Kultur

“Die Phantasie können sie uns nicht nehmen”.

Thomas Steierer
“Die Phantasie können sie uns nicht nehmen”.

In Sachen Typenkabarett führt kein Weg an ihm vorbei im deutschsprachigen Raum: Helmut Schleich, unter anderem bekannt als Franz-Josef-Strauß-Wiedererwecker vom Nockherberg-Singspiel und Prominentenparodie-Chameleon, etwa im eigenen BR-Format „Schleichfernsehen“.
Mit seinem neuen Programm „Ehrlich“ feiert der 46-jährige Preisträger des Deutschen Kleinkunstpreises nun 30-jähriges Bühnenjubiläum. Die Premiere findet am 27. Mai im Lustspielhaus statt (weitere Termine ebendort Ende Mai, im Juni und Juli). Im Interview spricht der gebürtige Schongauer über Ehrlichkeit im Großen wie Kleinen, sein Verhältnis zu Franz Josef Strauss sowie seine drei Jahrzehnte im Kabarett.

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Um was dreht sich Ihr neues Programm „Ehrlich“ hinsichtlich roter Faden, Rahmenhandlung, Themen und Typen?

In meinem neuen Programm bleibe ich mir treu, inhaltlich wie stilistisch. Es wird bekannte Typen geben, möglicherweise sogar einen sehr bekannten, um nicht zu sagen ewigen bayerischen Ministerpräsidenten, der allerdings inhaltlich zu einer deutlicheren Sprache findet wie bisher. Ansonsten ist es ein sehr politisches und ein sehr aktuelles Programm. Ich weiß also jetzt schon, dass ich mit diesem Programm auch in Zukunft viel Arbeit haben werde.

Ehrlich währt am längsten: Was ist dran an diesem Sprichwort?

Man könnte sagen: Das Sprichwort ist gut, aber nicht mehr aktuell, weil wer denkt heute noch langfristig? Im Grunde ist die Welt alle fünf Minuten anders und deswegen denken sehr viele Leute, es kommt nicht auf die Ehrlichkeit an, sondern wie ich am schnellsten durchkomme. Und da ehrlich am längsten währt, ist für eine schnelllebige Zeit Ehrlichkeit im Grunde kein relevanter Wert mehr.

Aus eigener Erfahrung im Kleinen wie im größeren Ganzen – wann ist oder wäre Ehrlichkeit angesagt, wann eventuell nicht?

Da muss man differenzieren. Privat kann Ehrlichkeit unglaublich hilfreich sein. Aber öffentlich, politisch ist Ehrlichkeit eine schwierige Geschichte. Wirtschaftlich betrachtet ist Ehrlichkeit ineffizient, weil Ehrlichkeit mit Vertrauen korrespondiert und Vertrauen ist unglaublich schwer herzustellen, geht wahnsinnig leicht kaputt.

Wie schafft man Vertrauen?

Das heißt, man muss es aufwendig verpacken. Und diese Verpackung geschieht ja heute hauptsächlich durch Sprachregelungen, die wiederum in den Menschen eine Sehnsucht nach Ehrlichkeit erzeugen. Politisch hoffen die Menschen, dass es doch irgendwann mal einen Punkt gibt, wo sie ehrlich erfahren, was Sache ist. Aber da warten sie wahrscheinlich vergeblich.

Sie betreiben ausdrücklich Typenkabarett. Wie war und ist Ihre Herangehensweise. Wie kommen sie auf die skurrilen Figuren und Themen?

Die Figuren liefern die Themen und umgekehrt. Die heutige Politik in einem bayerischen Urgestein wie Franz Josef Strauß zu spiegeln, macht ungeheuren Spaß und ist darüber hinaus sehr aufschlussreich. Aber es gibt natürlich auch Themen, über die der Schleich am besten selber redet. Das passt den Figuren auf der Bühne nicht immer. Die Figuren treten auch in Widerspruch zu mir.

Abgesehen von Ihrem Strauß: Welche ist Ihre persönliche Lieblingskunstfigur?

Meine Lieblingsfigur ist eine Figur, die ich vor ein paar Jahren selber erfunden habe, sie heißt Heinrich von Horchen. Das ist der erfundene Gesangslehrer von Marika Rökk und Jopie Heesters. Er hat Bismarck und Napoleon noch persönlich gekannt und kann daher die aktuellen Geschehnisse kommentieren, indem er sie wild mit Ereignissen aus der Weltgeschichte in Verbindung setzt. Das macht mir zuletzt deshalb so große Freude, weil es die Fantasie beflügelt. Und die Fantasie ist natürlich schon, wenn man jetzt einmal satirisch spricht, auch eine wunderbare Waffe, die wir kleinen Leute gegen die Mächtigen in der Hand haben. Die Fantasie können sie uns nicht nehmen.

Dem Kollegen Gerhard Polt wird bisweilen unterstellt, er wäre tatsächlich wie die seinerseits persiflierten Spießbürger. Klassikerfrage: Wie viel Helmut Schleich steckt in den Bühnenfiguren?

Wie gesagt, es ist mein dramaturgischer Trick, es ist meine künstlerische Herangehensweise ans Kabarett, in Figuren zu sprechen, Figuren sprechen zu lassen, weil Figuren einfach vieles sagen können, was der Kabarettist Schleich ungeschminkt so nicht sagen kann. Entweder weil es in einer Verdrehtheit daher kommt, die man mir nicht abnehmen würde oder weil es in einer Naivität daher kommt, die einem Kabarettisten nicht zu Gesicht steht. Oder weil es in einer Radikalität daher kommt, die man lieber von einer Figur sozusagen abgefedert hört.

Und was steckt dahinter?

Aber natürlich steckt in all diesen Bühnenfiguren viel Schleich, viel Anliegen, viel Wut, viel Zorn von Schleich. Und das hat ja zunächst einmal mit den Spießbürgern, die man vielleicht persifliert, nichts zu tun. Es müssen ja gar keine Spießbürger sein. Es stellt sich auch immer die Frage: Wer ist eigentlich der Spießer? Der klassische Spießer ist ja heutzutage eher eine aussterbende Art, der sich ein guter Kabarettist eigentlich eher schützend annehmen müsste.

Sie sind Gastgeber und Hauptprotagonist des BR-Fomats “Schleichfernsehen”. Was geht im Fernsehen, was auf der Bühne nicht funktioniert und umgekehrt?

Also zunächst einmal muss ich natürlich sagen, die Bühne ist und bleibt die Basis meines künstlerischen Schaffens. Kabarett kommt von der Bühne und Kabarett ist auf der Bühne zu Hause. Aber das Fernsehen ist doch heute das Medium, das im Wesentlichen unsere Wahrnehmung der Welt prägt, auch definiert. Es macht unglaublich Spaß, mit diesem Medium, mit seiner Bildsprache zu spielen und „Schleichfernsehen“ ist ja auch eine Sendung, die das tut, die natürlich auch sehr parodistisch rangeht, sehr viele Fernsehformate und Fernsehfiguren parodiert. Und für jemanden, der gerne spielt, Figuren spielt, der gerne Theater spielt, ist es natürlich etwas Wunderbares, die gesamte opulente Möglichkeit, die das Fernsehen hinsichtlich von Maske, von Kostüm, von Dekoration bietet, auch mal so richtig auszuspielen. Das sind schon Register, die die Kabarettbühne so nicht bieten kann. Also hat beides seinen Reiz.

Erhalten sie auch Reaktionen von Parodierten seitens der Politik oder etwa von BR-Chefredakteur Gottlieb, Uli Hoeneß oder Ähnlichen?

Wenig. Das liegt wahrscheinlich daran, dass all diese Leute wissen: Parodiert zu werden ist eine Ehre. In Bayern sagt man: Derbleckt werden ist wesentlich besser wie nicht derbleckt werden. Viele Reaktionen kriege ich von Leuten, die zu tun haben mit solchen Leuten, die mir dann etwa sagen: Wir haben die und die Szene, beispielsweise eine Szene, die ich mal gemacht habe vom Bischof Marx, bei uns auf dem Laptop und wir schauen uns die an, um uns daran zu erfreuen, wenn wir uns im Alltag gerade mal wieder über den ärgern. Also da hat das durchaus eine schöne Funktion. Ansonsten: Wenn sich einer von denen auf den Schlips getreten fühlt und sich beschwert bei mir, kann man ja über alles reden, aber ich weiß ja, was ich mache. Also bin ich da durchaus streitbar.

Die Strauß-Parodie ist ihre Paraderolle mit der sie wohl nicht zuletzt seit dem Nockherberg 2010 bundesweit bekannt wurden. Wie ist ihr Verhältnis zu Strauß persönlich und künstlerisch?

Zunächst einmal war natürlich die Figur Strauß meinerseits eine feindliche Übernahme. Ich habe mir die Figur gekrallt, damals als die CSU 2008 unter die 50%-Marke gerutscht ist. Ausgehend von der Frage: Was würde der große Vorsitzende zu diesem Debakel sagen? Mittlerweile habe ich es sehr zu schätzen gelernt, dass dieser Typus, der er ja auch ist, es geht ja nicht nur um den historisch echten Strauß, dieser Typus des bayerischen Politikers in seinem Dreiklang von Vitalität, Brutalität und Sentimentalität eine Figur ist, in der man die heutige Politik sehr schön spiegeln kann. In der man natürlich auch, aus straußscher Sicht, die eigenen Leute abwatschen kann, in einer Unverschämtheit, die letztlich der Schleich selber zwar auch sagen könnte, aber es wäre lang nicht so lustig, wie wenn es der Strauß sagt.

Was halten Sie politisch von Strauß?

Insofern hab ich da ein positives Verhältnis, auch wenn natürlich in meiner politischen Sozialisation die Figur Strauß zu Lebzeiten ein Feindbild war. Gar keine Frage. Wobei das Hauptfeindbild in meiner politischen Sozialisation immer Kohl war und nicht Strauß. Aber das ist eine andere Frage. Mit Sicherheit ist Strauß die kontroverseste Figur der Bundesrepublik, also ich rede jetzt von der alten Bundesrepublik, er ist ja 1988 gestorben. Die Figur, die am meisten polarisiert hat und in der man deshalb auch die Geschichte der Bundesrepublik sehr, sehr gut spiegeln kann.

Als langjähriger Mitveranstalter des Nachwuchswettbewerbes “Kabarett Kaktus”: Was braucht man, um in der Szene Fuß zu fassen, welche Kardinalfehler sollte man vermeiden?

Das hat sich stark geändert. Ich habe heute das Gefühl, das der Ehrgeiz derjenigen, die neu beginnen in dieser Szene, der Ehrgeiz Karriere zu machen, das inhaltliche Anliegen, was ich eigentlich inhaltlich sagen möchte auf der Bühne, weit überwiegt. Das entspricht auch der heutigen Zeit. Das Kabarett ist immer auch ein Spiegel seiner Zeit. Und das jetzt als Kardinalfehler zu bezeichnen, wenn man sich erst überlegt, wie komme ich nach oben und dann überlegt, was möchte ich eigentlich sagen? Das überlasse ich jetzt dem geneigten Leser, das zu bewerten. Da möchte ich mich der Kollegenschelte hier enthalten.

Rückblick nach 30 Jahren Kabarett: Was schätzen sie besonders an ihrem Beruf? Welche Schattenseiten lassen sich nennen?

Es ist natürlich etwas Wunderbares, wenn man, platt gesagt, das Hobby zum Beruf machen kann. Wenn man das, was einen umtreibt, das was einen zornig macht, was einen aufregt, was einen belustigt, Leuten erzählen kann, darstellen kann, spielen kann und davon auch noch leben kann. Nicht reich wird, aber gut leben kann, eine Familie ernähren kann. Das ist zunächst einmal ein großes Glück.

Lassen sich auch Schattenseiten nennen?

Dieser Beruf, ohne jammern zu wollen, hat ohne Frage Schattenseiten, insofern als dass es ein sehr einsamer Beruf ist. Auf Tournee bleibt man sowohl mit seinem Erfolg, als auch mit seinen Sorgen allein und lernt sich da natürlich eine gewisse Technik an, um damit umzugehen. Insofern birgt der Beruf des Kabarettisten, wenn man nicht aufpasst, natürlich die große Gefahr, ins Monomanische abzudriften. Dagegen hilft nur, sich auf mehrere Beine zu stellen und sich nicht nur dem Solokabarett als Tourneekabarettist zu verschreiben.

Blick nach vorne: Was sind ihre Ziele und Wünsche persönlich, politisch, gesellschaftlich und künstlerisch?

Künstlerisch habe ich ein wunderbares Ziel erreicht. Die Leute mögen mich, hören mir gerne zu, kommen in meine Vorstellungen und ich kann von dem, was ich immer machen wollte, leben und es vorantreiben.

Gesellschaftlich ist es ein großer Wunsch von mir, dass diese Gesellschaft wieder mehr zusammenfindet, dass die Individualisierung der Gesellschaft und die Ich- Bezogenheit nachlässt und wir wieder mehr aufeinander schauen und vielleicht sogar wieder mehr auf einander aufpassen.

Und politisch?

Politisch mache ich keinen Hehl daraus, dass ich mir kleinere Einheiten wünsche, ich bin nicht DER begeisterte Europäer von einem Europa, wie es sich heute darstellt. Ich finde das Fremde etwas Wunderbares. Ich habe es immer gemocht, in andere europäische Länder zu fahren und dort in eine ganz andere Welt zu kommen. Ich wünsche mir politisch kleine Einheiten, die basisdemokratisch organisiert sind, wo die Menschen über echte demokratische Prozesse zu Entscheidungen finden – aber da schaut’s ja leider momentan gar nicht danach aus.

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