Kultur, Nach(t)kritik

Geschichten von Grenzen

Katrin Schuster
Letzte Artikel von Katrin Schuster (Alle anzeigen)

Am Donnerstag liest der polnische Journalist Wlodzimierz Nowak aus seinem neuen Reportagenband. Im Vorfeld: Eine Rezension.

nowak1

Gegen die Rede von der „Stunde Null“ ist ja viel und oft Einwand erhoben worden. Jedoch waren dann meist die Täter gemeint, von denen sich viele bald wieder in Diensten des neuen Staates fanden. Oder die Deutschen im Allgemeinen, deren Mentalität sich keinesfalls von der einen auf die andere Stunde von der nationalsozialistischen Ideologie verabschiedet hatte. Nur von den Opfern ist bei solcher Begriffskritik im Grunde nie die Rede – als zeitigte der Zweite Weltkrieg bei ihnen keine Folgen und wäre am 9. Mai 1945 um 0.16 Uhr tatsächlich all ihr Leid ausgestanden gewesen.

Wie dieser Krieg die Genealogien für Jahrzehnte in Unordnung brachte, wie er an Biografien mitschrieb und auch heute noch mitschreibt, ist das große Thema des Bandes „Die Nacht von Wildenhagen“, der zwölf Reportagen des polnischen Journalisten Wlodzimierz Nowak versammelt; und für den er sogar für den polnischen Literaturpreis Nike nominiert wurde, den zweifellos renommiertesten des Landes. „Zwölf deutsch-polnische Schicksale“ finden sich laut Untertitel darin. Doch das ist gelogen: Es sind derer viel, viel mehr.

Da wären zum Beispiel Alodia und Daria, die Töchter des Mediziners Franciszek Witaszek, der 1942 von der Gestapo verhaftet wurde, weil er einer Untergrundgruppe angehörte, die Attentate geschicktester Art auf die Nationalsozialisten verübte. Die Deutschen sollen eine gewisse Bewunderung für Witaszek gehegt haben, ihn sogar zur Kooperation gedrängt haben, doch der Arzt lehnte ab. „Angeblich sind aus Berlin zwei Schreiben gekommen; das eine mit dem Befehl, ihn zu hängen, laut dem anderen sollte er geköpft werden. Mit deutscher Gründlichkeit wurden beide Anweisungen ausgeführt“, erzählt Nowak. Die beiden Töchter kommen – man hält sie für „rassisch wertvoll“ – in ein Lebensborn- Heim, werden von verschiedenen Müttern adoptiert, die eine nach Österreich, die andere nach Stendal bei Berlin. Erst Ende 1947 kehren die Mädchen, die man nun Alice und Dora nennt, heim nach Polen. Doch das ist ihnen kein Zuhause mehr: „Für uns war der Krieg nicht zu Ende. Unsere Geschwister verstanden uns auch nicht. Mama musste übersetzen, sie konnte Deutsch.“

Und da wäre außerdem die gescheiterte Ehe zwischen dem Deutschen Gerhard und der Polin Wanda. Oder die Geschichte von Manfred, einem jungen deutschen Soldaten, der zu den Polen überlief, fortan Malutka hieß, immer wieder zwischen die Fronten geriet und für einen Russen gehalten wurden, weil er sich als Engländer ausgab. Oder jene titelgebende Nacht von Wildenhagen, in der sich die deutschen Bewohner der Stadt Lubin aus Angst vor den Russen reihenweise selbst umbrachten: Mütter erhängten ihre Kinder, schnitten ihnen die Kehle auf, sprangen aus dem Fenster. Kaum weniger unerträglich die Geschichte von Mathi Schenk, der im Alter von gerade einmal 18 Jahren als Sturmpionier der SS beim Niederschlagen des Aufstands von Warschau an vorderster Front steht. Auch für ihn ist der Krieg nicht zuende: Wie ein Mensch dem anderen den Schlädel einschlägt, Kinder von Panzern überfahren werden, mit grinsendem Gesicht getötet wird, vergisst man nicht. Genauso wenig wie die Lakonie, mit der Wlodzimierz Nowak das notiert.

Und heute? Die deutsch-polnische Grenze ist weiterhin prekär, auch davon erzählt Nowak. Von der von der Neiße und der Staatsgrenze geteilten Stadt Guben-Gubin, die sich als Eurostadt zu behaupten versucht, aber an der Bürokratie zu scheitern droht. „Heute braucht ein Brief von einem Ufer zum anderen eine Woche über Warschau“, erfährt Nowak. Es „reicht schon ein kleiner Herzinfakt auf der falschen Seite und schon haben wir internationale Verwicklungen“, bemerkt ein Taxifahrer. Andere Reportagen erzählen von den Schleppern und ihrem Vokabular, vom Kampf deutscher Opel-Angestellter gegen die Auslagerung der Fertigung nach Polen, von der Europa-Universität Viadrina, an der man beide Rechte, das polnische und das deutsche studieren kann. Viele Fakten und viele O-Töne stecken in Nowaks Reportagen, vor allem aber viel Menschlichkeit, dank seines genauen Blicks. Und trotz all der Nüchternheit, die sie oft ausstrahlen. Ein Stil, den die zeitgenössische Literatur ja nur gar zu gerne kopiert, weil das so wunderbar authentisch klingt. Der Unterschied ist nur: Bei Wlodzimierz Nowak klingt es nicht bloß danach. Es ist es das auch.

Die Lesung findet am 11. Februar im Muffatwerk (Zellstraße 4) statt und beginnt um 20 Uhr. Der Eintritt kostet sechs Euro im Vorverkauf (Abendkasse: acht Euro). Die deutschen Texte liest die Übersetzerin Joanna Manc. Die Moderation leitet Agnieszka Kowaluk.

(Diese Rezension von Katrin Schuster, der Macherin des Literaturkalenders literatur-muenchen.de, erschien in der Februarausgabe des Münchner Literaturmagazins KLAPPENTEXT. Ein KLAPPENTEXT-Abonnement ist kostenlos.)

No Comments

Post A Comment

Simple Share Buttons
Simple Share Buttons