Kultur

“Graffiti funktioniert nicht in der Galerie”

Hakan Tanriverdi

mucbook

München hat ein neues Heft. Mucbook hat sich mit einem der Macher des Klick-KlackMagazins getroffen, um über Graffiti in München zu diskutieren.

KLICK KLACK Graffiti Magazin Release from KLICK KLACK on Vimeo.

Wieso ein Graffiti-Magazin über München?

Erstens kommen wir, also alle, die das Magazin machen, selbst aus München und da ist es naheliegend, etwas über die eigene Stadt zu machen. Und zweitens gab es, unserer Meinung nach, seit mehreren Jahren schon keine Publikation mehr, die sich mit Graffiti in München auseinandergesetzt hat. Zumindest keine, die unseren Ansprüchen genügen würde.

Ihr persönlich gebt ja an, dass Euer Magazin einen dokumentarischen Charakter hat. Wie kommt man an solche Bilder, die ja illegal sind?

Zum einen haben wir natürlich selbst sehr viel fotografiert und zum anderen kennen wir ein paar Leute aus der Szene. Da kommt dann eins zum anderen, man fragt nach ein paar Bildern und das ganze verbreitet sich rasend schnell, wird zu einer Art Selbstläufer. Am Ende hatten wir dann mehr als genug Fotos und haben aus dieser enormen Auswahl diejenigen gepickt, die unseren Ansprüchen mehr als gerecht wurden.

Was für Ansprüche wären das?

Zunächst müssen die gemalten Graffitis eine gewisse Qualität haben. Das heißt nicht, dass der Sprüher bereits seit 15 Jahren aktiv sein muss, sondern vielmehr, dass dieses Bild auf eine spezielle Art und Weise etwas vermitteln muss, so dass es auch für den Betrachter interessant ist, wenn er sich das Bild anschaut. Das erfordert natürlich auch ein gutes Foto von dem gemalten Zug. Und die Kombination aus beidem ist oft nicht so einfach. Erst mal ein gutes Bild malen und dann noch ein gutes Foto davon zu bekommen, das erfordert schon ein gutes Stück Arbeit.

Was lässt sich über Graffiti in München sagen. Gibt es einen Zusammenhalt in der Szene oder ist diese eher parzelliert?

Natürlich gibt es verschiedene Gruppierungen in München. Dabei ist es am einfachsten zwischen illegal und legal zu unterteilen. Es gibt aber auch Crews, die sowohl legale als auch illegale Maler haben. Wir fanden den illegalen Aspekt wesentlich interessanter.

Wieso wird es interessanter, nur wenn ein Bild illegal gemalt ist?

Zum einen generell, der Reiz des Verbotenen. Zum anderen ist der Anspruch an ein illegal gemaltes Bild viel höher, da es mit mehr Aufwand, mehr Risiko und mehr Zeitdruck verbunden ist.

Das müsst ihr näher erklären.

Es ist verboten, S- und U-Bahnen oder auch Hauswände anzumalen. Das heißt, du musst erst ein gewisses Level in den Bildern und deiner Technik haben, da Du dich nicht an eine S-Bahn stellen und in aller Seelenruhe zwei Stunden lang malen kannst. Unter Umständen hast du viel weniger Zeit, keine 20 Minuten. Das ist das Eine. Und darüber hinaus ist damit noch Arbeit verbunden. Du musst dich auskennen: Wo kann man überhaupt S-Bahnen anmalen? Wann? Solche Fragen musst du beantworten können. Außerdem gehst du das Risiko ein, dass du erwischt wirst, den Schaden bezahlen musst und eine hohe Strafe bekommst. Und auch die Dokumentation erweist sich als schwierig.

Ein simples Foto zu machen ist schwer?

Uns wurde gesagt, dass es nicht so einfach ist, denn: Wenn die S-Bahn bemalt ist, fährt sie in der Regel vielleicht ein bis zweimal durch die Stadt. Da hast Du dann die Chance, ein Foto zu machen und wenn Du Glück hast, dann klappt es bei den zwei Versuchen, die Du hast. Noch schwerer ist es bei der U-Bahn: Eine bemalte U-Bahn wird sofort von den Verkehrsbetrieben ausgetauscht. Und direkt nach dem Malen ein Foto zu machen ist auch schwer, denn vor allem in München ist es im U-Bahntunnel besonders eng. Man kann da nicht mal eben fünf Meter zurückgehen, um ein gutes Foto zu schießen.

Macht sich dieser Unterschied im „Anspruch“ dann innerhalb der Szene bemerkbar? Durch Anfeindungen oder abschätzige Bemerkungen?

Ich glaub schon, dass die illegalen Sprüher sagen: „Wir machen das richtige Graffiti“. Schließlich hat Graffiti seinen Ursprung ja auch in der Illegalität. Man  muss bereit sein, ein gewisses Risiko einzugehen, nur um ein Bild zu malen. Außerdem ist ein illegaler Sprayer immer anonym, das heißt, außerhalb der Szene wird er sein Bild nie herzeigen können. Das Paradoxe ist, dass der legale Sprayer von der normalen Bevölkerung viel mehr Anerkennung kriegt als der illegale Sprayer. Nur weil es verboten ist. Wenn es legal ist, finden es plötzlich alle toll, obwohl, wie gesagt, der Anspruch an ein illegales Bild viel höher ist und der illegale Sprüher das viel intensiver lebt.

Muss ich jetzt Mitleid mit illegalen Sprühern haben?

Kommt drauf an, wie man es betrachtet. Einerseits natürlich nicht, weil sie auch ihren Spaß haben und ihre Bilder malen können. Andererseits verpasst ein „Legalmaler“ das echte Graffiti, dass ihn in den meisten Fällen mindestens genauso interessiert, er aber nicht den Mut hat, rauszugehen und es selbst zu malen

Ist das jetzt eine Kampfansage?

Nein, wieso?

Weil Ihr ja damit den Legalmalern die Existenz zwar noch nicht absprecht, aber sie doch in Zweifel zieht?

Wir empfinden das illegale Graffiti als das echte Graffiti. Trotzdem kann jeder gerne mal an die „Hall of Fame“ [legale Fläche; Anm. d. Red.] gehen, das machen die Leute, die illegal malen auch manchmal gerne.

Wie viele sog. „Halls“ gibt es in München und gibt es dabei gewisse Regeln zu beachten oder kann jeder hingehen und einfach sein Bild malen?

Laut unserem Wissensstand gibt es momentan nur eine Hall und die ist an der Tumblingerstraße. Zumindest in der Innenstadt. Und ja, es gibt schon ein paar Regeln zu beachten. Die Wichtigste ist: Übermal nie ein Bild, das besser ist als deins! Außer Du hast es mit dem Maler abgeklärt.

Was passiert, wenn doch? Was wären die Konsequenzen?

Wahrscheinlich würde Dein Bild recht schnell wieder übermalt werden und Du wirst keine Anerkennung innerhalb der Szene bekommen. Für Anfänger ist es am besten, bei den Sprühern vor Ort zu fragen, über welches Bild man am besten mal drübermalen könnte. Gerade weil Anfänger zu Beginn nicht so gut einschätzen können, was gut ist und was nicht.

Also ist Graffiti eine elitäre Angelegenheit, die nur von Insidern verstanden wird?

Ich würde es nicht als elitär bezeichnen, allerdings kann ein Laie Graffiti nur nach „Mir gefällt es“ oder „Mir gefällt es nicht“-Kriterien beurteilen. Dabei gibt es im Graffiti klare „Regeln“, z.B. wie die Proportionen der Buchstaben funktionieren. Ich denke, dass man die wirkliche Qualität eines Bildes nur dann beurteilen kann, wenn man sich auch mit Graffiti beschäftigt hat

Dann ist es ja doch elitär.

Wieso? Es hat ja jeder Zugang dazu, man muss sich nur ein bisschen was erarbeiten. Jeder kann sich eine Dose in die Hand nehmen, rausgehen und anfangen zu malen, es geht aber nicht von 0 auf 100, es erfordert viel Arbeit und Mühe

Anders gesagt: Graffiti kann  man nur dann richtig beurteilen, wenn man selbst sprüht?

Man muss nicht zwangsläufig sprühen, aber man muss sich damit beschäftigen. Das hat mehr damit zu tun, dass man Graffiti nicht gut finden kann, ohne sich wirklich damit zu beschäftigen. Du kannst nur darüber entscheiden, ob es dir gefällt oder nicht, aber du kannst nicht sagen, das ist gut oder schlecht ohne über ein Hintergrundwissen zu verfügen. Um nur ein Beispiel zu nennen: „Lopes“, der seit ca. 20 Jahren malt, sagt, dass er einem Passanten Bilder gezeigt hat, eines von vor 20 Jahren und dann ein aktuelles. Zwei Bilder, zwischen denen 20 Jahre Entwicklung stecken. Der Passant jedoch konnte keine nennenswerte Unterschiede feststellen. Das bringt es ganz gut auf den Punkt.

Wenn man sich für Graffiti in München interessiert, welchen Ort würdet Ihr empfehlen?

Also für illegales Graffiti, da gibt es keinen Ort, wo man hingehen und das begutachten kann. Wenn man gerne eine bemalte S-Bahn sehen will, da muss man sich an eine zentrale Station setzen und hoffen, dass zufällig eine vorbeikommt. Aber die Chancen sind da relativ gering. Ich würde jedem empfehlen, sich in die S-Bahn zu setzen und öfters mal aus dem Fenster zu schauen, da gibt es ja auch genügend Bilder an den Wänden. Das wäre zum Beispiel ein Anfang. Oder sie kaufen unser Magazin. Dort sind die besten Fotos zu sehen und auf der Ausstellung sind diverse Filme mit den Hintergrundgeschichten und zum Teil auch Fotos, die es nicht ins Magazin geschafft haben.

Bevor wir auf das Magazin zu sprechen kommen: Findet Ihr es nicht problematisch, eine an sich illegale Tätigkeit dokumentieren? Ist das nicht auch gleichzeitig eine Verherrlichung?

Es ist nur deshalb problematisch, weil die Strafverfolgung so hoch ist. Aber genau aus dem Grund, weil der normale Mensch nie Graffiti auf Zügen zu Gesicht bekommt, es hier aber sehr viel Material gibt, finden wir es wahnsinnig interessant und wichtig, dass den Leuten eine Möglichkeit angeboten wird, diese ganzen Bilder zu sehen.

Wieso habt Ihr dann nicht alle Fotos in das Magazin gepackt? Ist das eine Art Resteverwertung, wenn Du sagst, dass auf der Vernissage Bilder zu sehen sein werden, die es nicht in das Magazin geschafft haben?

Nein, denn wir zeigen natürlich auch die selben Bilder wie im Magazin, aber dann an einem anderen Ort oder aus einer anderen Perspektive fotografiert. Wir haben aber auch viele Bilder, die sehenswert sind, es aber es nicht ins Magazin geschafft haben.

Warum nicht?

Wir wollten die 90 Seiten nicht überschreiten. Das ist rein von der Seitenzahl her ohnehin schon doppelt so viel wie in anderen Graffiti-Magazinen. Und es wird auch Videos zu sehen geben.

Was sind das für Videos?

Sogenannte Liveactions, man sieht quasi den Entstehungsprozess hinter dem fertigen Bild. Es werden zum Großteil Videos aus München sein, aber auch von Münchner Sprühern, die im Urlaub in anderen Städten gemalt haben.

Welche Städte z.B.?

Keine Ahnung, das sieht man nicht.

Was ist, wenn man am 19.06. keine Zeit hat? Kann man das Magazin dann nicht mehr kaufen?

Doch, online auf unserer Homepage und da es vom Publikat-Verlag betrieben wird , kann man es wohl auch über Stylefile erwerben. Für diejenigen, die in München wohnen: Es wird auch im neuen Graffitistore Ghostyard, im Haus der Kunst, Cans&Co und Mighty Weeny zu kaufen sein.

Wie steht ihr zu der Entwicklung, dass Graffiti langsam salonfähig wird. In München ja insbesondere durch die beiden Stroke-Ausstellungen oder aber der aktuellen „The London Police“-Ausstellung in der Helmet-Galery. Begrüßt ihr das, weil jetzt Graffiti mehr im Rampenlicht steht, oder…

Prinzipiell habe ich überhaupt nichts dagegen, wenn Graffiti salonfähiger wird. Ich glaube jedoch, dass man wirklich unterscheiden muss zwischen illegalem Graffiti und Graffiti in einer Galerie. Graffiti funktioniert nicht in der Galerie.

Warum?

Wenn man Fotos aufhängt, auf denen bemalte Züge zu sehen sind, dann funktioniert es natürlich schon. Aber eine Leinwand oder Charaktere an die Wand zu malen, das wird nie das Gefühl rüberbringen können, das man hat, wenn man am Bahnhof steht und einen Zug einfahren sieht. Graffiti heißt für mich: Buchstaben malen. Ich glaube nicht, dass Graffiti von der Allgemeinheit verstanden wird.

Woran machst Du das fest?

Man muss sich mit Graffiti auseinandersetzen, bevor man es beurteilen kann. Wie gesagt: Natürlich kann man zwar jederzeit sagen, was man schön oder nicht schön findet, aber Graffiti folgt auch klaren Regeln, Definitionen und Werten. Da muss man tiefer eintauchen, um das beurteilen zu können. So gut ich also Streetart allgemein finde, würde ich trotzdem sagen, dass man da ganz klar differenzieren muss.

Wie würdest Du diese Differenzierung auf den Punkt bringen?

Es gibt da einen Text von Spair [dieser hier, Anm. d. Red.] . Da sagt er, dass Streetarter Figürchenmaler sind, die ihren Charakteren alle zwei Monate einen neuen Gegenstand in die Hand drücken, erst eine Trompete und dann einen Besenstiel. Das nennen sie dann Entwicklung. Aus der Sicht eines Buchstabenmalers steckt da wenig kreative Entwicklung dahinter. Für einen Writer ist es wesentlich spannender, an seinen Buchstaben zu feilen. Trotzdem: Auch im Bereich Streetart gibt es natürlich sehr gute Sachen. Aber gleichzeitig ist Streetart auch viel zugänglicher, eben weil es vergleichsweise sehr einfach zu verstehen ist, man findet viel schneller einen Anschluss.

Erklärt diese leichtere Zugänglichkeit Eurer Meinung nach, warum diese Ausstellungen so gut ankommen?

Meinst Du die Streetart-Ausstellungen oder auch unsere Ausstellung?

Ob Eure Ausstellung gut ankommt, wird sich ja erst noch zeigen müssen.

Eben, man muss zwischen einer Graffiti- und einer Streetart-Ausstellung à la Stroke differenzieren, weil eine Figur wesentlich leichter verstanden werden kann als ein reines Buchstabenbild.

Foto: (Copyright: Klick-Klack)

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