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Von Platzhaltern und Wünschen – Thomas Glavinic im Literaturhaus

Florian Kaindl

Thomas Glavinic ist der Märchenerzähler der deutschen Gegenwartsliteratur. In seinem neuen Roman “Das Leben der Wünsche”, aus dem er am Donnerstag im Literaturhaus lesen wird, scheitert er in dieser Rolle. Eine Rezension.

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Das Leben ist kein Wunschkonzert, lautet ein Sprichwort. Für Jonas, einen gelangweilten Werbetexter Mitte 30, ist es das doch. Zumindest vorübergehend. In seiner Mittagspause kommt ein Mann auf ihn zu, und erklärt ihm, er habe drei Wünsche frei. Das ist der Anfang zu „Das Leben der Wünsche“, einem Roman von Thomas Glavinic, der sich um die Frage dreht, was wir im Leben brauchen, um glücklich zu werden – und um die Konsequenzen, wenn wir es bekommen.

Jonas ist unzufrieden, sein Job in der Agentur füllt ihn nicht aus, die Liebe zu seiner Ehefrau Helen, mit der er zwei Kinder hat, ist erloschen. Seine ganze Sehnsucht konzentriert sich auf Marie, die Geliebte, mit der er sich eine gemeinsame Zukunft vorstellen kann. Jonas vermisst einen Sinn in dem, was er tut, er möchte das Leben in seiner ganzen Fülle begreifen. Doch so einfach geht das nicht, sagt der Mann; er müsse den Wünschen Zeit geben, sich zu entwickeln. Bald geschehen seltsame Dinge: Ein Fußgänger, der kurzzeitig Jonas’ Zorn erregt, wird überfahren. Jonas kann nicht mehr ruhig schlafen. Schließlich stirbt seine Frau. Und Jonas fragt sich, ob seine geheimen Wünsche dafür verantwortlich sind.

Thomas Glavinic hätte ein spannendes psychologisches Porträt schreiben können. Eine düstere Geschichte von Schuld und Sühne. Doch er tut es nicht. „Das Leben der Wünsche“ ist nur eine Skizze all dessen, eine Andeutung, die Handlungsstränge und Charaktere bleiben rudimentär. Glavinic schafft keine fesselnde, komplexe Struktur, sondern eine, die vorhersehbar wirkt. Die Hauptfigur Jonas ist das Abziehbild jenes in der Gegenwartsliteratur so überpräsenten Großstädters, der zwar erfolgreich ist, aber frustriert, der die Leere in seinem Leben mit exzessiver Kommunikation über Handy und Sex zu füllen versucht: „In Marie zu sein war eine Antwort. In einer Frau, in die er verliebt war, hörte er leise das Universum. In einer Kirche nicht.“

Dann doch lieber das Buch: “Das Leben ist jetzt” als Kurzfilm. (Quelle: YouTube)

Man merkt Jonas an, dass er ein Kunstprodukt ist, ein Instrument des Autors, das die Themenfelder Sinnsuche, Identitätskrise und Schuldbewusstsein der Reihe nach abdecken soll. Eine Identifikation oder eine Anregung zum Nachdenken bleibt dadurch aus. Ãœber dem ganzen Roman liegt ein Schleier, der durch Glavinics unentschlossene Erzählhaltung entsteht. Er kann sich nicht entscheiden, ob er seine Figuren demontieren oder hip finden soll. Wenn er etwa in beiläufigem Tonfall den Arbeitsalltag in Jonas’ Werbeagentur beschreibt, soll das vermutlich den branchenüblichen Zynismus entlarven. Tatsächlich aber klingt die Schilderung angestrengt cool: „Im Büro herrschte allgemeine Gleichgültigkeit. (…) Die Leute rund um Jonas trugen Brillen mit dunklem Rahmen, interessierten sich für Musik, Kunst, Literatur, Reisen sowie Jugendkultur und verjubelten ihr Geld in Vinotheken, Fischlokalen und an Drogenumschlagplätzen. Einige tranken ab zehn Uhr vormittags, was aufgrund flacher Hierarchien toleriert wurde(…).“

Die übrigen Figuren in „Das Leben der Wünsche“ sind auf Namen und Eigenschaften reduziert, die sie in erster Linie zu Platzhaltern machen: Anne hat Leberkrebs. Marie ist lebenslustig. Werner will, dass Jonas mit seiner Frau schläft. Es ist ein Nebeneinander der Charaktere – es gibt kein Miteinander, das heftige Emotionen oder unvorhergesehene Reaktionen auslöst. Alles bleibt vage. Das Wünschen mit seinen teils fatalen Konsequenzen gerät aus dem Fokus, der Mann vom Anfang taucht nicht mehr auf. Selbst nach Helens Tod, als Jonas sich kurzzeitig die Schuldfrage stellt, gibt es keinen Höhepunkt: Jonas und Marie fahren in Urlaub, und die Handlung trudelt langsam aus.

Es gilt als probates Mittel in der Literatur, die Stagnation und Entfremdung eines Einzelnen zum Thema zu machen. Dann aber richtig, und nicht nur provisorisch. „Das Leben der Wünsche“ jedenfalls bleibt in dieser Form eines ohne. Um das Versprechen im Titel zu halten, müsste es farbiger oder raffinierter sein, als es bei Thomas Glavinic ist.

(Thomas Glavinic liest am Donnerstagabend um 20 Uhr im Literaturhaus. Der Eintritt kostet acht Euro (ermäßigt sechs). Sein neuer Roman “Das Leben der Wünsche” ist 2009 beim Carl Hanser Verlag erschienen und kostet 21 Euro 50.)

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