergeldern sparsam und verantwortlich umzugehen haben. Wenn sie das tun und dem Gebot der Vernunft Priorität einräumen, kommen Staat und Stadt am Plan A nicht vorbei.

Hier noch einmal schlaglichtartig die Nachteile, die das Tunnelkonzept bewirken würde:
– nur zehn Prozent mehr S-Bahnen durch München
– weniger Fahrten zum Karlsplatz und Marienplatz, Isartor und Rosenheimer Platz
– abends generell Ausdünnung auf 30-Minuten-Takt auf 8 von 12 Außenästen (S2 Petershausen – Holzkirchen und S7 Wolfratshausen – Kreuzstraße weiterhin alle 20 oder 20/40 Minuten)
– Ausdünnung des 10-Minuten-Taktes auf 15 Minuten auf fünf Außenästen, die heute in der Hauptverkehrszeit alle zehn Minuten befahren werden
– Zementierung des zentrierenden Schienensterns statt Ausbau des flächenhaft erschließenden
Schienennetzes und Zementierung des 15- Minuten-Taktes auf Außenästen
– unterschiedliche Bahnsteige am Ostbahnhof (oben und tief), Hauptbahnhof (tief und sehr tief) sowie Marienplatz/ Marienhof
– deutlich weniger Regionalzüge von München Richtung Allgäu nach Ausbau der S 4-West.

Der Plan A, erarbeitet in einem breiten Bündnis Münchner Verkehrsexperten von Baumgartner / Kantke/ Schwarz, Münchner Forum (Arbeitskreise AAN und Schienenverkehr) über B.U.N.D und VCD bis zu ProBahn, in Ausgabe 1.2012 unserer Standpunkte erläutert, vermeidet diese Probleme. Er macht es möglich, die Außenäste zu ertüchtigen, wenn weniger Schienenwege mit teurem Geld in München in den Boden versenkt werden. Oberirdische Gleise auf dem Südring sind eben preisgünstiger zu haben als ein Tieftunnel, auch wenn Gutachter diese offensichtliche Tatsache seinerzeit nicht wahr haben wollten. Wenn es ums Geld geht, spricht alles für den Plan A, auch wenn die Mehrheit unserer Politiker das nicht einsehen wollen.

U-Bahn nach Pasing kann im dortigen Bahnhof nicht oberirdisch fahren, sagt die Bahn
Die Planungen für eine Verlängerung der Linie U 5 vom Laimer Platz nach Pasing haben einen empfindlichen Rückschlag erlitten, berichtete die Süddeutsche Zeitung am 2. Mai. Das bayerische Verkehrsministerium habe in einem Brief an die Pasinger SPD erklärt, dass der Freistaat für eine oberirdische Einführung der U-Bahn-Gleise in den Pasinger Bahnhof keine Möglichkeit sieht. Damit ist diese vermutlich kostengünstigere Variante der Anbindung Pasings ans U-Bahn-Netz nach S-Ansicht vom Tisch. In der Debatte um den Ausbau des Münchner Nahverkehrs, schreibt die Zeitung, dürfte die Sache für noch mehr Streit sorgen. Denn die Gegner der geplanten zweiten S-Bahn-Stammstrecke führten die U 5-Verlängerung immer wieder als Alternative dazu an.
Text: Münchner Forum: Wolfgang Beyer/AK Schienenverkehr, Gernot Brauer, Wolfgang Czisch, Bürgerinitiative S-Bahn-Tunnel Haidhausen: Ingeborg Michelfeit und Dr. Walter Heldmann

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