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Fashion-Ding, Kultur

Das Biotopiafest: “Hautnah” dran an der Mode von Morgen

Sarah Kampitsch

Der Gedanke an Leder aus Kuhmägen ist gewöhnungsbedürftig, der Geruch nicht zumutbar. Der Aspekt der Nachhaltigkeit ist aber tatsächlich vorhanden. Wofür die “normalen” Lederindustrie-Rinder eigens gezüchtet werden, bedient sich “Kuhmagenleder” der Sondermüllabteilung der Fleischindustrie.

“Wieso nicht auch was Schönes aus dem Abfall machen?” Ja, wieso eigentlich nicht. “Manche Leute erkennen sogar aus welchen der vier Rindermägen das Leder stammt”, freut sich die nette Ausstellungsbetreuerin. – Aha..

Mode zum Anfassen

Am 16. Juni fand das Biotopiafest “Hautnah – Stoff der Zukunft” vom Naturkundemuseums Bayern statt. Einen Tag lang habe ich Fashion betastet, gerochen und gebastelt und zwar aus (noch) untypischen Materialien. Darunter Gräser, Blätter, Algen, Pilze, Kartoffeln, Orangen und ja, auch Rindermägen.

Jedes Lebewesen verfügt über Häute. Manche lieben wir so sehr, dass wir sie abziehen und uns selbst überstreifen. Andere versuchen wir zu kopieren und auf Basis von DNA und Bakterienkulturen synthetisch nachzuzüchten. Wiederum andere versuchen wir zu schützen und vom Abziehen und Überstreifen zu bewahren. Wo liegt am Ende wirklich der moralische Unterschied zwischen Rinder- und Krokodilleder?

Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Design

Biotopia sucht den Austausch mit anderen Disziplinen, Biologie alleine sei ja langweilig. Um die Leute ins Museum zu locken, muss man heutzutage schon mehr bieten: Was interessiert und was berührt uns? Themen wie Essen, Kleidung, Fortpflanzung sollen die wechselseitige Beziehung zwischen Menschen und anderen Lebewesen darstellen, anstatt die Welt nur wie üblich anthropozentrisch von oben zu betrachten: Wer gibt uns das Recht, über Leben und Tod der anderen zu entscheiden? Der Herr mit dem weißen Bart sicher nicht.

Biotopia ist übrigens die Neuerfindung und Erweiterung des Museums Mensch und Natur im Schloss Nymphenburg mit einem einzigartigen Konzept, das das klassische Naturkundemuseum neu auslotet.
Bio wird im zukünftigen Museum, das uns wohl erst gegen 2025 mit regelmäßigen Öffnungszeiten beehren wird, also großgeschrieben, ebenso wie Nachhaltigkeit und Naturbewusstsein. Grund genug sich an einem Sonntag in sieben Jahren mal was freizuhalten im Kalender.

Der nächste Shit: Kleider aus Spinnenseide

© Yannis Vlamos | Dress by Iris van Herpen.

Die Wissenschaft hat sich bekanntlich immer schon Elementen aus der Natur bedient. Höchste Zeit, diese dadurch nicht mehr zu schädigen. 

Spinnenseide etwa soll das traurige Schicksal der nie fliegen lernenden Schmetterlinge bekämpfen. Tatsächlich ist das Ganze gar nicht so gruselig, wie es sich anhört; du darfst den kalten Ekel-Schauer, der dir da gerade über den Rücken läuft, also wieder weg schicken. Meiner ging auch gerne.

Für die Herstellung von Spinnenseide wird lediglich die DNA eines Spinnenfadens entnommen, alles weitere erledigen künstlich zugefügte Bakterien und das Laborpersonal. Der Stoff, aus dem später Seide gesponnen wird, wächst sozusagen im Reagenzglas heran. Das Ergebnis ist 100 Prozent reine Spinnenseide, ohne dass auch nur eine Spinne dafür arbeiten musste.

Hinter dem Spinnen-Vlies versucht sich auch ein Kuhmagen zu verstecken. Zum Glück wissen wir aber alle Dank seiner Ausdünstungen, dass er da ist.

Da stellt sich mir doch gleich eine existenzielle Frage: Ist das nun vegan? “Boah…” Die Studentinnen des Lehrstuhls aus Bayreuth habe ich jedenfalls an den Rand eines Deep-Shit-Talks gebracht. “Ja… Nein… Je nachdem, wie man das betrachtet… Was ist schon vegan…” Unser Fazit schlussendlich: Theoretisch, ja. Musste ja niemand sterben oder leiden. Oder sich beteiligen. How hipster is that?

Umdenken gefragt: Wenn die Küche zur Schneiderei wird

Wieso Nahrung eigentlich immer nur essen? Man kann doch viel andere schöne Dinge daraus machen. Wie etwa Schmuck aus Braunalgen basteln oder Pilzkulturen zu Stoffen züchten oder Kartoffelstärke zu Plastik kochen oder Blumentöpfe aus altem Kaffeesatz formen.

Wie man es auch betrachtet: Die Biotopia Ausstellung war auf einer DIY-Skala ein reiner Pinterest Traum. Neben Kursen zum Färben mit Mikroalgen und Kostüme basteln aus Blättern und Gräsern konnte man auch lernen, wie man sich selbst Pilze wachsen lässt und mit Kastanien Wäsche wascht. Wenn die zukünftigen Sonderausstellungen und Aktionen rund um das Großthema Leben auch so kreativ ausfallen, dürfte die Zeit bis zur Eröffnung 2025 durchaus zur Vorfreude anregen.

Das schöne, selbstgemachte Armband aus Braunalgen musste leider wegen Uneinigkeit bezogen auf den Geruch der Mülltonne gespendet werden.


Bilder: © BIOTOPIA – Naturkundemuseum Bayern | Foto by: Andreas Heddergott

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