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Bahnhofshilfsaktion – Ein Jahr danach

Der September 2015 war in München eine besondere Zeit. Es war eine Zeit, die man als Ausnahmezustand beschreiben kann, aber auch als eine Zeit der unglaublichen Hilfsbereitschaft, eine der Willkommenskultur. Als am 31.08.2015 der erste Zug mit ca. 400 Geflüchteten aus Österreich am Münchner Hauptbahnhof ankam, reagierten unglaublich viele Münchner auf die Hilferufe aus Radiosendern oder dem Social Web. Es folgte eine Welle der Hilfsbereitschaft: Wasserflaschen wurden ausgegeben, Lebensmittel verteilt, Decken an die oftmals unterkühlten Geflüchteten gegeben. Das Engagement der Zivilbevölkerung war einzigartig, viele Helfer verbrachten mehrere Tage vor Ort, um zu helfen. Wer sind die Menschen, die dort am Hauptbahnhof geholfen haben? Und vor allem, was machen sie heute, ein Jahr nach der Bahnhofshilfsaktion, in dem die Flüchtlingsthematik immer noch omnipräsent ist?

Petra Lehmann war vom allerersten Tag bei den Hilfsaktionen dabei. Über Twitter erfuhr sie über die benötigte Hilfe, packte Wasser und Kekse ein und fuhr mit ihrer Tochter sofort zum Bahnhof. Wasser und Kekse waren innerhalb weniger Sekunden verteilt. Was blieb, waren die dramatischen Eindrücke, die sie am Bahnhof erlebte: Frauen, die ihre eigenen Kinder vor Erschöpfung nicht mehr halten konnten; ein Mann mit offenem Beinbruch; Kinder, die schutzlos auf dem kalten Boden schliefen.

Auch Vaniessa Rashid, die selbst als Kind mit ihrer Familie drei Jahre lang von Kurdistan im Nordirak nach Deutschland geflohen ist, war ein Helfer der ersten Stunde. Sie verbrachte drei Tage durchgehend am Bahnhof, verteilte Essen, Windeln und Wasser: „Irgendwann verlierst du den Bezug zur Realität. Es wird Mitternacht, dann morgens. Du kannst einfach nicht aufhören zu helfen, du willst durchhalten und dein Körper macht einfach mit.“

Was beide Frauen beschreiben, ist eine unglaubliche Gemeinschaft, eine starke Solidarität, die sie in den Tagen der Arbeit am Hauptbahnhof zwischen den Helfern und zu den Geflüchteten erlebt haben. Rentner und Studenten, Christen und Muslime, alle haben zusammen angepackt. Es entwickelten sich Freundschaften für das Leben. Klar war für beide auch, dass ihr Engagement nicht nach den Tagen am Hauptbahnhof enden würde: “Wenn du einmal angefangen hast zu helfen, kannst du nicht mehr aufhören. Du weißt, du musst dranbleiben.”

Heute, ein Jahr nach dieser spontanen Hilfsaktion, sind die Frauen noch aktiv in der Flüchtlingshilfe. Rashid ist Integrationsbeauftragte, versucht die Unterkünfte in ihrem Stadtteil zu betreuen, unterstützt Helferkreise. Sie versucht der Bevölkerung die Angst vor dem Fremden zu nehmen. Lehmann gründete gemeinsam mit weiteren Helfern, die sie am Hauptbahnhof kennengelernt hatte, den Verein Heimatstern e.V. In ehrenamtlicher Arbeit fahren Mitglieder des Vereins große Hilfstransporte mit Kleidung, Hygieneartikeln und Medikamenten überall dorthin, wo Hilfe benötigt wird. Sie betreuen Menschen auf den Fluchtrouten und bieten individuelle Beratung für Geflüchtete an, die bereits in München angekommen sind.

Auch bei Zafar Ertem, der 1. Vorstandsvorsitzende der German Alliance for Civilian Assistance e.V., wurde aus der Spontanhilfe im September 2015 ein langfristiges Engagement. Mittlerweile war er mehrere Male mit Hilfstransporten an den Fluchtrouten unterwegs, um Medizin, Lebensmittel und Klamotten zu verteilen. Das Engagement an der Balkanroute sei Symptombekämpfung, so Ertem. Jetzt will er mit der Organisation direkt in der Türkei die Ursachen bekämpfen. Denn sehr häufig sei die Weiterreise nach Deutschland nicht das Ziel der Geflüchteten. Vielmehr möchten sie in der Türkei bleiben. Die Behörden dort sind allerdings zusammengebrochen, staatliche Hilfen dürftig bis nicht vorhanden. Deshalb plant der Verein nun, Dörfer für Geflüchtete zu bauen, die sich ein Leben in der Türkei aufbauen wollen. Kindergärten, Schulen und Arbeitsstätten sollen die Integration voranbringen und ermöglichen, den Geflüchteten ein würdevolles Leben zu schaffen.

Der Wille zu helfen ist bei den Ehrenamtlichen auch nach einem Jahr noch ungebremst. Die Unterstützung der Bevölkerung lässt allerdings nach Vorfällen wie der Silvesternacht in Köln nach. Die Spendenbereitschaft ginge zurück, so Lehmann. Ihr ist es deshalb ein besonderes Anliegen, dass sich Münchner und Geflüchtete treffen und kennenlernen: “Sobald der einzelne Geflüchtete in der Wahrnehmung der Menschen die anonyme Masse verlassen hat und als Mensch wahrgenommen wird, geht auch die Angst verloren.”

Resümieren kann man aus der Entwicklung im vergangenem Jahr zweierlei Dinge: Einerseits zeigt sich, dass das Engagement der Münchner nicht mit der Schließung des Drehkreuzes am Münchner Hauptbahnhof aufgehört hat. Vielmehr hat sich die anfangs unstrukturierte spontane Hilfe organisiert und plant jetzt auch langfristige Projekte. Andererseits bildet sich sein Bild ab, bei dem sich immer noch auf Ehrenamtliche verlassen wird. Die EU selbst hingegen leitet immer noch zu wenige Initiativen in die Wege, um die Situation der Geflüchteten zu verbessern.

Foto: flickr/Rene Dana 

 

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