Kultur, Nach(t)kritik

Weihwasser-Pipeline und Seehofers Darm

Annette Walter
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Fein sein, beinander bleibn

Da wird einem richtig warm ums Herz in diesem eisigen Winter: Sechs Geschwister der Familie Well stehen in den Kammerspielen in “Fein sein, beinander bleibn” zusammen auf der Bühne und perfektionieren die subversive Komponente bayerischer Hausmusik.

Das wird ein Kassenschlager in den Kammerspielen, keine Frage: Die kurzweilige Nummernrevue “Fein sein, beinander bleibn”, die Bärbi, Karli, Burgi, Michael, Moni und Christoph Well zusammen mit Regisseur Franz Wittenbrink auf die Beine gestellt haben. Zwei  Stargäste gibt’s obendrein: die große alten Dame der Well-Dynastie, Mutter Gertraud Well, und “Nikolaus” Gerhard Polt. Die Bravheits-Diagnose von letzterem bei der Well-Mutti ist zum Totlachen. Er zählt alle Kinder auf und fragt dann streng: “Ja hat des alles sein müssen?” Da kommt der Well-Mutti nur ein schüchternes “Ja, mei” von den Lippen, worauf der Polt mit einem “Ich hoffe, dass mir das nicht wieder vorkommt” und dem Abschiedsgruß “An Ostern kommt der Nikolaus wieder” nach ein paar Minuten von der Bühne schlurft.

Gerhard Polt und Gertraud Well

Der Wellsche Blick auf Bayern und die Welt ist, wie sich das gehört, wenn zwei Ex-Mitglieder der Biermösl Blosn auf der Bühne stehen, gesellschaftskritisch und respektlos: Mit der CSU geht es bergab (“Mir warn so groß wias Firmament, jetz samma froh um 40 Prozent”), der ganze Verfassungsschutz ist eh bei der NPD, in heutigen Familien ist es normal, die Oma ins Pflegeheim abzuschieben (“Wer nimmtn d’Oma, de liegt im Koma”), die katholische Kirche ist verdorben, die Pharmaindustrie gaukelt uns vor, mit der Einnahme obskurer Pillen glücklich zu werden. Auch die Weigerung der Münchner Pinakothek, dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg ein Selbstporträt von Albrecht Dürer auszuleihen, finden die Wells ziemlich ulkig. Sie fabulieren von einer Weihwasserpipeline, die von Russland über Altötting nach Lourdes führt, und wettern gegen die geplante dritte Startbahn am Münchner Flughafen. Ministerpräsident Seehofer wird wenig zimperlich mit dem Lied “Im Darm” aufs Korn genommen, denn dort haben es sich ja sämtliche CSU-Politiker gemütlich gemacht: “De Hasselfeldt, in Berlin, da Guttenberg war aa scho drin, da Ramsauer, wie ein Zeck, den wennst moi hast, bringst nimmer weg”.

Bayerische Antwort auf AC/DC

Obendrauf gibt es die bayerische Variante von “Highway to Hell”, den “Bolero” von Maurice Ravel  und aus dem Rapper 40 Cent wird ruckzuck eine Schimpftirade gegen den mageren Milchpreis: “Mir dealn mit weißem Gold, für des koana was zoiht … Mir san Aggro Agrar, Fick den Bauernverband, wann da Preis net steigt na steck ma eure Autos in Brand”.

Zwischendrin zanken sich die Geschwister noch ein bissl, wer jetzt wem damals mit dem Schürhaken eins übergebraten hat, aber sei’s drum: Die Musik war stets ein friedenstiftendes Element. Betrachtet man die ganzen Instrumente, die auf der Bühne kunstvoll aufgehängt und drapiert sind, so kann man kaum glauben, dass sie statt von einem Orchester an diesem Abend von nur sechs Personen gespielt werden. Von der Ukulele über den Dudelsack und das Alphorn bis zur Harfe ist alles dabei. Wenn man sich diese Familie so anschaut, bittet man inständig, im nächsten Leben in eine oberbayerische Großfamilie hineingeboren zu werden. Ein tosender Applaus belohnt den zweieinhalbstündigen Abend, erst nach etlichen Zugabe ist das Publikum gewillt zu gehen. Alle kommenden Vorstellungen sind bereits ausverkauft.

(Fotos: Andrea Huber)

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