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Warum das Wohnen im Gewerbegebiet kein Skandal mehr ist, sondern ein realistischer Anfang.
Im Niemandsland der Normen.
In deutschen Städten gibt es Zonen, die so tun, als hätten sie mit dem Leben nichts zu tun. Gewerbegebiete. Sie heißen so, weil sie keine Wohnungen mögen, keine Balkone, keine Kinderwagen, denn Sie sollen nützlich sein, nicht schön. Strukturiert und nicht bewohnt.
Und doch wäre genau hier Platz für das, was fehlt.
Im Juli 2025 urteilte das Verwaltungsgericht München gegen ein Projekt mit 170 Wohnungen in der Germersheimer Straße auf einem Gelände, das einmal der Ort der Siemens-Kantine war. Die Umgebung: zu gewerblich. Das Vorhaben: nicht genehmigungsfähig. Der Gedanke, dort zu wohnen: aus baurechtlicher Sicht offenbar absurd. Aus städtischer Sicht ist das vielleicht längst überfällig.
Das ist nicht romantisch – das ist realistisch
Denn die Trennung von Leben und Arbeiten, von Wohnen und Gewerbe, von Laptop und Ladezone ist längst überholt. Die Gegenwart ist hybrid. Produktion findet in Videokonferenzen statt. Kommunikation einer zunehmenden Wissensgesellschaft ersetzt vielerorts Maschinenlärm. Gearbeitet wird heute überall und jederzeit. Am Smartphone, in Coworkingräumen, auf der Wohnzimmercouch und im Zug oder Fernbus. Das Gewerbe zieht ins Wohnen. Und das Wohnen zurück in die Stadt. Nicht in die schlüsselfertig geplanten Wohnareale, sondern in die Restflächen. Dorthin, wo man früher nur arbeitete. Oder nichts tat. Was einst als unzumutbar galt, ein Leben neben dem Gewerbe zu führen wird mehr und mehr zur urbanen Option. Das ist nicht romantisch verklärt. Es ist realistisch.
Geboren aus der Zweckentfremdung
Denn auch die Gebäude haben sich verändert. Oder: sie sind geblieben, während die Bedürfnisse sich verschoben haben. Bürohäuser mit hohen Decken, rhythmischer Tragstruktur, großzügigen Fensterachsen. Bauten, die nicht immer gefallen wollen, aber funktionieren. Heute noch leer. Morgen vielleicht bewohnt. Andere Städte leben diesen Wandel längst vor. In London wohnt man in ehemaligen Lagerhäusern. In Rotterdam werden ganze Büroblocks zu gemischten Quartieren mit verschiedensten zusätzlichen Einrichtungen und Qualitäten umgebaut und in New York ist das Loft längst nicht mehr nur Luxus und Spleen, sondern zu einer urbanen Normalität geworden, geboren aus der Zweckentfremdung.
Stadt entsteht im Dialog
Und auch München beginnt, zu lernen. Nicht schnell. Aber beweglich-kontinuierlich. Im Norden entstehen Wohnungen in ehemaligen Verwaltungsgebäuden. Das Projekt zeigt, wie ein ehemals rein funktionaler Ort in ein vielfältig nutztes Quartier überführt wird. Auch der Domagkpark ist ein spannendes Beispiel. Im Osten überlagern sich in einem Konzept studentisches Wohnen, Handwerkerunterkünfte, Kurzzeitapartments. Die Grenzen der Nutzungskategorien verlieren mehr und mehr an Bedeutung. Nicht im Gesetzestext, aber in der Praxis. Und ja, das geht nur, um eine Lanze für die Stadt zu brechen, weil auch die Verwaltung sich verändert. Das Planungsreferat. Die LBK. Menschen, die nicht nur prüfen, sondern zuhören und mitdenken und damit die Stadt mitgestalten. Städtische Verwaltungsmitarbeitende, die verstehen, dass Stadt nicht in der Schublade entsteht, sondern im Dazwischen und im Dialog.
Sicherlich gibt es auch Verfechter strikter Trennungen, doch Abends sitzen auch jene dann mit allen anderen zusammen auf der Hackerbrücke, schauen auf die Einfahrt nach München. Was sie dort genießen, ist nicht die ruhige und aufgeräumte Postkartenidylle eines Wohngebietes. sondern ein Verhau an Gleisen, Beton, Gewerbehallen und harten Büro-Rasterfassaden. Und sie bleiben trotzdem. Weil da etwas ist: ein Versprechen von Stadt. Nicht sauber. Nicht leise, nicht abgeschlossen. Aber dafür offen, urban, belebt. Vielleicht beginnt genau hier das neue Wohnen.
Nicht im Neubaugebiet. Sondern im Leerstand. Nicht auf der grünen Wiese. Sondern im grauen Raster. Nicht dort, wo es erlaubt ist, sondern dort, wo es eben gerade möglich wird. Nicht dort, wo man extra neu versiegeln muss.
Dann wird aus dem Gewerbegebiet kein Problem, sondern ein echtes Versprechen.
Und aus einem funktionalen Restbestand ein Raum für ein anderes, zukünftiges Wohnen.