Wohnen fuer Hilfe
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Wohnen wie bei Oma: So sieht “Wohnen für Hilfe” aus

Sarah Kampitsch

Bei Mama ausziehen und bei Oma wieder ein: Wohnen für Hilfe bietet Mehrgenerationen-Wohnen, das vor allem eines ist – herzlich.

Die Vorstellung, die Idee des Studentenlebens à la erste Freiheit von elterlichen und familiären Verpflichtungen in vollen Zügen auszuschöpfen, scheitert in München so schnell wie der Gedanke an Wolken berührende Seifenblasen. Studentenheime sind überbesetzt, eigene Wohnungen für viele finanziell keine Option, Wohngemeinschaften oftmals noch teurer als Einzelzimmer. 

Der Seniorentreff Neuhausen e.V. hat sich vor 22 Jahren eine Lösung für “arme StudentInnen” überlegt, in der die Unterstützung von Senioren und Seniorinnen die Währung bildet und Mietpreise auf Nebenkostenbeteiligung reduziert werden können. 

Mittlerweile vermittelt der Verein jährlich 80 Geringverdiener, Auszubildende und Migranten an Senioren. Billiges Wohnen? Wir haben mit Geschäftsführerin Marion Schwarz und Brigitte Tauer gesprochen, warum Wohnen für Hilfe weit mehr bietet, als eine günstige Bleibe. 

Ein etwas anderes Wohnkonzept

Zwischen 60 und 97 Jahre alt sind die Seniorinnen und Senioren bei Wohnen für Hilfe. Viele treffen auf das Angebot des Seniorentreffs Neuhausen, weil ein Ehepartner verstorben ist, und sie nicht alleine im Haus sein möchten. Bei anderen ist der Partner dement oder ein Pflegefall, wiederum andere brauchen selbst Unterstützung im Haushalt. Vieles geht im Alter nicht mehr ganz so einfach.

Wohnen für Hilfe hat sich diesem Problem angenommen und Unterstützung gefunden, die kostengünstig und erfrischend ist: Studenten sollen bei den älteren Menschen wohnen, mit ihnen Zeit verbringen und bei den alltäglichen Tücken unterstützen, die mit steigendem Alter immer schwieriger werden. Diese Aufgaben übernehmen die jungen MitbewohnerInnen im Gegenzug zu günstigem Wohnraum: Pro Quadratmeter Fläche, das dem Untermieter privat zur Verfügung steht, wird eine Stunde Arbeit im Monat aufgerechnet. In diesem Satz finden sich zwei Fehler: Untermieter und Arbeit.

Vermieter und Untermieter, solche Begriffe werden bei Wohnen für Hilfe nicht in den Mund genommen. Schließlich soll ein freundschaftliches, unterstützendes Wohnmodell im Vordergrund stehen, ein gegenseitiges Entgegenkommen bei welchem beide Parteien ihren Beitrag leisten und auch etwas mitnehmen können, ein solidarisches Miteinander leben. Zimmersuchende und -gebende würde eher beschreiben, was sie ausdrücken möchten. 

Arbeit stimme auch nicht so ganz, so Frau Tauer. “Das sind ganz alltägliche Aufgaben, sowas wie einkaufen, den Garten pflegen, putzen, die Tiere betreuen, wenn es welche gibt. Im Winter ist Schneeräumen meist ein Knackpunkt für viele. Oft sind es ganz banale Dinge, sowas wie Dosen öffnen. Im Alter funktioniert vieles nicht mehr so einfach. Vielen geht es aber auch nur darum, dass jemand da ist, dass sie wissen, sie können notfalls jemanden fragen und sind nicht alleine.”

Klar definiert sei ein Punkt: Die Aufgaben dürfen nicht Pflege beinhalten. Diese müsste bei Bedarf tatsächlich von außen gedeckt werden.

Wohnen für Hilfe

Wie sieht Hilfe als Währung nun aus?

Die Studenten zahlen nur einen Beitrag zu den Nebenkosten, keine Miete”, erklärt Frau Tauer. Dafür gibt es je nach Größe des Zimmers 4-7 Stunden Hilfe pro Woche.

Eine Dame ist zum Beispiel blind; da sind Aufgaben so banal wie ‘Sachen vom Boden aufheben’ oder ‘Briefe vorlesen’. Selbst solche Kleinigkeiten werden plötzlich ganz wichtig.

Schwierig würde es dann werden, wenn die Grenzen nicht klar gesetzt seien. 

Es ist nicht immer einfach zu definieren, was nun als Arbeit zählt und was nicht”, so Frau Schwarz. “Oft sind die Grenzen fließend; man geht zusammen ins Kino oder kocht und isst gemeinsam zu Abend. Auch das gilt für uns als Arbeit, weil man sich mit der Person beschäftigt und Gesellschaft leistet. Das ist oft sehr viel mehr wert.”

Gibt es besonders schöne Geschichten?

Frau Tauer: “Unser ältester Senior ist 97 Jahre alt. Ein Mädchen aus Venezuela hat bei ihm gelebt, musste aber leider in eine Stadt ziehen, weil sie ihren Deutschkurs nicht bestanden hatte und in München nicht wiederholen durfte. Er setzt nun alles in Kraft, um sie wieder nach München zu bekommen, er will sie unbedingt wieder bei sich haben.

Wieso beschließt man als junger Mensch, zu Oma und Opa zu ziehen?

Wichtig ist natürlich die Geld- und Wohnungsnot. Aber damit alleine hält man nicht durch”, erklärt Frau Tauer. Solche hätten sie auch, die wären aber schnellstmöglich über alle Berge, sobald sich der Alltag eingestellt hätte.

Man muss schon einen Draht zu Älteren haben, und definitiv eine emotionale Motivation, um zu Wohnen für Hilfe zu kommen,” schließt Frau Schwarz an.

Viele MigrantInnen etwa seien große Familien gewohnt, und freuten sich, im fremden Land direkt wieder familiären Anschluss zu haben. Andere holen eine Großeltern-Beziehung nach: “Wir haben immer wieder BewerberInnen, die ihre Großeltern nicht mehr kennengelernt haben. Viele wollen aufholen, was sie versäumt haben.”

Zudem lernt man auch viel”, überlegt Frau Schwarz, “SeniorInnen können gerade handwerklich sehr viel, dass heutzutage verloren geht, etwa Marmelade einkochen oder Gärtnern. Das zieht auch viele an.

Wer darf nun teilnehmen?

Frau Tauer: “Wir haben zwei Anforderungen, die uns sehr wichtig sind: Deutsch auf Gesprächsniveau und mindestens ein Jahr bleiben wollen.” Dabei sind 60 Prozent der Teilnehmer internationale StudentInnen oder haben internationalen Hintergrund. “Kommunizieren muss man schon können; die wenigsten der Älteren sprechen Fremdsprachen.

Trotz des Fokus auf StudentInnen ist Wohnen für Hilfe keinesfalls exklusiv. Auszubildende, Geringverdiener und Migranten seien Willkommen. Der finanzielle Notstand sei aber vor allem den Älteren wichtig: Sie sehen das Zusammenleben mit jemand Fremden als ihren sozialen Beitrag, und wünschen sich Menschen, welche ihre Unterstützung auch gebrauchen können.

“Ausländer” und SeniorInnen – Wie funktioniert das denn?

Gut!” sind sich die beiden Damen einig. Die Zimmergebenden seien durchaus aufgeschlossen, was neue Kulturen betrifft. Viele wünschen sich sogar explizit jemanden aus dem Ausland. 

Frau Tauer: “Ein Herr zum Beispiel hatte seit einigen Jahren Portugiesisch gelernt und wollte unbedingt jemanden, mit dem er sprechen konnte. Wir haben tatsächlich einen 45-Jährigen aus Brasilien für ihn finden können.”

Woran scheitert es, wenn es das tut?

Den Erwartungen”, überlegt Frau Tauer. “Viele wünschen sich eine Wohnung in Uni-Nähe, das ist natürlich nicht möglich. Viele Apartements liegen etwas außerhalb, dafür sind die Wohnungen meist auch größer und man hat mehr Platz.

Was passiert im Idealfall?

Der Idealfall ist, wenn gegenseitiges Wohlwollen und Vertrauen herrscht. Wenn wir nur noch Vermittler sind, und der Rest von selbst funktioniert; wenn sie uns nicht mehr brauchen,” ist sich Frau Schwarz sicher. 

Frau Tauer: “Eine Dame kam mal auf uns zu und sagte über ihren Mitbewohner, ‘Den hat mir der Herrgott geschickt’, sowas ist natürlich schön. Ich glaube, sie waren beide sehr religiös und haben auch zusammen gebetet.

Frau Schwarz: “Wenn es gut passt, dann schauen sie aufeinander. Viele backen dem anderen Geburtstagskuchen, und oft bleibt man auch nach dem Studium noch zusammen wohnen.”

Und was wünscht ihr euch für die Zukunft?

Das wir überflüssig werden,” sind sich die beiden Damen wieder einig. Ein tolles, unterstützungswürdiges Projekt weiterzuführen, das besonders ist. In welchem sie nur noch den Anstoß geben müssen, und die Vermittlung und Betreuung von selbst funktioniert. Wo die Menschen sich wohl fühlen und gerne neben und miteinander ausharren. Und Verständnis und Gemeinschaft im Mittelpunkt stehen.


Zu Wohnen für Hilfe:

Seit 1996 arbeitet das Angebot “Wohnen für Hilfe” des Seniorentreff Neuhausen e.V. mit der Idee, Solidarität und Unterstützung zwischen den Generationen zu schaffen.

Die Ansprechpartnerin Brigitte Tauer erreicht man unter wfh@seniorentreff-neuhausen.de

www.seniorentreff-neuhausen.de 

Unser aktuelles Magazin “Wohnen trotz München” kannst du hier bestellen. 

Fotos: Unsplash von Damir Bosnjak; Wohnen für Hilfe

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