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Drogenkonsumräume: München möchte, Bayern blockiert

Moritz Müllender

Die Stadt München hätte gerne einen Drogenkonsumraum. Expert*innen halten die Räume für einen wichtigen Baustein in der Drogenpolitik, denn sie könnten Todesfälle verhindern. Doch die bayerische Staatsregierung blockiert. Braucht München Konsumräume?

Auf der Frauenhofer Straße inmitten eines weiß ausgekleideten Raums, steht ein silberner Metalltisch. Darauf liegen Spritzen, ein Gurt zum Abbinden, ein Feuerzeug, ein Löffel. Der Tisch ist so sauber poliert, dass sich die Schrift an der Wand in ihm spiegelt: “HIER KÖNNTEN LEBEN GERETTET UND INFEKTIONEN VERHINDERT WERDEN”, steht in schwarzen Großbuchstaben an der weißen Wand. Die Kunstaktion soll einen Drogenkonsumraum darstellen. Der Raum soll während der Dauer der Welt-AIDS-Konferenz mahnen, dass Konsumräume fehlen.

Nicht-Eröffnung sorgt für Wirbel

Die Deutsche Aidshilfe hat mit der “Nicht-Eröffnung” einige Aufregung produziert. Zeitungen meldeten, dass die Aidshilfe entgegen des Verbots der Staatsregierung einen Konsumraum eröffne. MUCBOOK hörte von Aufregung in Ministerien. Die Aidshilfe musste daraufhin eine Pressemitteilung hinterherschicken, dass es sich um eine Kunstperformance handele und nichts Illegales geschehe. Denn in Bayern sind Drogenkonsumräume illegal. Dabei sind sie deutschlandweit seit 2020 erlaubt. Doch Söder und Co. verhindern, dass die bayerischen Städte, die eigentlich gerne einen hätten, einen Konsumraum bekommen. Zu ihnen zählen Augsburg, Nürnberg und eben auch München. Die dritte Bürgermeisterin Verena Dietl, zuständig für Soziales und Gesundheit sagt dazu:

“Die Stadt München ist überzeugt, dass durch Drogenkonsumräume nicht nur die abhängigen Menschen besser geschützt sind, sondern auch alle anderen Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt. Die bayerische Landesregierung sollte die Entscheidung den Kommunen überlassen, die am besten wissen, was vor Ort gebraucht wird.”

Sie würden gerne einen echten Konsmraum eröffnen. Von links: Stefan Miller (Aidshilfe), Burkhard Blienert, Verena Dietl, Holger Wicht (Aidshilfe), Kathrin Bahr (Condrobs), Thekla Andresen (Netzwerk JES) und Dirk Schäffer bei der “Nicht-Eröffnung”.

Experten: “Konsumräume verhindern Tode”

Konsumräume kämen der Allgemeinheit zugute, bestätigt auch der Drogenbeauftragte der Bundesregierung Burkhard Blienert. Dort werde medizinische Hilfe geleistet, unter sicheren Bedingungen konsumiert und Konsumierende seien erreichbar für Gesprächsangebote. “Drogenkonsumräume können Leben retten”, sagt Blienert. Auch der Fachreferent für Drogen der Aidshilfe Dirk Schäffer sagt: “Man kann sich nicht Angeboten verwehren, für die es eine ganz klare wissenschaftliche Evidenz gibt.”

Aktuell stiegen die Zahlen von HIV-Infektionen und auch von drogenbedingten Todesfällen. Laut Aidshilfe liegt Bayern dabei bundesweit auf Platz drei mit 257 Todesfällen in 2023. Die HIV-Diagnosen bei Drogenkonsumierenden hätten sich verdoppelt. “In den Konsumräumen sind durch die Abgabe von sauberen Utensilien HIV-Infektionen und durch das anwesende medizinische Personal Todesfälle ausgeschlossen”, sagt Schäffer MUCBOOK im Gespräch vor dem Konsumraum-Kunstprojekt. 638 Mal sei im vergangenen Jahr medizinische Notfallhilfe in Konsumräumen geleistet worden. Viele der Betroffenen wären ohne Konsumraum wohl verstorben. “Ohne die Konsumräume, die es in den anderen Bundesländern gibt, wäre die Zahl der Drogentoten wohl deutlich höher als sie aktuell ist”, sagt Schäffer. In Bayern hingegen müssten Abhängige auf der Straße oder im privaten Rahmen konsumieren. Das koste im Schnitt alleine in München einen Menschen pro Woche das Leben. “Es ist Zeit, dass Menschlichkeit und wissenschaftliche Evidenz wieder über moralische Bedenken gestellt werden. Es gibt für alle Bedenken erprobte Lösungen!”, sagt Schäffer.

Auch der Verein südliches Bahnhofsviertel, ein Zusammenschluss von Anwohnenden, Einzelhändler*innen, Eigentümer*nnen, Kulturschaffenden und mehr, die das Viertel fördern wollen, fordert einen Konsumraum. Vorsitzender Reinhard Sigel sagt im Gespräch mit MUCBOOK: “Wir als Verein sind grundsätzlich dafür Konsumräume einzurichten.” Auch er betont, dass es eine Hilfe für diejenigen brauche, die sowieso konsumierten und das heute in unwürdigster Weise in Ecken zwischen Fäkalien tun müssten. Gleichzeitig sieht er auch Vorteile für die Ansässigen, die nicht konsumieren. Spritzen würden weniger rumfliegen und wenn Konsumierende eine zentrale Anlaufstelle hätten und weniger auf der Straße konsumierten, stiege auch das subjektive Sicherheitsgefühl von Passant*innen.

So sehen die Bedingungen oft aus für Drogenkonsumierende. Kunstaktion am Marienplatz anlässlich des Gedenktages für Drogentote am 19. Juli. 72 Drogentote zählen die Veranstalter seit dem vorherigen Gedenktag in München.

So könnten die Bedingungen im Konsumraum aussehen. Sie könnten Infektionen und Todesfälle wirksam verhindern, sagt Dirk Schäffer.

Frankfurt nutzt seit 30 Jahren Konsumräume

Das klingt alles schön und gut in der Theorie. Doch was sagt die Praxis? Wer an Drogen-Hotspots in Deutschland denkt, kommt schnell auf Frankfurt. Seit 30 Jahren arbeitet die Stadt mit Konsumräumen. Welche Erfahrungen macht man dort? Der Leiter des dortigen Drogenreferats Artur Schroers sagt auf MUCBOOK-Anfrage:

“Wir feiern in diesem Jahr 30 Jahre Konsumräume in Frankfurt. Mit ihnen wurden zum einen gesundheitspolitische aber auch ordnungspolitische Ziele verbunden. Alle Ziele wurden erreicht. Nach 30 Jahren kann man sagen: Konsumräume sind ein Erfolgsmodell”

Das Erfolgsmodell erläutert er so: Konsumräume tragen dazu bei, durch Drogen verursachte Schäden zu minimieren. “Bis heute ist kein Mensch in einer Drogenhilfe-Einrichtung hier Frankfurt am Main gestorben, obwohl es regelmäßig zu Notfällen kommt und die Zahl der Konsumvorgänge hoch ist”, sagt Schroers. In München betonen die Befürworter*innen des Konsumraums wieder und wieder, dass einige der 72 Drogentote wohl nicht gestorben wären, gäbe es einen Konsumraum. Schroers sieht sich in Frankfurt auf gutem Wege mit den Räumen: “Die Drogenkonsumräume haben wesentlich dazu beigetragen, dass in Frankfurt die Zahl der drogenbezogenen Todesfälle deutlich gesunken ist und – entgegen des deutschlandweiten Trends – seit Jahren auch nicht signifikant steigt”, sagt er. Sie sicherten gesundes Überleben, gewährleisteten medizinische Versorgung und würden wesentlich dazu beitragen, dass sich drogenkonsumierende Menschen gesundheitlich, psychisch und sozial stabilisieren könnten. Damit böten sie eine Basis, um die Menschen zu motivieren, weitergehende Hilfen zu nutzen und Perspektiven jenseits der Drogenszene zu entwickeln. Konsumräume seien immer mit Beratungsangeboten verbunden und erfüllten dadurch eine wichtige Brückenfunktion um Menschen aus der Szene zu lösen.

Doch welche negativen Folgen hatte die Einrichtung der Räume in Frankfurt? Hat sich eine neue Szene rund um die Räume etabliert? “Mit den Drogenkonsumräumen und weiteren Kontakt- und Anlaufstellen ist es gelungen, die offene Drogenszene aufzulösen”, sagt Referatsleiter Schroers. Zwar stehe man aktuell durch die schnellen Konsumzyklen von Crack vor neuen Herausforderungen aber: “Nachteile haben sich bis heute keine ergeben.” Insgesamt starben in Frankfurt 2023 32 Menschen in Verbindung mit Drogenkonsum. In München waren es laut Abendzeitung von Juli 2022 bis Juli 2023 86 Menschen. Das sind in München etwa 6 von Hunderttausend Einwohner*innen und in Frankfurt etwa 4.

Warum Bayern blockiert

Die bayerische Staatsregierung will von all den positiven Aspekten, den Apellen und Forderungen offenbar nichts wissen. Der Betrieb von Konsumräumen sei nur mit Erlaubnis der zuständigen Landesbehörde erlaubt. “Es ist derzeit auch nicht geplant, in absehbarer Zeit eine solche Verordnung zu erlassen”, schreibt eine Sprecherin des bayerischen Gesundheitsministeriums. Es gebe gute Gründe für die ablehnende Haltung gegenüber Drogenkonsumräumen, findet das Ministerium. Hauptargument bleibe der Widerspruch, dass der Besitz und Erwerb von bestimmten Drogen strafrechtlich zu verfolgen sei, deren Konsum aber in solchen Einrichtungen staatlicherseits toleriert würde. “Die Duldung derartiger rechtsfreier Räume gefährdet die Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit”, argumentiert die Sprecherin. Darüber hinaus verweist sie auf andere Hilfsangebote für Drogenkonsumierende, wie etwa Spritzentausch, Substitution und Streetwork. “Wir werden die Suchtprävention und Suchthilfe weiter intensivieren”, verspricht die Sprecherin. Wichtig seien dabei insbesondere spezialisierte und zugleich möglichst niedrigschwellige Angebote für Drogenkonsumierende, die sie in ihrer jeweiligen Lebenssituation gezielt erreichen und unterstützen.

Genau eine solche niedrigschwellige Hilfe seien Konsumräume argumentieren die Expert*innen, mit denen MUCBOOK für diesen Artikel sprach. Dirk Schäffer hält die Blockade der Landesregierung für politisch motiviert. Auch der Drogenbeauftragte der Bundesregierung Burkhard Blienert sagt auf die Frage, ob er die Bedenken der Landesregierung nachvollziehen kann diplomatisch aber doch klar: “Es geht aus meiner Sicht nicht mehr um das Ob, sondern darum, dass wir alles tun sollten, angesichts von gravierenden Krisen, jede Möglichkeit zu nutzen, um den Menschen Hilfe und Unterstützung zu geben.”