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Ein letztes Mal Alien Disko? – im Gespräch mit Markus Acher von The Notwist
Zum vierten und vielleicht letzten Mal findet dieses Jahr kurz vor Weihnachten das “Alien Disko”-Festival in den Münchner Kammerspielen statt. Das außergewöhnliche Indoor-Festival wird von The Notwist veranstaltet – das bunte und experimentelle Line Up kennt wie immer keine Genregrenzen. Wir haben mit Kurator Markus Acher gesprochen.
Los ging es eigentlich mit den Tenniscoats: Die zweiköpfige Combo aus Japan, die inzwischen zum festen Inventar des Festivals gehört, war die erste Band, die 2016 für die Premiere des Alien Disko-Festivals angefragt wurde. Daraus entstand eine Freundschaft, ein gemeinsames Band-Projekt (Spirit Fest) und sogar eine Blaskapelle namens Zayaendo, die in Japan von den Tenniscoats nach dem Vorbild der Münchner Hochzeitskapelle gegründet wurde. Die Tenniscoats waren all die Jahre in der ein oder anderen Reinkarnation Teil des Festivals, das ursprünglich eine einmalige Sache sein sollte.
Die Geschichte um die Freundschaft zwischen den Bands The Notwist und Tenniscoats erzählt eigentlich auch schon exemplarisch die Geschichte des Alien Disko-Festivals: Länder-, Kultur- und Genregrenzen sind beiden Combos fremd – sie werden von der Musik einfach experimentierfreudig transzendiert.
Begeisterung für das Neue
Das Konzept dahinter verrät mir Markus Acher (The Notwist) bei einem Treffen im Baader Café: “Das ‘Alien’ steht natürlich für etwas, das man nicht kennt oder das anders ist – etwas, das erst mal unbekannt ist. Das ‘Disko’ im Namen steht aber auch dafür, dass es zwar experimentell ausgerichtet und auch Musik ist, die erst mal fordernd ist und etwas probiert, aber die auch unterhält und man kann auch ganz oft dazu tanzen. Es ist keine sehr strenge akademische Musik – wir kucken einfach, dass es bunt und unterhaltsam ist und dass alle etwas finden.”
Seltene Gäste in München
Den Mut für ein solches Festival muss man natürlich erst mal aufbringen. Woher kam also die Initiative, so ein Festival auf die Beine zu stellen? “Die Grundidee kam deshalb: Ich bin großer Fan von sehr vielen Bands, oft so kleinere, komische, ungewöhnliche Sachen. Und die kommen in den meisten Fällen nicht nach München auf Tour, weil hier oft einfach zu wenig Leute kommen auf’s Konzert. Das lohnt sich für die schlichtweg nicht. Die fahren halt nur nach Berlin und Hamburg. Manchmal noch Köln.” Also?! “…haben wir uns dann überlegt: Wenn wir mit The Notwist spielen, dann kommt eine bestimmte Menge an Leuten auf jeden Fall, so dass wir außen herum einfach ein Festival bauen können.”
Für diese Idee ließen sich die Münchner Kammerspiele unter der Intendanz von Matthias Lilienthal und Musik-Kurator Christoph Gurk (ehemals SPEX-Chefredaktion) damals schnell begeistern, so dass auch schon eine außergewöhnliche Location für das außergewöhnliche Musikfestival gefunden war – an zwei Tagen in allen drei Kammern.
Musik als internationale Sprache
Vielleicht laden solche Happenings ja auch – ganz idealistisch gedacht – zu mehr Verständigung und Offenheit ein: “So wie sich die Welt gerade entwickelt, tendiert ja alles wieder mehr zu einer nationalistischen, konservativen Isolation überall. Deshalb ist unser Festival natürlich auch ein praktizierter Gegenentwurf. So eine Utopie von einer Welt, wie sie sein könnte, zwei Tage lang. Man holt Freaks aus der ganzen Welt und die Musik, die sie machen, ist ja an sich schon grenzüberschreitend. Es ist ein sehr grenzübergreifendes Zusammenarbeiten und Kommunizieren, das da passiert – ohne dass es so ein erzwungenes Austausch-Programm wäre.”
Ein Blick ins Line Up 2019
Diese Grundidee manifestiert sich auch 2019 einmal mehr im Line Up: Die Macher haben wieder ein buntes Potpourri an Musiker*innen, Ensembles und Musikstilen zusammen gebracht. Die angefragten Bands sind eigentlich immer auch persönliche Lieblingsbands. Die meisten habe er selbst noch nie live gesehen, fügt Markus Acher dazu an. Aus dem Line Up will er auf Nachfrage gar keine Band extra heraus heben. Ich wiederum kenne tatsächlich die meisten Bands nicht mal – aber da geht es mir wohl wie vielen Besucher*innen. Man vertraut inzwischen auf das stilsichere, experimentelle und spannende Booking.
Zuvorderst sind dieses Jahr aber vielleicht doch Big Joanie und die Sons of Kemet zu nennen. Big Joanie zählen zu den bekanntesten Vertretern der aktuellen “Punks of Colour”-Bewegung in London. Sons of Kemet sind eine ebenfalls britische Brassband, die New-Orleans-Second-Line mit Grime-Beats und politischen Botschaften verquickt. „Your Queen Is A Reptile’ heißt es von ihnen zum Beispiel wenig zweideutig.
Der Münchner Fehler Kuti & die Polizei präsentiert außerdem erstmals die Songs seines neuen Albums auf der Bühne. Maxine Funke aus Neuseeland spielt zum allerersten Mal in Deutschland ihre fragilen und wunderschönen Folksongs. Ein Wiedersehen gibt es dagegen mit Ben Lamar Gay. Der amerikanische Multi-Instrumentalist zählte zu den großen Entdeckungen der „Alien Disko“ und kommt nun mit seinem um zwei brasilianische Musiker erweiterten Quartett in die Kammerspiele. Die eingangs erwähnten Tenniscoats sind dieses Jahr mit einem DJ-Set und mit ihrer Blaskapelle am Start.
The Notwist selbst planen an beiden Abenden Kurzauftritte – zwischen den Bühnen werden sie sich irgendwo aufbauen, meint Acher: einmal akustisch, und einmal “so wie früher, Punkrock-Style”.
Fortsetzung ungewiss…
Ob es 2020 weiter geht mit dem Projekt, ist nach dem Weggang des aktuellen Kammerspiele-Gespanns um Intendant Lilienthal im Februar leider fraglich. Liest man zwischen den Zeilen im Gespräch mit Markus Acher, dann ist das wohl eher unwahrscheinlich. Vielleicht an anderer Stelle oder in anderer Form, fügt er wenig konkret an. Ein nächster Sommer kommt ja zum Beispiel auch – vielleicht geht’s zukünftig also eher raus.
Tipp für alle neuen Gäste aber erst mal: Frühzeitig zu den favorisierten Acts gehen. Wenn die Kammern nämlich einmal voll sind, herrscht Einlassstopp. In dem Fall kann man nämlich aus der Not nur noch eine Tugend machen und in den anderen Räumen bestimmt ebenso wunderbare Musik entdecken.
In aller Kürze:
Wann? 13. und 14. Dezember
Wo? Münchner Kammerspiele (in allen drei Kammern und Alien Disko in der Kantine)
Line Up:
Freitag:
Maxi Pongratz und Verstärkung / Big Joanie / Shygirl / Salewski performs Chansons / Tentenko / Tyondai Braxton / Asuna & Jan Jelinek / Eddie Marcon / Jam Money & Aimée Henderson / Notwist Guerilla-Pocketband
Samstag:
Sorry / Sons of Kemet / Ben Lamar Gay / 75 Dollar Bill / Zayaendo / Fehler Kuti und die Polizei / Maxine Funke / Ichi / Notwist Guerilla-Pocketband
Beitragsbild: The Notwist (© Patrick Morarescu)
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