Kultur, Stadt

Von Karl und Franz

Josephine Musil-Gutsch
Letzte Artikel von Josephine Musil-Gutsch (Alle anzeigen)

KarlValentinAusstellungKasperl

Niemand prägt eine Stadt mehr als die Menschen, die in ihr wohnen. Das Buch “München – Eine Stadt in Biographien” von Franziska Sperr erzählt die Lebensgeschichte von 20 wichtigen Münchnern. mucbook präsentiert euch daraus ein Kapitel über Münchens liebenswürdigsten Exzentriker: Karl Valentin. Und am 11. November gibt es sogar eine Lesung im Karl Valentin Musäum.

KARL VALENTIN
1882–1948
Was war er? Komiker, Regisseur, Volkssänger, Darsteller, Dadaist oder Philosoph? Vermutlich war er alles zusammen. Und mit Sicherheit war er ein Genie, dem das Schicksal nicht gerecht wurde. Kurze Rede, langer Sinn: Der Valentin war ein großer Künstler.

In seinen letzten Jahren hat er sich zurückgezogen, hat sich in sich hinein verkrochen, tief nach ganz drinnen, verletzt, mürrisch, wortkarg und misanthropisch. Er, der einmal ein stattlicher Mann war, wog keine 90 Pfund mehr, ausgemergelt und kraftlos schlich er durch die Straßen von Planegg bei München, seinem letzten Wohnort. Im Münchner Stadtteil Au, am rechten Isarufer gelegen, ist er groß geworden, ein paar Jahre
lang war er bekannt, sogar berühmt. Aber dann kamen die Nazis an die Macht, sein Publikum, das ihm vorher zugejubelt hatte, war sich auf einmal nicht mehr sicher, ob es über seine skurrilen Späße lachen durfte, und irgendwann wollte niemand mehr etwas von ihm wissen, er geriet in Vergessenheit und starb, ohne dass München, seine Stadt, davon Kenntnis nahm. Ausgerechnet an einem Rosenmontag wurde er in aller Stille auf dem Waldfriedhof Planegg beigesetzt – keiner von den öffentlichen hat eine Rede gehalten.

Dabei war er einer der ganz Großen! Im Zirkel der Antigenies Buster Keaton, Charlie Chaplin, Samuel Beckett hatte er selbstverständlich seinen Platz. Als Autor und Dramatiker, Darsteller, Komiker, Volkssänger, Filmproduzent und Regisseur. Ein surrealistischer Künstler, ein Dadaist, Dramatiker und Dichter, ein Philosoph und Sprachanalytiker. Im Grab würde er sich umdrehen, sollte ihm das zu Ohren kommen.

Das Knochige, Langgliedrige, die großen Hände und Füße, die spindeldürren langen Beine, die übertriebene Nase, das, was ohnehin schon da war, hat er durch eine kleine Ãœbertreibung verstärkt. Hautenge Rährlhosen, viel zu große Galoschen, zu kurze Jackenärmel, nichts passt. Der ganze Mensch passt nicht, so windschief, wie er in der Welt steht, aus der Verankerung herausgerissen, im Clinch mit sich und den Tücken des Alltags. Es geht ihm nicht darum, die Tücken zu überwinden, sondern sie zu überleben! Die Welt und ihre Regeln, und wie kommt man damit zurecht? Mit seinem langen Zeigefinger bohrt er Löcher in die eigene Existenz, ein Gefangener des Ordnungssystems, verstrickt und verheddert ins Leben, verloren im Labyrinth, ohne Ende, ohne Ausweg. Wie der “Buchbinder Wanninger” in der Warteschleife des Daseins, der doch nur wissen will, wohin er die fertigen Bücher liefern soll! Kurt Tucholsky nannte das die »seltsamste Komik, die wir seit langem auf der Bühne gesehen haben: ein Höllentanz der Vernunft um beide Pole des Irrsinns«.

Das sich Winden, Drumherumreden, Gegen-den-Strich-Denken, das Hadern, Zögern, irgendwann Reindreschen, zart und brutal, komisch und tragisch, lustig und melancholisch. Wenn es sprachlich nicht mehr weitergeht, wenn sich der Sinn hoffnungslos verrannt hat, dann muss der Körper zum Einsatz kommen. Im Gerangel mit den Extremitäten versucht er zu entwirren, was sprachlich nicht mehr auseinander zu fieseln ist. Die Beine werden entknotet, die Arme entschränkt, die Finger enthakelt, Kopf und Hals und Knie zurück, dort hin, wo sie hingehören.

ER HAT DAS ABGENAGTE GEZEIGT
Seinen Körper hat er wie ein Instrument genutzt, die Tonart, die Tempi, laut, leise, Crescendo und Tremolo, nichts dem Zufall überlassen, und doch: Vieles sei, heißt es, spontan und aus dem Stegreif gespielt worden. Mit seinem Körper brachte er die Menschen zum Lachen, ein verzweifeltes, ein befreiendes Lachen. Es steigt aus dem Chaos in der Seele herauf. Das Gegenteil von Chaos ist Orientierung, danach hat er gesucht, nach Anhaltspunkten zur Orientierung in Raum und Zeit. Haltegriffe fürs Leben, doch in der traurigen Gewissheit, dass es die letzten Endes nicht gibt. »Beim Valentin wird sichtbar, wie die Existenz am Menschen nagt. Dieses Abgenagte, das hat er gezeigt«, sagt der Münchner Künstler Herbert Achternbusch. Der begegnet Valentin fast täglich bei seinen Streifzügen über den Viktualienmarkt. Da steht sie, die windschiefe Figur mit Hut und Schirm auf dem Brunnen. Die Standlfrauen legen ihm täglich frische Blumen in die Armbeuge. Und einen Steinwurf entfernt steht die Liesl Karlstadt im bronzenen Sommerkleid. Auch an ihrem Denkmal sind die Blumen immer frisch. Sein richtiger Name war Valentin Fey; er wuchs in einem Stadtteil auf, der auf den ersten Blick Dörfliches, Ländliches, Liebliches verspricht. Die Münchner mögen diesen unaufgeregten Stadtteil, dreimal im Jahr wird um die Mariahilfkirche die Auer Dult veranstaltet, ein Trödelmarkt fast ohne Touristen. Bei genauerem Hinsehen hatte so eine Kindheit in der Au wenig Liebliches, rau und kratzig muss es zugegangen sein, eine Atmosphäre von Gewalt und Angst regierte. Die Kindergangs schauten sich die Brutalität von den Erwachsenen ab und wandten sie woanders wieder an. Valentin war einer der Anführer. “Da kimmt der Deifi von der Au!”, schrien sie und rannten weg. Tollkühn und intelligent, rothaarig, abstehende Ohren, Unsinn im Sinn. In der Schule versuchte man ihn zu bändigen, von einem Lehrer soll er geprügelt worden sein, bis er ohnmächtig wurde. Später fand er hier, in der Au, die Charaktere für seine Rollen. Handwerker, Schreiner wie er selbst, Laienmusiker, Dreiviertelprivatiers, auch seine bornierten Vorstadtstenzen, Alleswisser und Alleskönner, mit den Händen in den Hosentaschen und mit einem Bein im Abgrund. Bis heute haben diese Typen Generationen melancholischer Komödianten als Vorlage gedient. Vier Jahre schlug er sich mit Wirtshausauftritten durch, dann, fast über Nacht, der Durchbruch. Der skurrile Monolog “Das Aquarium” war bald Stadtgespräch, die Vorstellungen über das “Skelettgigerl”, den die Natur gar so “zsammgricht” hat, ausverkauft. Im Frankfurter Hof, der Kleinkunstbühne und Singspielhalle, wurde er vom Fleck weg engagiert. Hier lief ihm auch die Nebenerwerbssoubrette Elisabeth Wellano über den Weg, die wunderbare Liesl Karlstadt, seine zweite Hälfte auf der Bühne.
Nicht Stichwort-, sondern Ideengeberin, eine fantasievolle, erfinderische, warmherzige, raumgreifend präsente Mit- und Gegenspielerin. Dass sie eine Begabung hatte für das komische Fach, hat er schnell entdeckt. Fortan standen sie zu zweit auf der Bühne, ein Paar, beruflich und privat. Sie sollen es nicht leicht miteinander gehabt haben, speziell sie nicht mit ihm. In einem ehemaligen Käseladen am Platzl hat er das erste Filmstudio gegründet, hier konnte er herumexperimentieren. Seine Filme handelten vom Scheitern, die Figuren waren wie Sisyphos, der den Stein den Berg hinaufwälzen muss, weil er immer wieder herunterrollt. Beim Hinaufwälzen hatte er das Herabrollen bereits in den Knochen. Das war komisch und quälend. Nichts gehorchte ihm, die Dinge waren widerspenstig, sie entzogen sich dem Willen. Einen großen Verehrer hatte er in Bertolt Brecht. Mit ihm machte er 1923 den Film “Mysterien eines Frisiersalons”. Ein surrealistisches Kunstwerk ist da entstanden, Brechts Manuskript sind ein paar lose Zettel. Mord, Blut, Leichen, Eifersucht, Köpfe werden beim Rasieren abgeschnitten, fallen zu Boden, wandern herum. Brecht und Valentin haben ein neues Medium für sich entdeckt. Nach sechs Monaten ist das Studio pleite. Mit seinem Grusel- und Lachkabinett, für das er sich rigoros und egoistisch das Gesparte seiner Partnerin unter den Nagel gerissen hat, scheiterte Valentin ebenso; nach nur zwei Monaten musste sein Panoptikum wegen Kundenmangels geschlossen werden.
Eine geschmolzene Schneeplastik gab es da zu sehen und eine mit Geld gepflasterte deutsche Bank, aktueller geht es nicht! 1937 hat er den irischen Dramatiker Samuel Beckett zu Gast gehabt. Valentin schenkte ihm einen pelzbesetzten Winterzahnstocher, was Beckett total “crazy” fand. Er habe, sagte Beckett, bei Valentin viel und traurig gelacht.

DANN SCHICKTE ER SEINE LIESL IN DIE WÃœSTE
Einfach war er nicht. Exzentrisch und egoistisch, ein Hypochonder der Sonderklasse, ständig in Angststarre vor Krankheiten, die bei ihm noch nicht ausgebrochen waren, die aber noch, da war er sicher, ausbrechen würden. Vor allem und jedem hat er Angst gehabt, vor Meteorsteinen, die ihm auf den Kopf fallen könnten, vor Einbrechern. Und vor Reisen. In den Jahren seiner größten Erfolge musste er häufig mit dem Zug reisen.
Es heißt, er habe morgens immer den späteren Zug genommen, um dem potenziellen Unglück im früheren Zug auf diese Weise zu entkommen. Ein egomaner Tyrann sei er gewesen für seine Umgebung. Auch wenn Annemarie Fischer, in die sich Valentin verliebte und mit der er am Ende seiner Karriere auftrat, von seiner Zärtlichkeit schwärmte und von dem bezauberndsten Lächeln der Welt. Kaum war die junge schöne Frau auf seiner Bildfläche erschienen,war seine langjährige Partnerin abgemeldet. Valentin trat nur noch mit der Fischer auf. Liesl Karlstadt war am Ende. Nach so vielen gemeinsamen Jahren hat Valentin sie als Partnerin, Muse,
Geliebte und, nicht zu vergessen, ideelle und finanzielle Unterstützerin seiner geschäftlichen Kamikaze-Unternehmen in die Wüste geschickt. Sie unternahm einen Selbstmordversuch, musste viele Monate in der Psychiatrie behandelt werden. Wer genau hinhört, entdeckt in den Dialogen diese manchmal rücksichtslose, egozentrische Haltung. An einem Katarrh soll er gestorben sein, halb verhungert, auch, weil seine Not von niemandem ernst genommen wurde. Um überleben zu können, schnitzte er Kochlöffel und Nudelwalker, die versuchte er bei den Metzgern gegen etwas zu essen einzutauschen. Die konnten sich nicht vorstellen, dass es ihm, dem berühmten Karl Valentin, damit bitter ernst war. Sie klopften sich auf die Schenkel vor Lachen, hielten das Ganze für einen Witz.

Die Lesung findet am 11. November 2012 im Karl Valentin Musäum um 11 Uhr statt. Der Eintritt kostet 4,44 Euro, plus 2,99 Euro Museumseintritt.

cover

No Comments

Post A Comment

Simple Share Buttons
Simple Share Buttons