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#blacklivesmatter: Das Theaterstück “12” an der LMU
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Reginald Roses Drama „12 Angry Men“ (deutscher Titel: „Die 12 Geschworenen“) müsste einem eigentlich vorkommen wie ein Relikt aus längst vergangener Zeit. Zwölf Männer ohne juristische Ausbildung sitzen zusammen und diskutieren über Leben und Tod eines Verurteilten. Das stellt man sich in Schwarzweiß vor und mit Henry Fonda. Die English Drama Group der LMU hat nun Roses Drama adaptiert und zeigt bis zum 29. Januar „12“ in der Schellingstraße 3. Aber kann dieser Stoff im Jahr 2016 überhaupt noch funktionieren? Er kann.
Regisseurin Azeret Koua hat das Stück modernisiert und in die heutigen Obama-USA versetzt. Der Verurteilte bleibt ein Immigrant, aber auch unter den Juroren herrscht mehr Diversität: Aus den 12 Angry Men werden 12 Angry Men & Women unterschiedlicher Abstammung. Anspielungen auf Star Wars, Tarantino oder Erwähnungen von Donald Trump (und deutlich mehr Schimpfworte) geben einen modernen Anstrich.
Viel erstaunlicher ist aber, wieviel sie nicht verändern musste: Es wäre schön, würden die rassistischen Äußerungen von Juror #10, Leuten mit gewisser Abstammung könne man „nicht trauen“, das Alter des Stücks erkennbar machen. Stattdessen laufen sie gerade auf Pegida-Plakaten durchs Land.
Auch sonst passt vieles wie eh und je. Am Ablauf der Handlung, in der ein Juror die anderen nach und nach von der Möglichkeit der Unschuld des Angeklagten überzeugt, mussten Koua und ihre Co-Autoren Nathan Bechhofer und Max Stark nichts ändern. Er ist nach wie vor spannend, die Wortgefechte der Jury witzig und schlagfertig. Auch dank ein paar besonders charismatischen Schauspielern bleibt „12“ so durchgehend fast-paced: Für ein Stück, in dem eigentlich nur zwölf Leute an einem Tisch sitzen, vergeht die Zeit erstaunlich schnell und schon ist’s zu Ende.
Wobei selbiges dann auch den einzigen größeren Kritikpunkt darstellt: Die Autoren haben ein neues Ende geschrieben, das womöglich die Sinnlosigkeit des Jury-Systems betonen soll. In Roses Stück und im Film einigen sich die Geschworenen letzten Endes auf „Not Guilty“, hier nicht. Das Umschreiben an sich wäre nicht unangebracht, doch bietet „12“ fast gar kein eigenes Ende: sondern hört einfach auf. Was schade ist – aber die richtig unterhaltsamen eineinhalb Stunden davor auch nicht mehr zunichtemachen kann.
Spielplan:
19.1./21.1./22.1./25.1./28.1./29.1.16
7:30 p.m. sharp, HS003, Schellingstraße 3, München
VVK tagtäglich von 12-14 Uhr im Foyer von der Schellingstraße 3. Karten auch an der AK (solange der Vorrat reicht).
Trailer:
Nach der Premiere stand uns die Regisseurin und Autorin Azeret Koua noch zu ein paar Fragen Rede und Antwort:
MUCBOOK: Wie kamst du gerade auf “12 Angry Men”? Warst du erstaunt, wie wenig man an der Grundhandlung verändern musste, wie vieles auch heute noch aktuell erscheint?
Koua: Auf Reginald Rose’s „12 Angry Men“ bin ich recht zufällig gekommen. Ich habe es letztes Wintersemester ein paar Tage nach Ende meines ersten Stückes (Tracy Letts „August: Osage County“) gelesen und es hat mich sofort gepackt. Allerdings habe ich mich auch erstmal davor gescheut. Schließlich ist dieses Stück ein heißgeliebter Klassiker und ich wollte es auf keinen Fall ‚versauen‘. Zudem habe ich – meiner Meinung nach – kein Recht dazu, ein Stück zu inszenieren, wenn ich nichts Neues dazu beitrage oder es nicht heutzutage auch relevant ist, also musste ich mir erstmal viele Gedanken darüber machen, ob es meine ‚Kriterien‘ erfüllt.
An der Grundhandlung (abgesehen von der Motivation des Antagonisten) haben meine Co-Autoren, Max Stark und Nathan Bechhofer, und ich fast nichts verändert. Das Stück ist heute in 2016 immer noch höchst relevant. Als Regisseurin freut mich das natürlich und macht meinen Job leichter.
Als Mensch, vor allem als Afroamerikanerin, schockiert es mich und es macht mich unglaublich traurig und wütend, dass sich seit den 50er Jahren so wenig in der amerikanischen Gesellschaft und im Justizsystem getan hat.
MUCBOOK: Wie hast du es geschafft, als Regisseurin die Dynamik auf der Bühne aufrecht zu erhalten? Schließlich sitzen auf dem Papier nur 12 Leute um einen Tisch und reden, das hätte auch langweilig werden können.
Koua: Ja, es hätte wirklich langweilig werden können. Aber das habe ich durch viele Sachen versucht zu verhindern: Erstens haben wir „12 Angry Men“ sprachlich beim Umschreiben auf die heutige Zeit umgestellt. Zudem haben wir es gekürzt und viel Humor und Popkultur-Referenzen reingebracht. Das hat schon einiges zur ‚Belebung‘ des Stückes beigetragen.
Als Nächstes war es mir als Regisseurin natürlich auch wichtig, die Rollen perfekt zu besetzen. Jeder Schauspieler konnte eine gewisse Empathie zu seiner Rolle entwickeln. Noch dazu hat die Drama Group an sich eine Art Familienatmosphäre. Dies hat zur Folge, dass sich das Ensemble eh wunderbar kennt, Chemie hat und einander vertraut. Mir fiel aber die recht naturalistische Inszenierung des Stückes im Großen und Ganzen nicht sonderlich schwer. Eher anspruchsvoll. Denn im echten Menschenleben wäre es ja schließlich auch höchst interessant, zwölf fremden Menschen mit starken unterschiedlichen Persönlichkeiten, Meinungen und Herkünften bei einer Diskussion zuzuschauen. Und in einem echten Raum stehen diese Menschen natürlich auch mal auf, reagieren physisch und geistig auf ihre Umwelt und Mitmenschen, es gibt Streitigkeiten, etc. Ich musste quasi nur den konzeptuellen ‚Raum‘ für die Schauspieler schaffen, in dem sie sich austoben konnten.
MUCBOOK: Warum habt ihr euch entschieden, das Ende umzuschreiben? Passt ein Happy End nicht (mehr) zu dem Stoff?
Koua: Das hat zwei Gründe:
Erstens ist dieses ‚Happy End‘ von Reginald Rose einfach sehr schwach geschrieben. Meiner Meinung nach gehört das Originalende von „12 Angry Men“ nicht zu seiner besten Arbeit als Dramatiker. Meine Co-Autoren und ich sind schlichtweg arrogant genug gewesen, zu meinen, dass wir es besser machen könnten. Oder zumindest nicht schlechter als er.
Der zweite Grund für das Umändern des Stückes ist, dass ich als Regisseurin dem Publikum nicht diktieren will, was es zu denken hat. Es ist nicht meine Aufgabe, ihm zu sagen, was ist ‚richtig‘ und was ist ‚falsch‘. Ich will es allerdings dazu provozieren, auch beim Verlassen des Theaters noch über die Thematik nachzudenken. Dies geschieht in meiner Erfahrung oft am besten, wenn man dem Zuschauer kein abgerundetes Ende hinklatscht und ihn mit einer ‚Antwort‘ gemütlich gehen lässt, sondern das Ende offen lässt.
Bilder: Karina Kopp (1 und 2), Ahmed Osman (3)