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Der Gentrifizierungswahnsinn – Ein Interview mit Alex Rühle

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Am kommenden Sonntag findet die bereits von uns angekündigte Diskussionsveranstaltung “Wem gehört die Stadt” im Rahmen der Globalen Vortragsreihe “Urban Places Public Spaces” statt. Einer der Münchner Gäste im Schauspielhaus der Münchner Kammerspiele wird der Journalist Alex Rühle sein, der sich zuletzt mit der Organisation Goldgrund Immobilien einen Namen machte. Wir haben uns im Vorfeld schon einmal mit ihm getroffen. Im Interview beantwortet er mucbook die wichtigsten Fragen zum Thema und verrät uns, was seiner Meinung nach in München schief läuft.

Bei der Debatte am 22.2. geht es um die Frage: In was für Städten wollen wir in Zukunft leben? Da frage ich doch gleich mal: In was für einem München möchtest du leben?

Ich möchte in einer Stadt leben, die sich auch Familien leisten könne und Leute, die nicht 7000 Euro im Monat verdienen, einer Stadt, die sozial bunt durchmischt ist.

 

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Verkleidet als Gorillas machen sich bekannte Münchner selbst daran, die Müllerstraße 6 zu renovieren

 

Was genau läuft denn falsch in München?

Segregation qua Miete. Ganze soziale Schichten werden aus der Stadt rausgentrifiziert.
Der Bodenpreis ist zwischen 1950 und heute um 9000 Prozent gestiegen.

Wer sind eigentlich eure Gegner? Die Stadt scheint ja inzwischen ein großer Sympathisant eurer Aktionen zu sein und erklärt sich mit Sachzwängen.

Unser größter Gegner ist eigentlich die Lethargie. Die Leute reden über Themen wie Gentrifizierung, Mietpreiserhöhungen etc. wie übers Wetter: Wass willste machen, wenn’s regnet, wird man nass.
Aber so kann man doch nur darüber reden, wenn man vorher sagt, dass man keinerlei Handlungsspielräume hat. Und die muss man eben finden.

Ansonsten gibt es nicht den einen bösen Gegner. Was das Ganze ja zugegebenermaßen auch schwierig macht. Ich finde viele Bauträgerfirmen extrem unsympathisch. Was die für Gated-Community-artige Klötze in den Stadtraum bomben, das ist krass. Das ist Architektur, die den Sozialvertrag von vornherein aufkündigt: Der hippe, multikulturelle Stadtraum wird für den Werbeprospekt aufgegriffen, aber durch den teuren Klotz, den man selbst dann da reinstellt, kaputtgemacht. So haben wir ja angefangen. Indem wir uns dem Bösen anverwandelt haben und selbst im Gewand einer Immobilienfirma daherkamen: Goldgrund Premium Bauträger. Das Krasse war dann nur, wie viele Menschen uns auf den Leim gegangen sind und dachten, unsere total grotesken Bauprojekte seine echt.

“Die Stadt” jedenfalls hat extrem geringen politischen Handlungsspielraum. Wir haben mit der Gorilla-Renovierung einer städtischen Wohnung in der Müllerstraße oder der vorübergehenden Besetzung der Pilotystraße dezent darauf hingewiesen, dass sie mit ihrem Leerstand nicht verantwortungsvoll umgeht. Aber das hat sich ja mittlerweile hoffentlich gebessert. Und schau Dir die Zahlen an: Was den Leerstand angeht, hatte die Stadt 1700 Wohnungen bzw. Objekte, aber es gab und gibt 10 mal so viele private Wohnungen bzw. Häuser, die leerstehen. Da müsste man was machen, aber das ist nicht Sache der Stadt, sondern der Bundesregierung.

Was man machen müsste: Die Bodenpreise deckeln. Aber auch das kann die Stadt nicht entscheiden.

 

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Die fiktive Organisation Goldgrund Immobilien

 

Goldgrund ist kein Einzelfall. Warum bilden sich gerade in den vergangenen 10 Jahren überall Bündnisse nach dem Motto „Uns gehört die Stadt“?

Keine Ahnung. Wahrscheinlich fühlen sich immer mehr Menschen fremd in der eigenen Stadt.

Was denkst du welche Bedeutung die sozialen Medien haben, wenn es darum geht Räume zurück zu erobern? Hätte eine Aktion wie Bellevue di Monaco ohne Facebook überhaupt funktioniert?

Was uns angeht, muss man unterscheiden: “Goldgrund” hätte nicht diesen Wahnsinns-Impact gehabt ohne das Youtube-Video von der heimlichen Renovierung einer Wohnung in der Müllerstraße. Da hatten wir innerhalb weniger Stunden 50 000 Klicks und abends stand dann der Ude vor der Tür. Er wollte die Wohnung sehen und hat selbst wiederum auf Facebook ein Statement abgegeben- er war ja gerade im Bayernwahlkampf. Das hat uns sehr geholfen, an dieser Stelle auch nochmal einen ganz herzlichen Dank an ihn.

Was das “Bellevue” angeht: Das gibt’s ja noch gar nicht. Aber in der Stadt populär gemacht haben wir es durch die drei großen Anti-Pegida-Demos, die wir im Dezember bzw. Januar organisiert haben. Und die waren ja jetzt extrem analog, da muss jeder einzelne auf die Straße gehen, sonst gibt’s die Demo nicht.