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Demonstration gegen die Angriffe der ISIS auf Kurdistan
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In der letzten Woche fanden sich fast jeden Tag viele Menschen zu Mahnwachen für die kurdischen Opfer im Irak zusammen. Wir haben mit dem Veranstalter Azad Yusuf Bingöl gesprochen. Die Organisation “Kurdisches Gesellschaftszentrum München & Südbayern ” hat neben einer großen Demonstration auch Proteste vor der französischen Botschaft organisiert.
So was ist heute euer Plan?
Azad Yusuf Bingöl: Wir wollen hier mit mehreren Mahnwachen auf die Situation in Kurdistan, also im Nordirak, aufmerksam machen. Dort wird die Religionsgruppe der Jesiden von Kräften der IS-Truppen (Islamischer Staat) verfolgt und abgeschlachtet. Wir hatten vergangene Woche schon eine große Demonstration hier in München mit bis zu 2.000 Teilnehmern, aber wir wollen jetzt doch noch mehr Aufmerksamkeit auf dieses Problem lenken.
Habt ihr auch Gegendemonstranten? Bei dem Thema eigentlich schwer vorstellbar.
Also bei der Demonstration kam es schon am Rande zu kleineren Meinungswechseln, bei denen Kommentare gefallen sind, von IS-Sympathisanten. Also auch Provokationen. Und man muss ja sehen, dass der IS auch hier in München durchaus Zuspruch von vielen Jugendlichen hat. Zum Beispiel diese ganzen Koran-Verteilaktionen oder irgendwelche Ableger der IS hier in Deutschland, die nennen sich Dawa Bewegung. Und die haben auch hier ziemlich viele Jugendliche, die sogar für sie in den Kampf ziehen würden.
Habt ihr dabei auch Stress mit Türken? Weil die Türkei die IS-Kämpfer durchgelassen haben soll.
Ja auf höchster Ebene hat zum Beispiel ein türkischer Regierungssprecher gesagt, die IS sei keine Terrorgruppe, sondern eine Ansammlung von Menschen, die sich mit der Regierung in Bagdad nicht zufrieden geben will und die dagegen kämpft. Aber das ist totaler Blödsinn. Viel mehr werden die Selbstverwaltungsprojekte der Kurden, zum Beispiel in Syrien und auch im Irak, als Gefahr eingeschätzt und deshalb unterstützt die türkische Regierung die IS finanziell.
Aber dagegen spricht ja jetzt der Einsatz der USA (Luftschläge) im Nordirak. Da kommt über kurz oder lang ein Konflikt in der NATO zustande.
Ich glaube – ist meine Meinung – dass die USA in den letzten drei Jahren die ISIS Kämpfer auch geduldet haben, weil die genauso den Sturz des Assad Regimes erzielen wollten.
Jetzt werden aber die kuridischen Peschmerga Miliz unterstützt und davon profitieren doch auch diejenigen, die die kurdische Staatsgründung erreichen wollen. Ihr fordert ja unter anderem auch Freiheit für Abdullah Öcalan. (Öcalan gilt in der Türkei, den USA und Europa als Führer der Terrororganisation PKK) Wie sieht’s damit aus?
Es gibt viele Auslegungen oder Ideologien dazu, wie sich die Kurden selbst verwalten sollen. Zum Beispiel funktionierende Regionalverwaltungen in Syrien. Das sind die Ideen des Repräsentant des kurdischen Volkes, Öcalan. die Kurden müssen sich selbst verwalten, brauchen aber keinen Nationalstaat um jeden Preis und keinen reinen Nationalstaat sondern einen mit Einbindung verschiedener Volks- & Religionsgruppen wie in Rojava Syrisch-Kurdistan. Die Debatte um einen solchen Staat, oder auch, dass die USA und die anderen NATO-Partner so etwas in Aussicht stellen, sehe ich als ein Spiel. Zum Beispiel wird hier immer gesagt, die Peschmerga werden unterstützt, aber in Wahrheit wird kein Wort darüber gesagt das vor allem die Guerilla-Einheiten der PKK es waren, die die Flüchtlingskorridore für die Jesiden freigekämpft haben.
Und da sollte man sich vor Augen führen, dass die PKK in Deutschland seit über 20 Jahren verboten ist, obwohl sie eigentlich die fortschrittlichste Kraft im Mittleren Osten ist. Und in allen Gebieten, in denen Kurden leben, glauben die Leute an die Ideen Öcalans. Dafür halte ich einen kurdischen Nationalstaat ebenfalls für gefährlich, weil dadurch ein Nationalbewusstsein entstehen kann. Die kurdische Unabhängigkeitsbewegung sollte nicht mit einem kurdischen Rassismus gleichgesetzt werden.
Wo liegt denn für dich die Lösung? Gerade im Konflikt mit der Türkei?
Gerade gegenüber der Türkei müssen die anderen NATO Partner Druck ausüben, damit die Finanzierung und die Unterstützung der IS aufhört.
Und weitere Unterstützung durch die USA, die ja vor allem den Iran aus dem Konflikt raushalten wollen. Dafür nehmen sie auch den Konflikt mit der Türkei in Kauf und unterstützen eine, von ihnen so genannte Terrororganisation (PKK).
Ja das Verhalten der USA finde ich sowieso völlig zweifelhaft. Warum zum Beispiel schreitet man erst ein, nachdem schon tausende Menschen gestorben sind und nochmal mehr vertrieben wurden? Ich finde das verhalten auch nicht ehrlich. Es ist gut, dass die USA jetzt Hilfe leistet, weil dadurch Menschenleben gerettet werden. Aber die Absichten sind undurchsichtig. Und wenn sie wirklich wollen, dass die IS Truppen verschwinden, dann müssen sie und alle anderen NATO Partner erstmal Druck auf die Türkei ausüben.
Gleiches gilt für andere regionale Partner, die die IS unterstützen, zum Beispiel Saudi-Arabien oder Katar. Die muss man dazu bewegen, diese Unterstützung einzustellen. Dann fehlt auch der IS irgendwann die Kraft. Aber bis jetzt sorgen sie nur für die Schlagzeile: “Die USA hilft den Menschen”.
Alles klar. Wir danken dir für dieses Gespräch.
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Fotos: Sophie Mathiesen