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Wie bespielt man Freiräume in der Stadt? – eine Workshop-Woche gab viele Antworten und Mut

München im späten Dezember 2021 – eine ganze Stadt liegt im Food-Koma und nüchtert zwischen Weihnachten und Silvester kurz mal aus. Alle? Nein, das stimmt nicht ganz. Eine junge, muntere Gruppe von Münchner*innen hat sich vorgenommen, genau diese Zeit zum gemeinsamen Wissensaustausch zu nutzen.

Vom 27. bis zum 31. Dezember fand im Haus der Jugendarbeit unter dem Motto „Gib uns!“ eine Workshop-Woche rund um das Thema Freiräume, Jugendkultur und Selbstorganisation statt. Vor allem junge Menschen – die in München dank ungebrochener Gentrifizierung durchaus als marginalisierte Gruppe gelten dürfen – sollten durch die kostenlosen Workshops erreicht und empowert werden. Wir waren mit dabei und ziehen ein kleines Fazit.

Freiräume? Worum ging’s?

Im Sommer wurde unter dem Motto „Freiräumen“ noch auf Münchens Straßen demonstriert und Lärm für Kunst und Kultur gemacht (wir berichteten). Zahlreiche Kollektive aus subkulturellen und alternativen Zusammenhängen gingen damals zusammen Protestieren und konnten so einige tausend Leute mobilisieren. Die Forderungen drehten sich im Kern um mehr unkommerzielle und subkulturelle Freiräume für Heranwachsende und um mehr Unterstützung von der Stadt.

Bei diesem Aufschrei sollte es aber nicht bleiben und so entschloss sich ein Teil der Organisator*innen, die damals geschlossenen Allianzen weiter produktiv zu nutzen, und gemeinsam eine Workshop-Woche auf die Beine zu stellen. „Eine lebendige Stadtgesellschaft braucht mehr freie Räume für junge Menschen, um ihre Selbstentfaltung, Politisierung und Sozialisierung zu erfahren“ – so hieß es damals unter anderem von den Demonstrant*innen.

Oder noch etwas griffiger und Pappschild-tauglich: „Haben Träume – brauchen Räume!“.

Von der Demo zum Workshop

Aber solche Räume müssen gefunden, für sich gewonnen, bespielt und auch in die Öffentlichkeit getragen werden. Für alle diese Anliegen hatte die Workshop-Woche nun ein inhaltliches Angebot – aus dem weiten Feld irgendwo zwischen Aktivismus und Kulturmanagement. Wie man etwa Räume für eine Zwischennutzung finden kann, zeigte der „Recherche(tools)”-Workshop. Wie man sein Team gut aufstellt, wurde in der Session zu „Teamorganisation und -verwaltung“ diskutiert. Wie man gekonnt frech ist, wurde bei „Gruppen in Aktion – Ziviler Ungehorsam in der Praxis“ dargestellt. Und wie man so eine Zwischennutzung dann bespielt, wenn man sie mal hat, das offenbarte ein Crashkurs zum Thema „How To Zwischennutzung“. Über 20 Workshops wurden insgesamt an fünf Tagen angeboten. Auch zu spezifischeren Themen wie etwa „Tontechnik“ oder „Booking & Kuration“ trugen dutzende Dozent*innen ihr Wissen weiter.

„Wie bereits bei unseren Demos im Juni thematisiert, besteht ein großer Bedarf an Raum für Selbstorganisation und allem was damit einhergeht“, beschreibt Common Ground – neben IO, Signal und dem 20s Mag eines der verantwortlichen Kollektive – den Grundimpuls für die Veranstaltungsreihe. Die Workshops sind für sie „ein weiterer Schritt in Richtung organisiertes Skill-Sharing und kulturelle Bildung“, der dem Wissensbedarf von jungen Menschen in München entgegen kommen soll.

„Ein schönes Miteinander“ – das sagen die Teilnehmer*innen

Mit dabei war auch Chiara, 20, die viele der Workshops als Teilnehmerin und als Fotografin begleitet hat und die von der Vielseitigkeit begeistert war: „Die Atmosphäre ist ziemlich persönlich: man kann sich über fast alle möglichen Themen austauschen, die einen beschäftigen. Es ist ein schönes Miteinander mit viel Platz für Kreativität“, beschreibt sie ihre Erlebnisse vor Ort. Vor allem der Workshop zum Thema Aktivismus und Kunstfreiheit hat ihr gefallen und sie erkennt auch den praktischen Nutzen: „Ich glaube, man geht dann in zukünftige Aktionen außerhalb des Workshops sicherer rein, weil man einfach ein paar grundlegende Sachen erfahren hat und auch Möglichkeiten vor Ort hat, sich zu vernetzen und zusammen Aktionen oder Projekte zu starten.“ Für eine neue Auflage fände sie gemeinsame Aufenthaltsräume oder Cafés für Besucher*innen außerhalb der Workshops bereichernd – das hat die Corona-Lage diesmal leider nur eingeschränkt möglich gemacht.

Anella, die Soziologie und Psychologie studiert, erkennt im Programm einen alternativen Lernraum, der München so bisher fehlte. Ihr gefiel der inklusive und Hierarchie-arme Rahmen der Workshops, die vielen jungen und unvoreingenommenen Leute vor Ort, die trotz verschiedener Standpunkte respektvoll miteinander diskutierten und die verschiedene fachliche Hintergründe und Wissensstände mit in die Workshops brachten. Oder kurz und schmeichelhaft ausgedrückt: „Es war einfach mega nice.“ Lea Würtemberger, die Mitgeberin des Workshops „Aktivismus und Kunstfreiheit” war, hebt wiederum den experimentellen Charakter der Woche hervor. Alles war von kurzer Hand geplant und durch die bestehenden Kommunikationswege aber gut aufgesetzt: „Das ist gut angelaufen.“ Sie sieht die Woche daher eher als Impuls, der auf weitere Workshops und vertiefende Formate hinarbeitet.

Und was sagen die Veranstalter*innen? „Wir haben festgestellt, wie viel Halt es Teilnehmer*innen gibt, sich gemeinsam über die jeweils eigenen Interessensfelder auszutauschen und lernen zu können“, heißt es von Common Ground. Durch die Woche seien sie in Kontakt mit vielen neuen Gruppen gekommen, die ebenfalls großartige Ideen mit einbrachten. „München hat eine lebendige Jugendkultur, die nicht mehr nur darauf wartet loslegen zu können, sondern aktiv Problemlösungen erarbeitet. Das Ziel ist weiterhin sich neuen Raum anzueignen, wir selbst wollen mit unseren Teil dafür leisten“, so ihr Fazit.

Du warst selbst nicht dabei, willst aber ebenfalls aktiv werden und dazu lernen? Eine Empfehlung, die das Kollektiv gibt, sind die Workshops und Veranstaltungen im Kunstübungsraum – kurz KÜR Milbertshofen. Im Februar gibt Common Ground dort zum Beispiel die Fortsetzung ihres Workshops “How-To Zwischennutzung”.

„Haben Träume, brauchen Räume“ – nächste Ziele

Ursprünglich war vom Orga-Team ein ganzer Kongress zum Thema geplant, der in Zukunft vielleicht auch umgesetzt werden soll. Wenn das Pandemie-Geschehen größere Planungen wieder möglich macht. Dann könnten öffentlicher Austausch und moderierte Debatten besser integriert werden. Als Beispiel und latentes Vorbild nennt Mit-Organisator Josh Neumann hierbei den Chaos Communication Congress (C3) vom Chaos Computer Club in Leipzig, wo neben Workshop-Programm und Diskussionen auch noch Musik-Bühnen und andere Events Platz finden.

Von diesen Dimensionen ist man jetzt freilich noch weit entfernt. Aber vielleicht gilt hier wieder wie oben schon erwähnt: Haben Träume, brauchen Räume. Zunächst war die Woche mal ein kleiner Erfolg. Die einzelnen Workshops waren trotz kurzer Vorlaufzeit fast durchwegs ausgebucht, obwohl nicht alle ihr kostenloses Ticket dann auch einlösten. Der Fakt, dass alle Tickets kostenlos waren, ist den Organisator*innen besonders wichtig: „Kulturelle Bildung ist ein Bedarf von allen Menschen einer Stadtgesellschaft, der die Menschen nichts kosten sollte. Es geht um Themen, die uns alle im gesamten betreffen und bereichern können.“ So war niemand ausgeschlossen und die Teilhabe sehr niedrigschwellig gehalten. Und auch die Mithelfer*innen und Workshop-Geber*innen konnten fair entlohnt werden, dank einer Förderung vom Kreisjugendring und vom Jugendkulturwerk der Stadt sowie der Unterstützung von der „Gute Dinge“- Stiftung Kulturator.

Denn bei den hohen Kosten in der Stadt fangen viele der Probleme, die verhandelt wurden, eben an. „Eine Stadt ohne bezahlbare Wohn- und Arbeitsräume ist kulturell und sozial untragbar. Wir wollen eine Gesellschaft, in der die Existenzberechtigung von Räumen außerhalb von ökonomischem Zweck und Wachstum liegen kann.“, schrieb der Zusammenschluss von „Freiräumen“ in ihrem Demoaufruf im Sommer. Mit der zurückliegenden Woche ist ein erster Schritt zur Selbsthilfe unternommen – und viele Münchner*innen konnten viele kleinere und größere Learnings mit nach Hause nehmen. Mehr davon!


Beitragsbild: © Chiara Toki

Du willst mehr über Freiräume in München wissen? Auch unser aktuelles Printheft widmet sich dem Thema auf 100 randvollen Seiten. Hier kannst du es bestellen.

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