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Zwischennutzung oder Pionierprojekt? Die alte Branntweinfabrik am Leuchtenbergring soll mit Kultur belebt werden
Eine urbane Fläche und viele Begehrlichkeiten: Das etwa zwei Hektar große Areal der ehemaligen Branntweinfabrik am Leuchtenbergring steht seit fünf Jahren überwiegend leer. Jetzt bringt das Kollektiv Common Ground und die Stadtregierung eine soziokulturelle Nutzung ins Spiel. Fest steht: in einigen Jahren soll dort ein neues Berufsschulzentrum gebaut werden. Was bis dahin passiert ist unklar. Die Verhandlungen über den Kauf mit dem Bund – dem das Areal gehört – stocken noch.
Etwa 5.000 Stunden hätten sie bisher zur Fläche in Berg am Laim recherchiert und an Konzeptionsarbeit geleistet, schätzt Josh Neumann vom Kollektiv Common Ground – angesprochen auf das wohl größte Projekt, das er und seine Mitstreiter*innen sich jemals vorgenommen haben. In der stillgelegten Branntweinfabrik – wo momentan Coronamasken und Desinfektionsmittel zwischenlagern und früher destillierter Alkohol fabriziert wurde – sieht er Potenzial für eine riesige kulturelle Nutzung der Flächen.
Das aktivistische Kollektiv machte letztes Jahr auf den Leerstand öffentlich aufmerksam und lieferte dem Stadtrat, der Stadtverwaltung und dem Bund (dem Eigentümer der Fläche) gleich ein Bündel aus Konzepten und Ideen mit. Ihrer Vision nach soll dort ein Ort für Sub- und Jugendkultur entstehen, der auch die umliegenden Nachbarschaften mit einbindet. In einem Rotationsverfahren könnten dann verschiedene Kollektive und Vereine den Ort temporär für sich nutzen und aneignen – alles das in einem tendenziell unkommerziellen Rahmen.
Der Stadtrat fordert jetzt eine Zwischennutzung
Der Wink der Jugend scheint jetzt im Stadtrat anzukommen: Die Stadtratsfraktion aus Grüne, SPD, Volt und Rosa Liste forderte Ende Mai in einem gemeinsamen Antrag das Kommunalreferat auf, eine Ausschreibung für eine kulturelle Zwischennutzung auf dem Areal vorbereiten. In der Begründung zum Antrag heißt es, die Freiflächen „eignen sich sehr gut für temporäre kulturelle Projekte.“ Bevor ein lange geplantes Berufsschulzentrum dort entsteht, sei das Areal schließlich noch einige Zeit ungenutzt. Es ist eine der letzten großen Produktionsanlagen im Innenstadtbereich.
„Wir wollen das Gelände kaufen und wir brauchen es als Stadt. Und jetzt gibt es den Auftrag der Stadtregierung, dort eine Zwischennutzung möglich zu machen“, sagt David Süß aus der Fraktion der Grünen dazu. Er hat sich als Mitglied im Kulturausschuss mit der Fläche beschäftigt und ist von der Idee überzeugt: „Räume und vor allem Freiräume für junge Menschen werden in München weiter dringend benötigt. Die Kollektive weisen mit vielfältigen Aktionen immer wieder darauf hin.“
Die Themen Flächenmangel und Kostendruck treiben Jugendliche und junge Erwachsene in München um: Letztes Jahr etwa hatten verschiedene Kollektive und insgesamt rund 6.000 Jugendliche an einem Aktionstag für mehr unkommerzielle Freiräume in der Stadt demonstriert und das Thema ins öffentliche Bewusstsein gerufen.
Pioniernutzung oder Zwischenspiel?
Auf einen schnellen Blick klingt das also nach Einigkeit und einer passenden Gelegenheit, um etwas gegen den Platzmangel für Sub- und Jugendkultur zu tun. Im Detail weichen die Vorstellungen aber ab. Die Forderung nach einer Zwischennutzung geht Petra Weigart von Common Ground aber nicht weit genug. Sie wünscht sich eine sogenannte Pioniernutzung statt einer Zwischennutzung – also eine Verstetigung einer kulturellen Nutzung vor Ort. Damit nicht alles, was dort entsteht, an einem Tag X wieder weichen muss und die erbrachte Energie verpufft. Heißt: Neben dem Berufsschulzentrum – welches sehr sicher irgendwann kommen wird, das ist schon seit 2017 beschlossen – sollten demnach auch dauerhaft soziokulturelle Nutzungen erhalten bleiben. Vor allem die Elemente, die sich vor Ort bewähren.
David Süß von den Grünen zeigt sich dieser Idee gegenüber zwar aufgeschlossen, verweist aber auf den langen Prozess der Arealentwicklung. „Damit überhaupt etwas beginnen kann, brauche ich erst mal die Zwischennutzung“, sagt er. Wichtig sei für ihn also, dass der Prozess jetzt überhaupt erst mal startet und das gehe am schnellsten über den Ankauf der Fläche von der BImA und die Vorbereitung für die Ausschreibung der Zwischennutzung.
Aber beim Thema Flächenkauf hakt es bisher. Seit 2017 ziehen sich die Verhandlungen zwischen Stadtverwaltung (die im Auftrag der Stadtregierung handelt) und der BImA inzwischen hin – wenngleich beide Parteien dem Vernehmen nach diesen Prozess inzwischen beschleunigt sehen wollen. Kurz erklärt: Die BImA ist ein staatliches Unternehmen, welches die Immobilien des Bundes verwaltet. Dabei muss es aber bis zu einem gewissen Maße nach privatwirtschaftlichen Prinzipien handeln und kann Flächen nicht nach Belieben veräußern. Flächen, die später dem Allgemeinwohl dienen (und das wäre sowohl das Bildungszentrum wie auch eine soziokulturelle Nutzung im Sinne der Vorschläge von Common Ground) können aber zu günstigeren Bodenpreisen verkauft werden. Von einer zweistelligen Millionensumme ist aber auszugehen.
Multinutzung?
„Wir wollen die Pioniernutzung und nicht nur die Zwischennutzung“, sagt Leonie Staby von Common Ground. Sie verweist darauf, dass für einen Teil der Schulen potentiell auch woanders im Stadtviertel Berg am Laim Platz wäre. Sie schätzt außerdem, dass auch trotz der jetzigen Baupläne ein Teil des Areals weiter sozio-kulturell nutzbar wäre – auch nach der Zwischennutzung, die jetzt geplant ist.
Es gibt aber noch weitere Ideen, wie beides vereinbar wäre. Verzichten könnte die Stadt zum Beispiel darauf – wie zunächst gedacht – zusätzlich zu den Berufsschulen noch eine Verwaltungseinheit auf das Areal zu bauen. Auch ein nebenan gelegenes und momentan vermietetes Gebäude der Stadt könnte zusätzlichen Platz bieten, um Schulen und eine soziokulturelle Nutzung parallel möglich zu machen.
Impulse aus der Opposition
Einen schnellen Hack bis zur dauerhaften Klärung schlägt Stadträtin Marie Burneleit von der Fraktion Die PARTEI/Die Linke vor. Sie fordert in einem Antrag an den Stadtrat, dass die Stadt bis zur Klärung der langfristigen Planung das Areal erst mal weiter für eine Zwischennutzung von der BImA anmietet – und so auf schnellem Wege eine „soziokulturelle Pioniernutzung“ ermöglicht. Das heißt: was in dieser ersten Phase gut funktioniert, könnte dann permanent auf dem Gelände verbleiben, wenn das Grundstück abgekauft ist. Da die Grün-Rote Fraktion als Stadtregierung einen eigenen Antrag auf den Weg gebracht hat, ist aber davon auszugehen, dass es beim Plan „Zwischennutzung nach Abkauf der Fläche“ bleibt.
Visionen aus der TU München
Während das Kommunalreferat also um den Kauf der Fläche ringt und nun parallel damit beauftragt ist, ein Konzept für die Vergabe der Zwischennutzung zu erstellen, war auch die TU München nicht ganz untätig. Genauer gesagt deren Lehrstuhl für Städtische Architektur: eine Reihe von Studierenden-Gruppen hat das ganze Sommersemester über bereits Ideen für die Transformation des Areals gesammelt und konkrete Visionen entwickelt.
Warten auf die Ausschreibung
Vieles gerät gerade in Bewegung in Berg am Laim. Kommt alles wie geplant? „Ich bin total zuversichtlich“, sagt David Süß und bekräftigt: „Wir wollen das Gelände unbedingt.“ Wer die Fläche nach einem erfolgreichen Ankauf federführend nutzen darf, muss über die öffentliche Ausschreibung des Kommunalreferats entschieden werden. Dort werden auch die entscheidenden Kriterien genannt. Bewerben darf sich dann jede*r.
Common Ground betonen, sie würden im Falle des Zuschlags auf Rotationsmodelle, Beteiligungsprozesse und Open Calls setzen. Also den Ort mit und für viele andere Kollektive und Gruppen öffnen und übergeben. Man sähe sich dann eher als Moderationsstelle und Sprachrohr für kollektive Bedürfnisse denn als alleiniger Betreiber. Aus der ehemaligen Fabrik solle ein „Ort der Begegnung, Wissensweitergabe, Kreativität und Kultur“ werden. Vom Lesekreis über Proberaum und E-Gaming Space bis zum Rave passt vieles in diesen Ideenrahmen. Und etwas mehr Grün fände man schön.
Beitragsbild: © Common Ground
Richtigstellung 21.06.: In einer früheren Version des Artikels wurde behauptet, die Semesterprojekte der TU München würden im Juli der Öffentlichkeit vorgestellt. Das ist nicht richtig. Auch wurden die Semesterprojekte bisher nicht für den Hochschulpreis der Stadt München vorgeschlagen, wie von uns dargestellt. Diese Darstellung beruhte auf einem Missverständnis.
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