Aktuell, Kultur, Kunst

‚Wonderland‘ vom Karrabing Film Collective im Haus der Kunst

Anjuscha Nitsche

Das Jahr 2023 startet im Haus der Kunst mit einer besonderen Ausstellung. Zum ersten Mal, bekommt das Karrabing Film Collective aus Australien eine eigene, umfassende Ausstellung in Deutschland. Passend zum Nationalfeiertag Australiens am 26. Januar wurden wir eingeladen uns die Ausstellung vor offiziellem Start anzusehen. Es war ein Vormittag gefüllt mit Themen, die zum Nachdenken anregen.

Karrabing bedeutet ‚Ebbe‘ auf der indigenen Sprache Emmiyengal und steht vor allem für eine besondere Form der Kollektivität. Das Künstler*innen Kollektiv besteht aus inzwischen 50 Mitgliedern, alle davon gehören indigenen Gruppen aus Australien an. Genau damit befasst sich dieses Kollektiv auch viel. Zusammen erschaffen sie Kunstwerke in Form von Filmen.

Karrabings Kunst lebt vom offenen Gespräch und der gleichberechtigten Zusammenarbeit. Gegründet wurde die Gruppe aus Künstler*innen aus einer Protestbewegung heraus. Bei diesen Protesten ging es vor allem, um die noch immer vorherrschende Benachteiligungen von indigenen Gruppen in Australien. Die ehemalige Kolonialmacht ist in Australien nach wie vor präsent. Sei es in Konflikten wie dem Kenbi Land Claim, bei dem indigene Gruppen Jahre dafür kämpften, dass ihnen Land zugesprochen wird. Aber auch generelle Kämpfe um Grundrechte, politisches Mitspracherecht oder die simple Anerkennung dieser Gruppen machen deutlich, wie tief verankert der strukturelle Rassismus gegenüber indigenen Einwohner*innen noch immer ist.

Geschichte(n) erzählen über Filme

©Maximilian Geuter

Hauptsächlich besteht Karrabings Kunst aus fiktiven – manchmal auch non-fiktiven – Filmen, aufgenommen mit Handy- oder Handkameras. Tägliche Ereignisse und Paradoxen, die den Karrabings begegnen, werden hierbei mit der Kamera festgehalten und eingefangen. Manche basieren hierbei auf den Geschichten von Ahnen oder selbst Erlebtem, manche sind reine Fiktion. Drei Themen spielen in den Filmen immer wieder eine große Rolle: Die Dynamik zwischen Menschen aus dem Norden und Süden Australiens, Fragen zur Pflege des Landes und Ökosystems und Kolonialpolitik.

Speziell letzteres Thema wird besonders sichtbar in der Ausstellung. Die strukturelle Benachteiligung und vor allem auch der Rassismus gegenüber indigenen Gruppen kommt in vielen Werken von Karrabing besonders zur Sprache. In einem der Filme beispielsweise wird die Angst widergespiegelt, dass die Behörden den Einwohner*innen ihre Kinder wegnehmen. Denn tatsächlich passierte genau das zwischen 1910 und 1970 mit zahlreichen Kindern, um sie an das “weiße Leben anzupassen”. Ein anderer erzählt von dem Tag, an dem mehrere Karrabing-Ahn*innen aus einem Kriegsgefangenenlager flohen und über 300km zu Fuß in ihre Heimat zurückkehrten.

Die LSK-Galerie als Ort der Geschichte, Gegenwart und Zukunft

Das Haus der Kunst hat die Ausstellung vom Karrabing Film Collective bewusst in die LSK-Galerie gelegt. Denn, wie die Kurator*innen Damian Lentini und Anne Pfautsch betonen, ist der ehemalige Luftschutzkeller ein Ort mit spezieller Geschichte, die dort auch spürbar ist. Dabei handelt es sich nicht nur um alte Geschichte, sondern auch Gegenwart und Zukunft – ähnlich wie die Geschichte von Karrabing.

Es hat etwas Erdrückendes, in diesem Luftschutzkeller zu stehen. Das Licht in orange, die Decken tief, über zahlreiche Leinwände flimmern immer und immer wieder die teils bunten, teils schwarz-weißen Bilder und in den Ohren rauschen die Tonspuren aller Filme, die sich vermischen. Es ist das vor Augen führen von struktureller Benachteiligung, meist ausgelöst durch Kolonialismus, die sich bis heute durch unsere Welt zieht. Es macht nachdenklich, es bedrückt und es macht gleichzeitig auch wütend. Und dennoch sind all diese Gefühle richtig, denn wir vergessen in der Schnelllebigkeit der Welt und auch in dem Luxus unserer eigenen Welt, dass es noch immer Gruppen gibt, die jeden Tag dafür kämpfen, gehört und gesehen zu werden.

Zwischen Kolonialgeschichte und Zombie-Apokalypse

©Maximilian Geuter

Dennoch gibt es in dieser Ausstellung auch Filme, die weg gehen von diesen ernsten Themen und einfach Themen aufgreifen, über die das Kollektiv gerne einen Film machen wollte. Als ich nachfrage, was es genau auf sich hat mit einem Film über Zombies, bekomme ich die Antwort: „Eines der Mitglieder hatte einfach Lust einen Film über Zombies zu machen.“

Das bringt mich ein wenig zum Schmunzeln, weil es genau ausdrückt, was Kunst für mich persönlich ist: Eine Form, um Dinge auszudrücken, die einem wichtig sind, einen bewegen und vielleicht auch ärgern. Und manchmal einfach nur eine Form, um das zu machen, wozu man eben Lust hat. Es zeigt so schön, dass Kunst nicht immer von Schwere, Tiefe und Ernsthaftigkeit getragen werden muss, sondern dass man auch immer mal wieder etwas machen kann, ohne eine Begründung oder tiefere Bedeutung.  Und genau deswegen passt der Titel der Ausstellung auch so gut: „Wonderland“.

Das Tanzen zwischen wichtigen Themen wie Kolonialismus und künstlerischen Ideen wie die eines Zombie Films. All das findet man in dieser Ausstellung. Und als ich aus dem Luftschutzkeller heraus an die frische Luft trete, erfüllt mich ein gutes Gefühl. Gut womöglich deswegen, weil es mich freut, dass Karrabing endlich eine eigene Ausstellung bekommen hat, um auch in Deutschland gesehen und gehört zu werden. Denn Karrabings Kunst und die Message muss gesehen und gehört werden.


Die Ausstellung ‚Wonderland‘ vom Karrabing Film Collective gibt es vom 27. Januar – 30. Juli 2023 im Haus der Kunst zu sehen. Wer die Menschen hinter den Filmen kennenlernen möchte, sollte sich den April im Kalender markieren, denn da kommen ein paar Mitglieder des Kollektivs nach München.
Übrigens: Ab diesem Jahr ist an jedem letzten Freitag im Monat der Eintritt zum Haus der Kunst von 16-22 Uhr frei. Denn Kunst sollte für alle zugänglich sein.


In aller Kürze:
Was? Ausstellung ‘Wonderland’ von Karrabing Film Collective
Wann? 27. Januar – 30. Juli 2023
Wo? LSK-Galerie im Haus der Kunst, Prinzregentenstraße 1, 80538 München


Beitragsbild: © Karrabing Film Collective

No Comments

Post A Comment

Simple Share Buttons
Simple Share Buttons