Aktuell, Fotobook, Kultur, Stadt

“Behind Grey Walls” – Männerwohnheime der Wohnungslosenhilfe

Esra Yüceyurt

“Der Markt in Bayerns Hauptstadt gleicht einem Haifischbecken, wer wen kennt, oder teuer bezahlt, schwimmt oben, die anderen gehen unter. Doch wer sind diejenigen Menschen, die untergehen? Wo leben sie, wohin fällt man im System? Viel sieht man hier nicht von Armut oder Obdachlosigkeit.” – Das ist nur ein kleiner Ausschnitt des Fotobuchs “Behind Grey Walls” (zu Deutsch: Hinter grauen Wänden) von Fabian Gruber und Michael Josef Grabmeier. Auf eindrucksvolle Weise thematisierten sie Männerwohnheime und Wohnungslosenhilfe in München. Das Ganze ist Teil der Ausstellung “Who’s next?” der TU München und ist noch bis zum 6. Februar in der Pinakothek der Moderne zu bestaunen.

Who’s next?

Kannst du dir vorstellen kein Dach über dem Kopf zu haben? Falls nein, kannst du dich glücklich schätzen, denn vielen Menschen geht es heutzutage so. Während wir die kalten und verregneten Wintertage drinnen mit aufgedrehter Heizung verbringen dürfen, gibt es weltweit unzählige Menschen, draußen auf den Straßen, die nicht wissen wohin. Insbesondere durch die Corona-Krise ist die Bedeutsamkeit dieses Themas global gestiegen. Aber leider wird in vielen Ländern Armut und Obdachlosigkeit nachgesagt, dass die Betroffenen sich nicht genug um Lebensgrundlagen bemühen.

Obdachlosigkeit, Architektur und die Stadt – mit diesen Themen und ihren Zusammenhängen setzt sich die Ausstellung auseinander. Oft scheinen Obdachlose unsichtbar für den Rest der Bevölkerung, oder wie werden sie wahrgenommen? Who’s next setzt sich mit der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit von Obdachlosen, sowie den Zwiespalt der Reaktionen der Gesellschaft, die zwischen Verdrängung und Ablehnung liegt, auseinander. Außerdem zu sehen: Architekturprojekte zur Wiedereingliederung von Obdachlosen und eine Beleuchtung des Themas in Städten wie Tokyo, Mumbai, New York und Los Angeles.

Behind Grey Walls

Neugierig? Hier ein paar Textausschnitte und Bilder aus dem Fotobuch!

“Behind Grey Walls”, Fabian Gruber, Michael Josef Grabmeier

Es ist aufgeräumt, sauber und großzügig ruhig in München, blickt man Richtung Berlin oder Frankfurt. Man schmückt sich mit hohem systemischen Sozial-Engagement, aber zurecht? Ja! Sagt die Psychiaterin Prof. Dr. Monika Brönner im Interview mit den zwei Fotografen, keine andere Stadt in Deutschland stelle vergleichbare finanzielle Mittel für Obdach- und Wohnungslosigkeitshilfen bereit. Das eigentliche Problem aber sei psychologischer Natur, nachdem langzeit-psychiatrische Aufenthalte zeitlich limitiert wurden, finden sich viele Menschen mit therapeutischem Hilfebedarf in Wohnungsloseneinrichtungen wieder, welche aber keine therapeutischen Einrichtungen sind, meint Brönner. Ihre Erkenntnisse hat sie in der Seewolf-Studie empirisch erarbeitet.

“Behind Grey Walls”, Fabian Gruber, Michael Josef Grabmeier

Die Bewohnervielfalt innerhalb der Einrichtungen ist ein bunter Mix aus Systemversagen, psychischen Erkrankungen, kriminellen Vergangenheiten und Schicksalsschlägen. Alle auf engstem Raum miteinander konfrontiert, mit vielen Problemen und meist wenig Hoffnung. Auch wenn es einige Auffangbecken dieser Art gibt, so sind sie doch stets unauffällig und versteckt, scheinen nicht ins vorbildliche Stadtbild zu passen, sind grau und nicht selten heruntergekommen. Der Normalbürger weiß von den wenigsten, es sei denn, er wohnt in unmittelbarer Nachbarschaft. Auf der Suche nach sozial unterrepräsentierten Themen ihrer Heimatstadt, fiel es zunächst auch den Fotografen Michael Josef Grabmeier und Fabian Gruber schwer, Zugang zu den Wohnungslosenhilfen zu bekommen. Die Scham der Bewohner und Bewohnerinnen sei sehr groß, hieß es seitens der Betreuer. Nach längerer inhaltlicher Einarbeitung und vielen Vorgesprächen, wurde den Fotografen nach und nach der Kontakt zu einigen Bewohnern in mehreren Einrichtungen ermöglicht. Sie erhielten Einblick in die menschliche Vielfalt derer, die im System untergehen. Die visuellen Eindrücke aus Männerwohnheimen der Wohnungslosenhilfe in München fassten sie in ihrer Arbeit „Behind Grey Walls“ zusammen. Stets mit dem Ziel unsichtbares sichtbar zu machen und sich selbst zu hinterfragen.​ Ihre eigene Wahrnehmung der Konfrontation mit einer Welt, mit der die meisten keine Berührungspunkte haben, beschreiben die beiden repräsentativ wie folgt:

“Behind Grey Walls”, Fabian Gruber, Michael Josef Grabmeier

„Ein großer Betonklotz mitten in Giesing. Ich bin hier so oft schon vorbeigefahren, es fiel mir nie auf – zu eintönig, zu grau. Jetzt stehen wir davor und ich bin nervös. An der Pforte vorbei werden wir von einer Mitarbeiterin mit wenig Zeit erwartet: „Ihr seid die Studenten von dem Foto-Projekt?“ wirft sie uns entgegen. Ein paar warme Worte später, aber lange nicht aufgetaut, heißt es, dass einige Männer aus dem Wohnheim bereits im Garten auf uns warten würden, sie sind schüchtern, auch skeptisch. Unfreiwillig mit Saft und Kuchen bewaffnet gehen wir durch die Terassentür, 10 Augenpaare sind auf uns gerichtet, jedes einzelne erzählt mehr als wir mit unseren Kameras je festhalten könnten.

“Behind Grey Walls”, Fabian Gruber, Michael Josef Grabmeier

Wir haben uns Anfangs viele Fragen gestellt, waren unsicher, demütig. Jetzt, nachdem einige Besuche und viele Begegnungen vergangen sind, hat sich das verändert. Es war richtig hinter die Kulissen einer Wohlstandsgesellschaft zu blicken, egal wer man ist! Wir haben vieles gelernt, was kann ich bis heute nicht genau sagen. Wir haben versucht Menschen Raum zu geben die im System stecken geblieben sind, haben mit ihnen gelacht und oft über sie nachgedacht. Von daher bleibt ein Gefühl der Menschlichkeit, das frei ist von Vergangenheit, Altersunterschieden und anderen Ungleichheiten. Es entsteht in der Begegnung auf Augenhöhe.“

Hier kommst du zum Fotobuch, 2€ des Erlös werden an den Katholischen Männerfürsorge Verein München gespendet.


Beitragsbild: Fotobuch “Behind Grey Walls”, Fabian Gruber, Michael Josef Grabmeier

No Comments

Post A Comment

Simple Share Buttons
Simple Share Buttons