Kultur, Nach(t)kritik

Aufklärung im Sandkasten

Annette Walter
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Indie meets Aufklärung: So könnte man die Friederike Hellers Inszenierung von Voltaires Klassiker „Candide“ im Münchner Residenztheater umschreiben. Denn eine Band der Hamburger Schule darf auch mitmachen.

Es ist natürlich ein geschickter Griff, wenn man nicht nur einen deutschen Schauspielstar (Sebastian Blomberg) als Titelhelden, sondern auch zwei Musiker der renommiertesten Vertreter der Hamburger Schule, Kante, auf die Bühne holt, um einen Klassiker der Aufklärung,  Voltaires Stück „Candide oder der Optimismus“ aus dem Jahr 1759 in Szene zu setzen. Den Soundtrack, der eigens für das Stück komponiert wurde, spielte eine vierköpfige Allstar-Band aus den beiden Kante-Musikern Peter Thiessen und Sebastian Vogel sowie Alex Paulick (Kreidler, Coloma) und dem Münchner Musiker Ulrich Wangenheim. Die Texte, die Thiessen bearbeitet hat, basieren auf Voltaires “Erdbeben von Lissabon” und auf Passagen aus “Candide”.

Das war schon so ein Hallodri, dieser Candide. Schmuste einfach mit der feschen Kunigunde herum, wird deshalb vom Hofe verjagt, zieht um die Welt und gerät in blutrünstige Gemetzel. Dann stürzt beim Erdbeben von Lissabon sogar die ganze Welt um ihn herum ein. Angesichts dieses ganzen Leides beschließt er am Ende, wieder mit Kunigunde vereint, sich ins traute Heim zurückzuziehen.

Ein zeitloses Stück, müssen wir heute doch nur auf die Kriegsschauplätze dieser Welt in Afghanistan oder dem Irak blicken, um uns zu fragen,wie angesichts dieser Katastrophen eine optimistische Grundhaltung überhaupt möglich ist oder ob man an die Existenz eines Gottes glauben kann. Um diese Frage ging es Voltaire. Für den französischen Schriftsteller selbst war das Schreiben des Stückes Vergangenheitsbewältigung und Selbstkritik, geißelte er in „Candide“ doch den eigenen Optimismus, dem er in seiner Jugend, wie er später rückwirkend feststellte, zu naiv gefolgt war.
 
Als intellektuell beschränkter und komplett naiver Candide stolpert Sebastian Blomberg im ulkigen Kostüm einer sehr cleanen und reduzierten Inszenierung durch die Welt, erlebt blutige Gemetzel und die Liebe zu Kunigunde (Hanna Scheibe). Die Inszenierung setzt auf die Phantasie der Zuschauer, denn das fünfköpfige Ensemble agiert in einer schlichten Kulisse, in der die Gemetzel allein durch die Projektionen auf einen Halbkreis, der die Bühnenfläche abgrenzt, anschaulich gemacht werden. Von der Decke hängt allerlei Sandkasten-Spielkram. Ein Schwimmring, eine Plastikschaufel und ein Eimer leuchten in bunten Farben. Die Bühne wirkt aufgeräumt und steril und unterstützt so das Bild der Munterkeit. Die Protagonisten tragen moderne Kleidung. Eine gelungene Inszenierung, die mit gutem Timing überzeugt, kurzweilig, aber auch nicht zu anstrengend.

Residenztheater
Max-Joseph-Platz 1, 80539 München, Tel 089 2185 01

Nächste Vorstellungen am
MI 07. DEZ 11, 20:00 Uhr
FR 09. DEZ 11, 20:00 Uhr
FR 23. DEZ 11, 20:00 Uhr
SO 25. DEZ 11, 18:00 Uhr
SA 07. JAN 12, 20:00 Uhr
MO 16. JAN 12, 20:00 Uhr
SA 21. JAN 12, 20:00 Uhr
DI 31. JAN 12, 20:00 Uhr

Foto: Thomas Dashuber

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