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Mein Block: Bestend-Westend

Susanne Schöb

Text: Gulia Gangl & Susanne Schöb


Wenn ein Auto mit lauten Beats und quietschenden Reifen auf Kopfsteinpflaster trifft, verdichtete Blockbauten auf Graffiti und zerschlagene Scheiben auf Straßencafé-Atmosphäre, dann weiß jeder Münchner wo er sich befindet: Im Westend. Wir – Gulia und Susanne – haben einen Nachmittag genutzt um für euch auf Entdeckungstour zu gehen und das Westend mal ganz intim zu erleben.

Gängster oder Trend?

Karte Westendstory

Begrenzt von den Bahnlinien des Hauptbahnhofs, liegt das Westend am (wie der Name schon sagt) westlichen Rand der Innenstadt und geht fast fließend in den Bahnhofsbezirk über. Das Westend, das eigentlich Schwanthalerhöhe heißt, hatte einen schwierigen Start. Um 1840, mit der beginnenden Industrialisierung, ist das Viertel mitsamt seinen Blockbauten als gründerzeitliches Arbeiterviertel entstanden. Bald schon galt es als Räuber-und Glasscherbenbezirk.

Westend 22

Auch heute noch ist das Westend, als klassisches Arbeiterviertel, etwas ganz besonderes im Münchner Stadtbild. Es gibt hier immer noch viele Genossenschaftswohnungen, die das Bild des Viertels prägen. Früher ein wenig heruntergekommen, sind die Wohnanlagen inzwischen überwiegend fein herausgeputzt, hin und wieder trifft man aber dennoch auf ein Eckhaus, ein Ladengeschäft oder ein Graffiti, das schon fast berlinerisch versifft daherkommt. Typisch Westend eben.

Wer hier wohnt, will nie mehr weg und so fühlt sich hier auch unsere Mucbook-Redaktion wohl. Doch wer sind eigentlich unsere Nachbarn?

1. Zwischen Nadel und Faden-  loulout

Wie lässt sich eine Stadt besser erkunden, als zu Fuß und so starten wir unseren Nachmittag an der U-Bahn Schwanthalerhöhe, das man auch als “Zentrum” des Westends bezeichnen könnte. Familien mit Kindern, Radler, Freunde und Geschäftsleute – es ist viel los auf den Straßen des Westends. In den Cafés und Restaurants herrscht Hochbetrieb, denn es ist gerade Mittagszeit. Vorbei am Geruch der Dönerbuden beginnen wir unseren Rundgang durchs Westend im loulout in der Gollierstraße 33.

Das Nähatelier mit eigenem Laden gehört der Modedesignerin Claire und der Kartografin Monika. Dort geben die beiden Freundinnen Nähkurse und verkaufen neben Nähzubehör- und Stoffauswahl im ganzen Westend auch Claire Massieu‘s eigene Kollektion. Entgegen der allgegenwärtigen Überproduktion gibt es hier Mode à la Carte – eigens für euch und ganz nach euren Maßen genäht, 100 Prozent handgemacht und lokal. Die Produktionszeit von zwei bis drei Wochen ist hier überhaupt kein Problem, sondern ein weiterer Pluspunkt. Immerhin wird es ein Unikat. Wir haben Claire und Monika beim Nachmittagskaffee getroffen und mit ihnen über das Westend gesprochen.

louloute 2

Wieso seid ihr im Westend? Was macht das Westend für euch so besonders? 

„Dass wir diesen Laden hier bekommen haben, war ganz praktisch da wir auch nicht weit weg wohnen. Das Besondere am Westend ist das Kiez-Feeling. Hier kennt man sich, viele Nachbarn sind auch Kunden und fragen zuerst bei uns nach Nähzubehör – obwohl man das auch bequem in größeren Kaufhausketten bekommen würde. Die kleinen Läden unterstützen sich gegenseitig. Hier ist einfach gute Stimmung, man fühlt sich wohl.“

Was sind eure Lieblingsorte?
Claire: „Die Theresienwiese – also, die leere Theresienwiese!“
Monika: „Die Ecke vom Marais finde ich schön, Schwanthalerstraße Ecke Parkstraße:“
Beschreibt das Westend in einem Wort!
„Familiär.“
Das Westend als neues Szeneviertel? Was sagt ihr dazu?
„Glauben wir nicht. Schade, Potential hätte es nämlich auf jeden Fall!“
Wenn ihr – ganz spontan und aus dem Bauch heraus – das Westend mit einer Farbe beschreiben müsstet, welche wäre das?
„Grau. Wegen der vielen Betonbauten.“

 

2. Der Kaffee wie bei Oma – Café Marais

Wir passieren die Gollierstrasse und biegen nach rechts ab in die Parkstraße. Bald stehen wir an der Ecke Parkstrasse-Schwanthalerstrasse und damit vor dem bestimmt kultigsten Café des Westends. Im Ladencafé Marais sieht es nicht nur aus wie bei Oma, sondern man fühlt sich auch genauso wohl. Betritt man den großen Eckladen, wird man zurückversetzt in eine andere Epoche. Das Inventar aus den 20er-Jahren stammt noch aus der Zeit des ehemaligen Textil-Warenhaus, das im Kostümwesen um die Opern in München eine bekannte Adresse war. Hier trinken wir im ehemaligen Schaufenster auf Retrostühlen unseren Kaffee und essen Kuchen.

Marais 4

Mit viel Liebe haben Barbara Schedel, Alexandra Baumann und Monika Almeida, die Besitzer das Café, vor zehn Jahren eröffnet und sprechen mit uns über ihr Viertel:

Wieso seid ihr im Westend? Was macht das Westend für euch so besonders?
“Das Westend ist einfach so vielfältig. Vieles läuft hier auf der Straße und man kennt tatsächlich noch seinen Nachbarn. Auch die vielen kleinen Läden sind noch was ganz besonderes. Schön wäre es wenn das so bleiben würde, denn die Läden des Viertels kämpfen immer mehr. Damit auch ein Appell an die Westendler: kauft Lokal!!
Was sind deine Lieblingsorte?
“Da muss ich gar nicht so lang nachdenken… Der Bavaria Biergarten!”
Kannst du das Westend in einem Wort beschreiben?
“Ich brauche leider zwei, weil das zweite auch sehr wichtig ist.”- Lacht-  „(Noch) Multikulti“
Wenn du das Westend mit einer Farbe beschreiben müsstet, welche wäre das?
„Gelb.“

 

3. Sprayen for Beginner´z – Ghostyard

Weiter geht´s ins Ghostyard, Münchens erste von sage und schreibe zwei Adressen für Graffitizubehör. Eine wahre Institution in der Szene. Den Laden gibt es seit sechs Jahren, vor acht Monaten wurde er erst umgebaut. Max, der Ladenbesitzer, empfängt uns und – wir ahnen es direkt – ein echt chilliger Typ. Er macht auch Tattoodesign und arbeitet mit Kids in verschiedenen Einrichtungen. Auf unserem Foto möchte er jedoch nicht erkannt werden.

Ghostyard

Was macht das Westend für dich so besonders?
„Das Westend ist alternativ, auf jeden Fall! Es ist einfach gechillt, nicht versnobbt. Hier lebt nach wie vor die Working Class.“
Was sind deine Lieblingsorte?
„Oben auf der Schwanthalerhöhe, mit bestem Blick über die Wiesn.“
Beschreibt das Westend in einem Wort!
„Erdig. Ja, wirklich! Die Leute sind einfach ganz normal und am Boden geblieben.“
Welche Farbe hat das Westend?
„Blau.“

 

4. Kunst mal anders- Köşk

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Vom Ghostyard ist es nur ein Katzensprung zum Köşk. Es beginnt zu regnen als wir auf dem süßen Platz davor, in Mitten des Urban Gardening Projekts, stehen. Wir betreten den Raum und finden uns in einer interaktiven Ausstellung wieder. Das Kunstprojekt “Ortswechsel” ist in Zusammenhang mit dem Köşkival, einem inklusiven Kunst- und Kulturfestival entstanden und sein Initiator Daniel führt uns herum.

“Köşk” heißt das Zwischennutzungsprojekt, in der alten Stadtteil Bibliothek des Westends. Die Einrichtung des Kreisjugendring München-Stadt ist in enger Zusammenarbeit mit der FÄRBEREI entstanden und soll ein offener Ort sein, um Kunst zu schauen und Kunst zu machen. Ein unkomplizierter Raum also in dem Konzerte, Lesungen und Ausstellungen ohne “Kunstszene” stattfinden können. In Kooperation mit verschiedenen Partnern wie Schulen, Kultureinrichtungen und Kunstschaffenden finden Projekte statt, die sich thematisch u.a. mit dem Sozialraum Westend beschäftigen.

Daniel, was macht das Westend für dich so besonders?
“Hier ist es einfach wahnsinnig entspannt. Wenn man hier rein fährt merkt man: “München kann auch entspannt sein!”- als würden die Uhren anders ticken.”
Was ist dein Lieblingsort?
“Definitiv, das Bodhi”- ein vegetarisches/veganes Restaurant.
Kannst du das Westend in einem Wort beschreiben?
„Unkompliziert.“
Wenn du das Westend mit einer Farbe beschreiben müsstet, welche wäre das?
„Hellblau- weil es so charmant und heimelig ist.“

 

5. Sobald der große Hunger kommt: La Kaz

Der Nachmittag neigt sich dem Ende zu und langsam aber sicher macht sich ein Hungergefühl bemerkbar. Wir gehen ins La Kaz, Kazmair- Ecke Ligsalzstraße., der im Westend sitzenden Mucbook-Redaktion nicht ganz unbekannt. Im La Kaz treffen Bar und Restaurant aufeinander, dunkle Deckenbalken treffen auf tief hängende Emaillelampen, lange Holztafeln auf bunte Kasernenstühle – und wir auf Stefan, den Besitzer. Stefan lebt schon seit 18 Jahren im Westend.

Stefan, was macht das Westend für dich so besonders?
„Das Westend ist das kleinste und ruhigste Viertel Münchens. Es ist durch die Landsbergerstraße, die Theresienwiese und die Donnersberger Brücke räumlich begrenzt, und hier ist nicht viel Verkehr. Das Westend ist noch(!) nicht gentrifiziert, wir haben hier eine schöne bunte Mischung. Ich kenne hier auch viele Leute.“
Was sind deine Lieblingsorte?
„Mein Balkon und die Alte Kongresshalle.“
Beschreibt das Westend in einem Wort!
„Das schaff ich nicht!“ Eine Kellnerin hilft aus, sie einigen sich auf “urig-gmiatlich”.
Welche Farbe hat das Westend?
„Türkis.“

Und mit Türkis sind wir wieder ganz zufällig bei der Farbe von Mucbook und somit am Ausgangspunkt unseres Nachmittags im geliebten Westend. Schee war’s mit euch!


Foto  ©: Gulia Gangl

 

 

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