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Glockenbach am Bosporus

Jana Edelmann
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Die Münchnerin Jana Edelmann schreibt für mucbook über das Leben in einer fremden Metropole. Istanbul auf mucbook. Mit offenen Augen. Und bayerischem Herzen.
Kolumne 3: Über Globalisierunphänomene jenseits von Finanzkrisen. Servus und Selam, Istanbullu-Hipster!

Straßencafé und Straßenverkäufer in Cihangir, dem Hipsterort Istanbul

Straßencafé und Straßenverkäufer in Cihangir, dem Hipsterort Istanbul

Ray-Ban bebrillte zehn-Tagesbart Gesichter schauen konzentriert und enorm wichtig auf ihre silberglänzenden Stylo-Macbooks, der Latte Macchiato steht griffbereit, die Blicke schweifen immer wieder demonstrativ gelangweilt über die anderen Cafébesucher und Passanten, manchmal klingelt ein IPhone.  So, wo samma gerade…? Würde nicht ab und an ein Simit-Straßenverkäufer seine Sesamkringel lautstark schreiend unter die Leute bringen oder ein Pferdewagen voller Zitronen und Orangen durch das Viertel zuckeln – ich wüsste es auch nicht.  

Die Globalisierung macht sich nämlich nicht nur bemerkbar an Finanzkrisen und  McDonaldsfilialen – auch Hipster schauen überall gleich aus:  Röhrenjeans die Herren, Pumphosen die Ladies , tun dieselben Dinge – meistens in der Kreativbranche – und sind im ähnlichen Ambiente zu finden – wackelige Straßencaféstühle oder retrodesignte Decken auf öffentlichen Plätzen sind  allseits und stadtübergreifend treffsichere Hipsteranlaufstellen. Ob nun München am Gärtnerplatz oder Istanbul in Cihangir – es sind Nuancen, die den Lebensstil in den beiden Vierteln unterscheiden.

Ist das nun traurig, dass mehr als 1500 Kilometer voneinander entfernt lebende Menschen, die doch alle so sehr bemüht sind, ihre einzigartige Coolness zu demonstrieren, in einem progressiv-liberalen Modeeinheitsbrei aufgehen…? Oder ist es ein frohstimmendes Symbol für die einende Kraft der Konsumkultur, dass ein Hipster-Bayer und ein Hipster-Türke nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind? Jedenfalls sind  orientalisch-osmanische Klischees vergessen nach einem Nachmittag in den Tagesbars von Cihangir.

Und: Auch wenn es nur Kleinigkeiten, Nebensächlichkeiten sind. Cihangir funktioniert hinter seiner augenscheinlichen Bohemienattitüde, zwischen seinen luxussanierten Altbauten und im Nachbarschaftsleben trotzdem noch wie eine traditionell-türkische Mahalle: Da gibt es pro Straßenkreuzung einen Bakkal-Verkäufer (türkisches Pendant zum Tante-Emma-Laden), der seine Kunden noch beim Namen kennt und der auch mal drei Tage auf sein Geld warten kann. Da sitzen schnauzbärtige alte Herren vor ihren Kuaför-Läden und genießen die Sonne, während sie auf Kunden warten. Und es ist schlicht unmöglich, ohne „Merhaba!“, „Ne haber…?“, „Iyim!“-Rufe durch die Straßen zu gehen. Man kennt sich hier noch, auch hinter mega-Sonnenbrillen und liberal-urbaner Selbstinszenierung.

Außerdem: Hipsterkritelei hin oder her, auf den Bosporusblick-Treppenstufen kurz vor Sonnenuntergang ist es dann auch egal, ob auf den Gärtnerplatztheater-Stufen in München gerade dasselbe abläuft oder nicht…Es is halt einfach schee.

Kaffeezeit in Cihangir. Oder doch in München...?

Nachmittagskaffee in Cihangir. Oder doch in München...?

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