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Temporäres Wohnen: Unser Wohnraum wird immer teurer und knapper
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von Patric Meier
Wie geht Wohnen? Wann wohnen wir? Was ist Wohnen? Und was ist überhaupt temporäres Wohnen? Wenn ich auf einem Stuhl sitze, wohne ich dann? Oder muss ich dafür auf einem Sofa liegen? Beine hoch. Wenn ich einen Kaffee in meiner Küche zubereite, wohne ich dann schon? Was macht eine Küche zu einer Wohnküche? Wenn ich dort mehr tun kann als nur einen Kaffee zu kochen, sondern diesen auch zu trinken, im Sitzen.
Was mich umtreibt, sind diese Fragen, weil sie uns bewusst machen, dass die persönlichen Vorstellungen davon, wie Wohnen geht, individuell sehr unterschiedlich sind. Manche Menschen wollen sich auch über ihre Art des Wohnens repräsentieren, was sie im Leben erreicht haben. Sie können oder wollen sich diesen Raum leisten – überflüssigen Raum? Aber kann oder will sich das noch eine Stadt leisten? „Opernwohnungen“, die vielleicht zweimal im Jahr genutzt werden?
Andere Menschen sind extrem bescheiden und zufrieden mit einem Bett für die Nacht und einer Möglichkeit, auf die Toilette zu gehen und sich zu waschen. Das alles ist Wohnen.
Wohnen ist heute nicht mehr das, was es früher einmal war.
Die Zeiten, wo man an dem Ort, an dem man geboren wurde, auch den Lebensabend verbrachte, sind längst Geschichte. Die Anzahl der Wohnsitze eines Einzelnen ist entsprechend der zunehmenden Flexibilität und der Individualisierung unserer Lebensläufe extrem angestiegen.
Zu diesem Phänomen gesellt sich seit geraumer Zeit ein anderes: Das multilokale Wohnen, auch temporäres Wohnen genannt. Wohnen also nicht nur an einem Ort, sondern an verschiedenen Orten gleichzeitig. Unter der Woche tingeln wir durch die globalisierte Arbeitswelt, das Wochenende verbringen wir dann auf dem Landsitz, bei den zu pflegenden Eltern, bei unseren beim anderen Elternteil lebenden Kindern oder bei unserer Wahlverwandtschaft. Wir arbeiten an Projekten auf Zeit, nehmen uns bewusst Auszeiten oder unternehmen lange Reisen.
Den ökologischen Wahnsinn der daraus resultierenden ressourcenfressenden Mobilität will ich an dieser Stelle bewusst außer Acht lassen – ein eigenes weites Feld. Ich will mich hier auf die mit unserer neu gewonnenen Flexibilität und Freiheit einhergehende Verschwendung von Raum konzentrieren.
Verschwendung von Raum
Nicht zuletzt diese ist neben anderen Faktoren dafür verantwortlich, dass der Raum zum Wohnen insbesondere in unseren Städten immer rarer und damit immer teurer wird. Die Stadt München verkauft städtische Grundstücke nur noch mit klar begrenzten Wohnungsgrößen für die Anzahl der dort lebenden Menschen. Diese Vorgaben gehen davon aus, dass es klar definierte Familiengrößen gibt, die auf Jahre festgeschrieben sind.
Fakt ist jedoch, dass alles zunehmend im Fluss ist. Personell wie räumlich.
Eine Lösung unseres Wohnproblems jenseits städtischer Nachverdichtungen und endloser Ausdehnungen der Speckgürtel kann in meinen Augen in der Mehrfachnutzung bzw. der „Ent-Individualisierung“ von Wohnräumen liegen.
Ein Raum ist für die Zeit meiner Nutzung mein Raum, danach wird diese Hülle ein Raum für einen anderen Menschen. Im Arbeitsbereich kennen wir diese Art der gemeinsamen Nutzung von Räumen bereits. Der Bereich des Wohnens wird sich in eine ähnliche Richtung entwickeln wie der des Arbeitens.
Nach dem Desksharing kommt das Roomsharing.
Der Wohnungsmarkt würde sich deutlich entspannen, wenn wir bereit wären, unsere Wohnungen nicht alleine zu nutzen. Denn um rentabel zu sein, müssen unsere Immobilien in ihrer Gänze genutzt werden. Nicht nur am Wochenende, nicht nur in einer bestimmten Lebensphase.
Im gewerblichen Bereich des Wohnens – der Hotellerie – ist diese Entwicklung bereits im vollem Gange. Appartementhäuser und Boardinghäuser sprießen wie Pilze aus dem Boden. Aber wie können wir im privaten Wohlfühlwohnen auf diese Tendenz reagieren? Wer will schon regelmäßig in einem anonymen Boardinghouse absteigen, wenn er nicht unbedingt muss?
Die Raumreserven sind endlich
Unsere Raumreserven sind endlich, und einer bereits existierenden räumlichen Dichte muss auch eine Nutzungsdichte folgen.
Vielleicht ist es an der Zeit, über eine „Bescheidenheit des Privaten“ nachzudenken. Reduzierte Individualflächen und größere bis opulente Begegnungszonen, die gemeinsame Aktivitäten ermöglichen bei gleichzeitiger Achtung eines individuellen Schutzraums. Sieht man sich z.B. die Gemeinschaftsflächen beim Wohnprojekt Kalkbreite in Zürich an, dann drängen sich Vergleiche mit der Großzügigkeit einer Hotellobby geradezu auf.
Selbstverständlich ist hierfür ein anderes Miteinander notwendig. Neue Gemeinschaften, die Werte teilen und deshalb auch bereit sind, Räume und Nutzungen zu teilen.
Neue Genossenschaft: VielLeben eG
Aus diesen Überlegungen und Überzeugungen heraus haben wir im vergangenen Jahr eine Genossenschaft gegründet, mit dem programmatischen Namen VielLeben eG. Diese hat sich vorgenommen, dieser neuen Lebenswirklichkeit Raum zu geben.
Als ein interdisziplinäres Team aus Geografen, Historikern, Urbanisten, Journalisten und Architekten sind wir im Gespräch mit Gemeinden und Kommunen, die Interesse an einer Weiterentwicklung des Begriffs des Wohnens haben. Das temporäre Wohnen, das für viele mit Anonymität und Seelenlosigkeit verbunden wird, könnte so seinen Schrecken verlieren und stattdessen eine echte Bereicherung für unser Leben werden.
Vielleicht kann auf diese Weise sogar ein Gefühl von Heimat entstehen. Heimat bezogen weniger auf den Herkunftsort, sondern auf die vertrauten Menschen, denen man an diesen Orten (wieder-) begegnet und mit denen man ein Stück seines Lebens bzw. Wohnens teilt.
Patric F.C. Meier ist Gesellschafter von agmm Architekten und Stadtplaner in München. Das Büro sieht sich als Ermöglicher von sinnstiftenden Gemeinschaftsprojekten im urbanen und ländlichen Raum. Er ist Vorstand der VielLeben eG, einer neu gegründeten Wohnungsbaugenossenschaft und leitet den Arbeitskreis Nachhaltige Quartiersentwicklung im Münchner Forum gemeinsam mit Cornelia Jacobsen.
Dieser Text stammt aus dem Münchner Forum Standpunkte von Mai 2019.
Beitragsbild: © Tavis Beck on Unsplash