Münchenschau, Stadt

Die Medientage – zwischen Unterhaltungsbranche und kritischem Journalismus

Verena Niepel

Im Justizpalast feierten die wichtigsten Vertreter der Medienbranche letzten Mittwoch, den 21. Oktober, die Eröffnung der Medientage 2015.

Impressionen2Seit 28 Jahren sind die Medientage in München das Event, auf dem Neuheiten aus Broadcast, Internet und Multimedia, Mobile Media, Produktion und Medienfachpresse vorgestellt und diskutiert werden. Ein Großteil des Publikums besteht aus Experten der Medienwelt, darunter mischen sich allerdings auch junge Start-Up-Unternehmer und Medien-Interessierte. Das Motto der diesjährigen Ausgabe lautete: „Digitale Disruption“, die Verdrängung bestehender Technologien, Dienstleistungen und Produkte durch neue.

Wie um zu zeigen, dass der Leitgedanke keineswegs überzogen ist, wurden beispielweise Typen der „Virtual-Reality-Brillen“ an verschiedenen Ständen, wie bei ARTE oder Pro7, vorgestellt. Ich habe mich selbst an einer ausprobiert und bin mit dem Helikopter durch tiefe Schluchten geflogen oder schwebte mit einem Gleitschirm in luftiger Höhe. Leider war meine 360° Realität stark verpixelt. Von neuen Technologien aus den USA und Skandinavien, bei denen eine „neue Realität“ schon weiter entwickelt ist, wurde leider mehr berichtet als gezeigt. Mein Fazit: Neue Entwicklungen sind auf den Medientagen weniger unerwartet, dafür aber noch nicht „eingebrochen“, zumindest nicht sichtbar.

Ich will doch nur schreiben..

Frischer Wind abseits des Bereichs für Anzug-Träger war auf dem CampusAreal zu erleben. Den Auftakt des Bühnenprogramms bildete die Podiumsdiskussion „Self-Marketing – Ein Muss als Journalist?“ mit Anja Kummerow von der Nürnberger Zeitung, Marcus von Jordan von Torial, Richard Gutjahr und Natalie Mayroth als Bloggerin und Vorsitzende des NJB. In der Debatte standen sich das professionelle Talent des Journalisten und der Drang zur Selbstdarstellung gegenüber. Im Lokaljournalismus wird laut Kummerow weiterhin ausschließlich nach Schreibtalenten gesucht. Die anderen waren davon überzeugt, dass sich Journalisten, die ihr Handwerk beherrschen, auch darum kümmern müssen, wahrgenommen zu werden. Ein Portfolio ist im digitalen Zeitalter unerlässlich, allerdings sei es laut Mayroth ja eigentlich ein Grundbedürfnis jedes Journalisten, Aufmerksamkeit zu erlangen, ob im Umfeld der Redaktion oder im Internet. Darüber hinaus ist ein Online-Auftritt auch die beste Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen und ab und zu an Jobs ranzukommen. Dennoch, so sind sich alle einig, gibt es nicht das eine Erfolgsmodell, so existiert immer noch der sozial inkompatible Journalistentyp, der zwar genial schreibt, die Vermarktung aber Anderen überlässt.

Digitales Schreiben

Doch was bedeutet die Digitalisierung eigentlich für den deutschen Journalisten? Multimediales Arbeiten wird zur Normalität und neue Jobs entstehen, wie journalistische Softwarentwickler und Datenjournalisten. Sebastian Horn, Redaktionsleiter von ze.tt, Christopher Pramstaller, Social-Media- und SEO-Redakteur der Süddeutschen Zeitung, Alyna Fichter, motivierte Journalistin und Moderatorin der Programmdirektion vom bayrischen Rundfunk, und Sylke Gruhnwald, Leiterin von SRF Data in Zürich, bildeten die Runde „New Jobs – wie die Digitalisierung das Berufsbild ‘JournalistIn’ und die Arbeit in Radio- und Printredaktionen verändert“. Journalisten müssten neben dem Text auch gute Fotos oder Videos machen können, allerdings ohne eierlegende Wollmilchsau zu sein. Wichtiger ist es, dass Spezialisten wissen, wie sie für gute Zusammenarbeit miteinander kommunizieren können. Die ze.tt ist seit Spätsommer offiziell online und scheinbar ist der – von Herrn Horn definierten – Zielgruppe „zwischen Schulabschluss und erstem Jobwechsel“ nur noch Content zuzutrauen, der an die Aufmerksamkeitsspanne einer Eintagsfliege angepasst ist. Offensichtlich stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit von Qualität und Zeitdruck weder für ihn, noch für die Anderen. Bei ze.tt werden journalistische Standards beherzigt und auch für Frau Fichter von den Öffentlich-Rechtlichen sieht im Online-Bereich eine hohe Sorgfaltspflicht. Auf die Frage, ob der Journalist, der allseits bereit sein muss, neue Inhalte im Internet zu veröffentlichen, auch noch „raus“ geht in die Welt, um Geschichten zu finden und zu recherchieren, lautet die Antwort zum Glück ganz klar: Ja.

Nutzerdaten oder Unterdrückung sichtbar machen?

Johannes von Dohnanyi, Ananya AzadRaus gehen musste auch Anaya Azad. Der 25-jährige Blogger aus Bangladesch wurde von islamischen Fundamentalisten verfolgt und bedroht. Nachdem sein Vater und drei seiner Freunde aus der Blogger-Szene auf brutale Weise abgeschlachtet wurden, hat ihn eine Hamburger Stiftung letzten Frühling nach Deutschland geholt. Er schreibt in seinen Beiträgen gegen radikale Islamisten und für Frauenrechte, womit er das ideologische Erbe seines Vaters weiterführt, der als Autor und Sprachwissenschaftler 2004 ermordet wurde. Eine Anekdote von Anaya ist in der westlichen Welt zum Lachen, im Kontext der terroristischen Verfolgung allerdings nur traurig: Er erzählt, wie er sich jedes Mal einen Fahrradhelm aufsetzte, bevor er raus ging, obwohl er gar kein Fahrrad hatte. So fand ihn auch die Vertreterin der Stiftung für politisch Verfolgte, die ihn in einer „Nacht und Nebelaktion“ nach Deutschland brachte. Ob er sich sicher fühlt in Deutschland, fragt ein Journalist, „better than in Bangladesh“ antwortet Anaya, denn er steht immer noch ganz oben auf der Abschussliste.

Meinungsfreiheit ist nicht überall so selbstverständlich wie in Deutschland. Auf den Medientagen findet das Thema leider nur wenig Gehör, viel öfter geht es darum, Nutzerdaten besser zu nutzen und wie die Zukunft des Unterhaltungsfernsehens aussehen wird. Schade eigentlich, wenn ein öffentliches Event wie dieses, sich nicht verpflichtet sieht, der Aufklärung mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

 

 

Fotocredit: (1) Flickr/Jon S

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